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Krebstherapie und Krebsdiagnostik

Patienten, die an Krebs erkranken, haben heute längere und bessere Überlebensaussichten als noch vor wenigen Jahren. Noch immer lassen sich aber manche - besonders stark metastasierende - Krebsarten nur sehr schwer behandeln. Therapien, die an Immunzellen oder Krebsstammzellen ansetzen, könnten in Zukunft helfen. Früherkennungsdiagnostik ist für eine erfolgreiche Behandlung von größter Bedeutung. Eine personalisierte Krebstherapie ist auf eine zuverlässige molekulare Diagnostik – Biomarker-Tests und Genomanalysen – angewiesen.

Die Strahlenkanone der Gantry im Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum, das größte Medizingerät zur Krebstherapie weltweit. © HIT

Aus der kürzlich veröffentlichten größten europäischen Studie zum Überleben nach Krebs, EUROCARE-5, geht hervor, dass Patienten in Deutschland ihre Krebsdiagnose heute im Durchschnitt wesentlich länger überleben als noch vor wenigen Jahren. Besonders deutlich sind die Verbesserungen bei Enddarmkrebs und Non-Hodgkin-Lymphomen, aber auch bei Leukämien im Kindesalter; sie beruhen vor allem auf Fortschritten in der Chemo- und Radiotherapie, die heute besser auf die Besonderheiten des jeweiligen Tumors abgestimmt sind als früher. Die hohe Präzision kombinierter bildgebender Verfahren und neuartiger Bestrahlungsgeräte erlaubt eine aussichtsreiche Behandlung von Krebsformen, bei denen die ärztliche Kunst in der Vergangenheit meist versagt hatte.

Verbesserungen in der Überlebensrate, wie sie für die meisten Krebsarten beobachtet werden, spiegeln die Fortschritte im Gesundheitssystem wider, vor allem in der Krebsdiagnostik. Von ihr hängt ab, ob der Krebs so rechtzeitig erkannt wird, dass eine Therapie noch erfolgreich sein kann. Das große Problem sind Tumoren, die unbemerkt tief in den Organen wachsen und Metastasen bilden, die schwer zu entdecken und zu behandeln sind. Ein Brennpunkt onkologischer Forschung liegt daher auf der Suche und Entwicklung verlässlicher Biomarker, um die Frühdiagnostik dieser Tumoren und ihrer Metastasen zu verbessern.

Gatekeeper-Diagnostika und maßgeschneiderte Therapien

Immunhistochemischer Nachweis von EGF-Rezeptoren Her2/neu in Brustkrebszellen. © Pathologie Vechta

Seit man die enorme genetische Heterogenität, selbst innerhalb desselben Typs von Tumoren, erkannt hat, richten sich große Hoffnungen auf die individualisierte oder personalisierte - das heißt für einzelne Personen (realistischer: Personengruppen) maßgeschneiderte - Therapie. Bei einer Anzahl der modernen, gegen definierte Target-Moleküle gerichteten Biopharmazeutika stellte sich heraus, dass ihre Wirkung von ganz bestimmten genetischen Eigenschaften der Tumorzellen abhängig ist.

Daher muss die Diagnostik stimmen, bevor maßgeschneiderte Therapeutika für die individualisierte Medizin eingesetzt werden können. Neue Diagnostika und Nachweismethoden (vor allem molekulare Biomarker, Gen- und Genomanalysen) dienen als sogenannte Gatekeeper (Türöffner) für die Einführung von Biopharmazeutika, die nur in bestimmten Patientenpopulationen angewendet werden dürfen. So darf Herceptin (Trastuzumab), ein künstlich hergestellter Antikörper, dessen therapeutische Wirkung darauf beruht, dass er den Her2/neu-Rezeptor blockiert, nur dann an Brustkrebspatientinnen verabreicht werden, wenn nachgewiesen wurde, dass die Tumorzellen der Patientinnen diesen Rezeptor auch verstärkt aufweisen (überexprimieren). Dies ist bei ca. einem Fünftel der Patientinnen der Fall. Ein anderes Beispiel ist Tamoxifen, von dem nur solche Patientinnen profitieren, deren Brustkrebs einen Östrogenrezeptor aufweist.
Bei Darmkrebs wird empfohlen, routinemäßig das K-ras-Onkogen zu analysieren, denn Krebszellen, bei denen dieses Gen mutiert ist, sprechen nicht auf EGF-Hemmstoffe an. Eine Behandlung von chronischer myelogener Leukämie mit Glivec (Imatinib) ist dann angezeigt, wenn bei den Patienten eine bestimmte Chromosomentranslokation (BCR-ABL) nachweisbar ist.

Neue Diagnostika für eine frühere Krebsdiagnose

So ist die noch vor wenigen Jahren - auch von prominenter Seite wie dem Medizinnobelpreisträger Harold Varmus 2010 – geäußerte Kritik inzwischen verstummt, dass die Genomik und verwandte Disziplinen wenig zum Fortschritt in der Medizin beigetragen hätten. Schon jetzt ist die molekulare Diagnostik des Tumorerbgutes in manchen Fällen imstande, Aussagen darüber zu treffen, welche Therapie die größten Erfolgsaussichten hat. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg und andere große Krebsinstitute auf der Welt haben deshalb damit begonnen, bei ausgewählten Krebsarten routinemäßig Gesamt-Genomanalysen durchzuführen. Es ist damit zu rechnen, dass die Zahl der zur Verfügung stehenden „maßgeschneiderten“ Krebsmedikamente in Zukunft wesentlich zunehmen wird, und dann könnten auch Informationen über Teile des Erbguts von Bedeutung werden, die gegenwärtig nicht als therapierelevant angesehen werden.

Auch andere molekulare Tumormarker gewinnen für die Krebsdiagnose immer mehr an Bedeutung. Dazu gehören auch Analysen von Chromosomenschäden bei Leukämien oder von epigenetischen Veränderungen wie beispielsweise bei Darmkrebs. Ein besonders heißes Eisen ist die Entwicklung von Bluttests („Liquid Biopsy Tests“), mit denen Tumorgene oder tumorspezifische Mikro-RNA-Muster nachgewiesen werden können. Noch befinden sie sich im Experimentierstadium, aber die Forscher hoffen, dass bald schon in Blutproben eine molekulare Früherkennung von Tumoren möglich sein wird, die heute in den meisten Fällen noch zu spät für eine Heilung diagnostiziert werden. Dazu gehören Lungen-, Bauchspeicheldrüsen- und Leberkrebs, die bei den Betroffenen in der Regel erst in einem fortgeschrittenen Stadium Beschwerden verursachen, und so sterben derzeit noch 85 bis 90 Prozent der Erkrankten innerhalb von fünf Jahren nach der Krebsdiagnose.

Bei Prostata- und Brustkrebs ebenso wie bei Melanomen und Hodgkin-Lymphomen und den relativ seltenen Hoden- und Schilddrüsentumoren liegt die Fünfjahres-Überlebensrate dagegen inzwischen bei über 80 Prozent. Teilweise liegt das an den besseren Chancen der Früherkennung, teilweise an den Fortschritten in der chirurgischen und radiologischen Therapie und an verbesserter Medikamentenbehandlung.

Immuntherapie und Krebsstammzellen

Plasmazellen beim Multiplen Myelom, einer Krebserkrankung des Knochenmarks © Universitätsklinikum Heidelberg

Die Bösartigkeit eines Krebses beruht zum guten Teil auf seinen Schutzmechanismen vor dem Angriff durch körpereigene Immunzellen (T-Lymphozyten, NK-Zellen), die im Prinzip die Fähigkeit besitzen, die Tumorzellen aufzuspüren und zu zerstören. Viele Forschergruppen arbeiten daher an Therapieansätzen, um das Immunsystem gegen den Krebs zu aktivieren. Auch hier muss die genetische und physiologische Konstitution der Patienten berücksichtigt werden. In Verbindung mit einer entsprechenden Diagnostik stellt die personalisierte Immuntherapie von Krebs ein vielversprechendes Konzept für die zukünftige Behandlung und Heilung von Krebskrankheiten dar. Große Beachtung fanden 2013 Berichte, nach denen aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) T-Lymphozyten mit den für das Erkennen von Krebszellen notwendigen Rezeptoren auf ihrer Oberfläche entwickelt worden waren. Noch ist unklar, ob derartige Laborergebnisse zu einer erfolgreichen Krebsbehandlung beim Menschen eingesetzt werden können.

Erste praktische Erfolge gibt es dagegen bei den auf Krebsstammzellen zielenden Therapieansätzen. Derartige, gegen herkömmliche Chemotherapeutika resistente, Krebsstammzellen wurden inzwischen für viele Krebsarten nachgewiesen; sie sind für das Nachwachsen eines Tumors oft Jahre nach der erfolgreichen Entfernung und für die Metastasierung verantwortlich. Sie lassen sich anhand spezifischer Biomarker nachweisen, darunter dem Wachstumsfaktor-Rezeptor MET, der unter anderem die Tumor-Angiogenese (Bildung von Blutkapillaren) fördert und gegen den bereits Medikamente in der klinischen Erprobung sind.

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