Unternehmensporträt
300MICRONS: maßgeschneiderte 3D-Zellkulturgefäße
Was geht in Geweben und Organen vor sich und wie reagieren sie etwa auf pharmazeutische Substanzen? Die dreidimensionale Zellkultur kann die Realität besser nachbilden als ein einschichtiger Zellrasen. Denn die Realität ist nun mal nicht zweidimensional. Das Unternehmen 300MICRONS GmbH entwickelt Folien mit winzigen Einbuchtungen, in denen Zellen optimale Bedingungen finden, um zu 3D-Zellaggregaten heranzuwachsen.
„Wir sehen zum Beispiel, dass Leberzellen, die in einer einzelligen Schicht auf einer Plastik- oder Glasunterlage heranwachsen, empfindlich gegenüber einem bestimmten Medikament reagieren, aber die Leber im Menschen unempfindlich gegenüber dem Wirkstoff ist“, sagt Prof. Dr. Eric Gottwald, einer der drei Gründer von 300MICRONS. Die gleichen Leberzellen als 3D-Zellaggregate gezüchtet, reagieren ähnlich unempfindlich wie das natürliche Vorbild.
Die Geschäftsführer der 300MICRONS GmbH, Dr.-Ing. Roman Truckenmüller, Dr.-Ing. Stefan Giselbrecht, Prof. Dr. Eric Gottwald (v.l.n.r.) haben schon mehrere Gründerwettbewerbe gewonnen.
© 300MICRONS GmbH
„Für die Vorauswahl effektiver Wirkstoffe in der Pharmaforschung hat die 3D-Zellkultur deutliche Vorteile gegenüber der konventionellen 2D-Zellkultur“, findet Gottwald. Und je organtypischer die Aggregate sind, desto eher können Pharmazeuten darauf verzichten, die Substanzen später noch an Tieren testen zu müssen. Doch erst seit Beginn dieses Jahrtausends sind die alternativen 3D-Tests auf dem Vormarsch.
Der Biologe Gottwald sitzt in einem geräumigen Büro, das versteckt in einem Hinterhof eines Karlsruher Industriegebiets liegt. Was er in der Hand hält, sieht unspektakulär aus: eine Platte mit 96 Vertiefungen, wie sie in jedem Zellkultur-Labor zur automatisierten Analyse zu finden ist. Den Boden dieser Vertiefungen bildet allerdings eine durchsichtige Folie mit winzigen Einbuchtungen, in denen bis zu 10.000 Zellen zu Zellklumpen heranwachsen.
Natürliches Korsett für Zellaggregate
Fluoreszenzmarkierte 3D-Zellaggregate in einer Zellkulturplatte der Firma 300MICRONS
© 300MICRONS GmbH
Den Durchmesser und die Tiefe der Miniatur-Zellgefäße haben die Unternehmer mit Bedacht gewählt: 300 Mikrometer (etwa ein Drittel eines Millimeters). „Das ist die natürliche Distanz, die zwei Blutkapillaren in einem typischen tierischen Gewebe maximal voneinander entfernt sind, damit das dazwischenliegende Gewebe noch durch Diffusion mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird“, erklärt Gottwald. Diese für die 3D-Zellkultur so wichtige Größe hat die Karlsruher schließlich zum Namen für ihre Firma inspiriert.
Bei der klassischen Methode zur Herstellung kugeliger Zellaggregate, den Sphäroiden, heften die Zellbiologen beispielsweise einen Tropfen mit Zellen an den Deckel einer Petrischale. Das Problem: „Irgendwann überschreiten die Sphäroide die Größe von 300 Mikrometern und die Zellen im Innern sterben ab, weil sie nicht mehr mit Nährmedium versorgt werden“, erläutert Gottwald. In anderen Fällen lassen die Forscher die Zellen in einem 3D-Gerüst, etwa einem Gel, heranwachsen, das mit extrazellulären Matrix-Komponenten aus der Maus versetzt ist, die jedoch eine nicht definierte Mischung von Wachstumsfaktoren enthalten. Eine gleichbleibend hohe Qualität, wie sie etwa für die Pharmaindustrie wichtig wäre, wird dadurch schwierig.
Wohlfühloase für Stammzellen
In einer Zellkulturplatte des Unternehmens kann Gottwald über 16.000 3D-Zellaggregate gleichzeitig herstellen. Leberzellen, seine „Haustierchen“, sind darin schon zusammen mit anderen Zelltypen, die ebenfalls in der Leber vorkommen, zu leberähnlichem Gewebe herangewachsen. Stammzellen, die zumindest temporär dreidimensional kultiviert werden müssen, um sich zu Gewebezellen zu differenzieren, konnte er gezielt zu schlagenden Herzmuskelzellen umwandeln.
Für die Stammzelltransplantation könnten die 3D-Miniaturgefäße als künstliche Stammzellnische von Bedeutung sein. Normalerweise verlieren Blutstammzellen in Kultur ihre Stammzelleigenschaften. „Mit unserem System behalten sie bis zu 21 Tage lang ihre Eigenschaft, sich in Blutzellen zu differenzieren“, sagt Gottwald. Sie könnten etwa einem Leukämiekranken, dem sie vor einer Chemotherapie entnommen wurden, anschließend wieder zurücktransplantiert werden.
Die Entwicklung für die 3D-Zellkulturgefäße der Firma nahm Mitte der 1970er Jahre ihren Anfang am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Als Gottwald in den 1990er Jahren an das Biologische Institut kam, arbeiteten die Forscher dort bereits mit einem Vorläufermodell des heutigen Systems in Chip-Form. Der Stückpreis lag bei umgerechnet 500 Euro, weil die Herstellung, vor allem aber die Nachbearbeitung, mittels Mikrospritzgussverfahren teuer war. „So was kauft keiner“, befand der 3D-Zellkulturexperte damals – bis Stefan Giselbrecht als Doktorand an das Institut kam.
Vom Makro- zum Mikro-Maßstab
Zusammen mit dem Ingenieur Roman Truckenmüller vom benachbarten Institut für Mikrosystemtechnik entwickelte Giselbrecht ein kostengünstiges Verfahren, mit dem es erstmals möglich war, mikroskopisch kleine Einbuchtungen in eine Polymerfolie einzudrücken. Bis dahin konnten mit diesem Mikrothermoform-Verfahren nur größere Objekte wie Joghurtbecher oder Pralinenpackungen geformt werden. 2015 gründeten Gottwald, Giselbrecht und Truckenmüller ihr Unternehmen.
Mit den eigens konzipierten Maschinen stellen die Karlsruher je nach gewünschter Anwendung Folien für Standard-Zellkulturplatten oder als Chip für einen Bioreaktor her. Sie können die Anzahl der Miniatur-Zellgefäße variieren, deren Durchmesser und Form verändern oder die Folie für Nährmedium oder bestimmte Substanzen durchgängig machen.
Mittlerweile forschen Giselbrecht und Truckenmüller parallel an der Universität Maastricht in Holland. Gottwald lehrt und forscht weiterhin als Professor am KIT und lenkt vor Ort die Geschicke der Firma. Im Jahr 2015 hat das Unternehmen sein neues Büro bezogen. Nun soll auch die Produktion, die derzeit noch am KIT erfolgt, umziehen. Gottwald blickt durch die breite Fensterfront des Büros geradewegs auf eine Lagerhalle. Dort entstehen auf etwa 300 Quadratmetern Fläche die zukünftigen Produktionsräume und Labore der Firma.
Um die Produktion und die Nachfrage zu steigern, suchen die Unternehmer zurzeit nach weiteren Zulieferern und denken darüber nach, ihre Folienprodukte von der Rolle zu produzieren. Auch der Servicebereich soll weiter gestärkt werden, indem sie bereits vorkultivierte Platten für Tests anbieten. „Der Bereich 3D-Zellkultur boomt weltweit. Wenn wir jetzt nicht dabei sind, etablieren sich möglicherweise andere Systeme“, befürchtet Gottwald. Bereut hat er es nach eigenen Angaben noch keinen einzigen Tag, die Firma mitgegründet zu haben: „Für einen Wissenschaftler ist es eine total spannende Sache und macht immer wieder Spaß."