Autranomics – Zellproduktion im Hochdurchsatz
Handarbeit ist out: Bei einer schnellen, industrietauglichen Produktion von Zellen, die zu Forschungs- und Produktionszwecken mit fremder Erbinformation versehen sind, wird heute auf Automatisierung gesetzt. Die Zellen sollen automatisch kultiviert, analysiert und sortiert werden. Die Fraunhofer-Gesellschaft in Kooperation mit der Max-Planck-Gesellschaft haben mit dem Autranomics-Projekt eine Pilotanlage entwickelt, die genau dies leistet.
Die Hochdurchsatz-Technologien zur Sequenzierung von Genomen und zur Analyse von Proteinextrakten machen seit Jahren eine rasante Entwicklung durch. Immer mehr Material kann in immer kürzerer Zeit untersucht und ausgewertet werden. Die Medizin und auch die Bioproduktion von Wirkstoffen und Enzymen haben davon bereits enorm profitiert. Die Effizienzsteigerung führt jedoch zu einem Nachschub-Problem: Um immer mehr Material analysetechnisch umsetzen zu können, muss auch immer mehr Rohstoff in Form von Zelllinien zur Verfügung gestellt werden. Und genau hier hakt es oft, denn die manuelle Laborproduktion ist kaum in der Lage, die gewünschten Zellmengen erstens schnell und zweitens in standardisierter Qualität zu liefern. Genau hier setzt das Fraunhofer-/Max-Planck-Projekt „Autranomics" an. An dem Projekt beteiligte Institute waren neben dem Fraunhofer IPA in Stuttgart das Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM in Freiburg, das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT in Sankt Augustin und das Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik MPI-CBG in Dresden.
Dipl.-Ing. Alexej Domnich arbeitet seit 2008 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Fraunhofer IPA in Stuttgart in der Forschungsgruppe Automatisierte Zell- und Gewebekultur. Er beschäftigt
sich mit der Entwicklung der Steuerungsarchitekturen für komplexe mechatronische Systeme und Anlagen.
© Fraunhofer-Gesellschaft
Autranomics ist die Kurzform für „Automated Transgenomics" und hat einen automatisierten Herstellungsprozess für Zelllinien zum Ziel. Die Ausgangszellen werden durch gezieltes Einschleusen fremder Erbinformation in die Lage versetzt, möglichst große Mengen bestimmter Proteine zu produzieren. Bisher wurden für die Entwicklung von Autranomics embryonale Mausstammzellen (ESC) und HeLa-Zellen verwendet, also eine humane Krebszelllinie, die seit Jahrzehnten in der Forschung etabliert ist. „Wir starten mit circa 300.000 Zellen pro Charge und erhalten in diesem Zellpool nach etwa zehn Tagen rund 150 Millionen Zellen. Pro Monat können im Hochdurchsatz rund 500 Zelllinien bereitgestellt werden und damit in etwa die sechsfache Menge wie mit manueller Laborarbeit", sagt Alexej Domnich, Projektleiter am IPA. Gleichzeitig betont er, dass es sich schließlich noch um eine Forschungsanlage handelt, deren Leistungsfähigkeit deutlich gesteigert werden könne. „Nach oben sind die Grenzen noch völlig offen, die Produktion ist bisher nicht gedeckelt", so der Ingenieur.
Autranomics ist der Anfang – Kapazitätserweiterungen sind zu erwarten
Für Domnich ist das Projekt nicht nur wegen der hervorragenden Ergebnisse ein Erfolg. Autranomics zeigt auch, wie es gelingt, Ingenieure und Biologen aus den verschiedensten Instituten für ein gemeinsames Ziel zusammenzubringen. Wie so oft in der Forschung war es dafür ebenso notwendig wie herausfordernd, sich über die verschiedenen Fachdisziplinen hinweg zu verständigen. „Die Biologie diktiert ihre eigenen Gesetze. Der Zeitpunkt ist bei biologischen Prozessen nicht eindeutig definiert. Man muss sich stets nach einem flexiblen Prozess richten. Das war von der Ingenieursseite her eine große Herausforderung und wir mussten dafür ganz spezielle Konzepte entwickeln", erklärt Domnich.
Die Zellen werden in einem automatisierten Vorgang abgelöst (Cell-Picking). Die oberen beiden Abbildungen zeigen das Gerät, die unteren den Vorgang). In das „Cell Picker Modul“ sind die optische, mikroskopische
Überwachung und die Bildverarbeitung integriert.
© Fraunhofer-Gesellschaft
Die Kooperationspartner spielten einander auf optimale Weise in die Hände. So hat das IPM ein automatisiertes Zellmikroskop in den Inkubator integriert. „Darin herrschen nicht gerade gerätefreundliche Bedingungen. Es war durchaus nicht einfach, die Technik so zu integrieren, dass sie in dieser Umgebung stabil arbeitet", so Domnich. Dabei ist die optische Kontrolle mittels Mikroskop ein wesentliches Kernstück der Anlage, denn über die Bildgebung und eine automatisierte Auswertung wird die Zellproduktion von der Anlage autonom gesteuert. Das Mikroskop zeigt den Bedeckungsgrad der Zellen in den Kulturgefäßen (24-Well-Mikrotiterplatten) und dieser gibt Aufschluss darüber, wie gut die Zellen wachsen. Hier greift die Kompetenz des FIT: Die dortigen IT-Experten entwickelten spezielle, selbstlernende Auswerte-Algorithmen für die Mikroskopdaten. Den Part der Zellbiologie hat das MPI-CBG übernommen. Hier wurden die Transfektionen durchgeführt, also die Maus-ESC und HeLa-Zellen genetisch verändert, damit sie bestimmte Proteine produzieren. Am IPA liefen dann alle Entwicklungen zusammen, um eine funktionierende Anlage aufbauen zu können. „Hier wurde auch die Software für die einzelnen Module geschrieben, die übergeordnete Prozesssteuerung entwickelt und rund 80 Prozent des Hardware-Aufbaus geleistet", so Domnich. Dabei ging es zum Beispiel darum, wie und wann die Mikrotiterplatten eingeschleust werden und welche Informationen der Benutzer eigentlich braucht und wie sie ihm zur Verfügung gestellt werden sollen.
Nachverfolgbarkeit – ein wichtiges Instrument der Qualitätssicherung
Die Autranomics-Pilotanlage nimmt rund zwölf Quadratmeter Fläche (ca. 3x4 m) in Anspruch.
© Fraunhofer-Gesellschaft
Eine wichtige Prämisse war die Nachverfolgbarkeit, wie Domnich erklärt: „Jede Zell-Kolonie in jedem Well muss nachverfolgt werden können. Auf der Zellebene haben wir dazu Fluoreszenzmarker eingesetzt und wir haben an jeder Mikrotiterplatte Barcodes angebracht. So erhalten wir Life-Science-IDs, die Auskunft darüber geben, wie viele Zellen vermehrt wurden und welche Passagen es gab." Da die Anlage selbst entscheidet, ob und wann passagiert wird, also Zellen aus einem Well auf mehrere neue Wells in den neuen Kulturplatten aufgeteilt werden, sind dies wichtige Kontrollinformationen. Die Prozessdaten aufzunehmen und eine maschinelle Nachverfolgung zu gewährleisten, ist eine Pionierleistung des IPA. „Wir haben einen wichtigen Grundstein für die Entwicklung eines weltweiten Standards in diesem Bereich geliefert", sagt Domnich selbstbewusst. Dieser Standard, genannt SiLA für „Standardisierung in der Labor-Automatisierung", wird gemeinsam von einem Konsortium aus Forschungsinstituten und Unternehmen entwickelt, an dem auch das IPA beteiligt ist.
Aufgebaut wurde die Autranomics-Pilotanlage ursprünglich am MPI-CBG in Dresden. Mittlerweile wurde sie nach Stuttgart überführt und soll hier Forschungs- und Industriepartnern zur Verfügung gestellt werden, die ihre eigenen Fragestellungen damit bearbeiten können. Parallel dazu bringt das IPA die Optimierung der Anlage weiter voran. Außerdem ist angedacht, eine automatisierte Kryokonservierung in die Anlage zu integrieren. „Dafür müssen wir spezielle Soft- und Hardwareprotokolle entwickeln. Die Zellen werden dann in Kryowells überführt, die quasi versandfertig ausgeschleust werden können", sagt Domnich zu dieser speziellen Zukunftsoption.