Bachelor/Master: Dreizehn Jahre Bologna-Prozess
Mit der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge hatten sich deutsche Bildungspolitiker verbesserte Ausbildung und Berufschancen für die Studierenden und höhere Effizienz im Lehr- und Forschungsbetrieb der Universitäten versprochen. Die Bilanz dreizehn Jahre nach Unterzeichnung der Bologna-Erklärung zeigt, dass die Reform noch lange nicht vollendet ist.
Die Altstadt von Bologna. Rechts neben dem Marktplatz die historische Universität.
© EJ
Außerhalb Italiens denkt bei „Bologna" kaum jemand an die ehrwürdige Stadt in der Po-Ebene und Heimat der ältesten europäischen Universität: „Bologna la dotta", die Gelehrte, mit ihrer Universitätsgründung 1088 - fast genau 300 Jahre vor Heidelberg. Auch „Bologna la grassa" - die Fette, wie die Stadt wegen ihrer Fleischgerichte bei den Italienern heißt - kennt hierzulande fast niemand, obwohl jedermann weiß, was Spaghetti Bolognese sind. In Bologna selbst werden Spaghetti übrigens nicht mit Bolognese serviert.
In Bologna trafen sich im Juni 1999 die Bildungsminister (bzw. deren Vertreter) von 29 europäischen Staaten (alle heutigen EU-Mitglieder mit Ausnahme von Zypern, sowie Island, Norwegen und die Schweiz) und unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung über den Europäischen Hochschulraum. Seitdem ist der Name „Bologna" bei uns mit dem Umbau der Studiensysteme an den Universitäten und der Einführung der Bachelor und Master-Abschlüsse assoziiert. Bologna wäre weniger bekannt, wenn die Reform, die 2010 in Deutschland abgeschlossen sein sollte, allgemein als Erfolg gewertet werden könnte. Darüber gehen die Meinungen weit auseinander.
Ein für den Arbeitsmarkt relevanter Abschluss?
Im Zentrum der Reform steht die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen an den Universitäten oder, wie es in der Bologna-Erklärung heißt, die „Einführung eines Systems, das sich im Wesentlichen auf zwei Hauptzyklen stützt: einen Zyklus bis zum ersten Abschluss (undergraduate) und einen Zyklus nach dem ersten Abschluss (graduate). Regelvoraussetzung für die Zulassung zum zweiten Zyklus ist der erfolgreiche Abschluss des ersten Studienzyklus, der mindestens drei Jahre dauert. Der nach dem ersten Zyklus erworbene Abschluss attestiert eine für den europäischen Arbeitsmarkt relevante Qualifikationsebene. Der zweite Zyklus sollte, wie in vielen europäischen Ländern, mit dem Master und/oder der Promotion abschließen."
Inzwischen haben schon mehrere Jahrgänge von Studierenden, die mit dem Abschluss des ersten Studienzyklus den Bachelor-Grad erworben haben, erfahren müssen, dass ihre Qualifikation für den Arbeitsmarkt mitnichten so anerkannt wird, wie es die Bildungsminister in Bologna formuliert hatten. Sicher spielt dabei eine Rolle, dass sich Neuerungen nicht schnell gegen eingefleischte Denkweisen durchsetzen lassen und die Personalchefs von Unternehmen den Bachelor nicht gleich als vollwertigen akademischen Abschluss anerkennen wollen. Zynisch für die Betroffenen wirkt es, wenn selbst der höhere Öffentliche Dienst den Bachelor-Absolventen die Karrieremöglichkeiten versagt. Sogar in Großbritannien und den USA, an deren Vorbild sich ja das neue europäische Studiensystem ausrichtet, wird beklagt, dass man „nur" mit dem Bachelor-Abschluss kaum Chancen auf einen angemessenen Arbeitsplatz hat - in einer Zeit, in der die Zahl junger Leute ohne Job höher ist als jemals zuvor.
Eine Eier legende Wollmilchsau
Prof. Dr. Heinz-Dietrich Löwe
© Universität Heidelberg
Nach dem Willen seiner Schöpfer sollte das neue „System leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse" im gesamten europäischen Hochschulraum auch durch "Überwindung der Hindernisse, die der Freizügigkeit im Wege stehen" die Mobilität der Studierenden fördern. Dazu erklärte der Historiker Professor Dr. Heinz-Dietrich Löwe, ehemals Dekan der Philosophischen Fakultät und Erster Sprecher des Senats der Universität Heidelberg, dass „Bachelor-Studiengänge per se und par excellence mobilitätsfeindlich sind, wie Erfahrungen in England und Amerika schon seit langem zeigen" (cit.: Ruperto Carola 1/2010). Der Historiker verglich die Erfindung der Bachelor-und Master-Studiengänge mit der „Eier legenden Wollmilchsau". Auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt wurde, bestand der Charme der Bologna-Reform für die Politiker vor allem darin, dass die neuen Studiengänge die Zahl der Studierenden verringern und Kosten reduzieren sollten, indem man die Studienzeit für die Mehrheit auf drei Jahre eingrenzte und den Master-Abschluss nur für eine Minderheit vorsah. Zugleich sollten die in manchen Fächern bedenklich hohen Abbruchquoten gesenkt werden, ohne dass man die Zahl der Stipendien heraufsetzte oder die Universitäten besser ausstattete. Die zu geringe Attraktivität des Bachelor-Grades bedeutet aber, dass die Universitäten den Zugang zum Master-Abschluss weit öffnen müssen. Von Kostenersparnis kann keine Rede sein. Im Gegensatz zu den anfänglichen Erwartungen der Politiker verlangen akkreditierte Bachelor-Studiengänge eher einen höheren Lehraufwand als im früheren System.
Dagegen kommt der Nationale Bericht der deutschen Kultusministerkonferenz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung über die Umsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses 2009-2012 zu dem Ergebnis, dass die Mobilität der Studierenden seit Beginn der Reform zugenommen habe (aber weiter verbessert werden soll), die Akzeptanz für Bachelorabsolventen auf dem Arbeitsmarkt gestiegen sei und der Bachelorabschluss eine Vielfalt von Karrieremöglichkeiten eröffne. „Für den öffentlichen Dienst stellen Bund und Länder Entwicklungschancen für Bachelorabsolventen dar und überprüfen Möglichkeiten der Verbesserung." Nach dem Bericht haben die Länder festgestellt, „dass für jeden interessierten Bachelorabsolventen heute ein Masterstudienplatz zur Verfügung steht. Ziel ist ein problemloser Übergang in den Master durch die Bereitstellung ausreichender Masterstudienplätze. Die Entwicklung von Angebot und Nachfrage im Masterbereich wird in den kommenden Jahren beobachtet." Diese Formulierung könnte man als Eingeständnis von Problemen interpretieren.
Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Annette Schavan
© Bundesregierung.de
Für Bundesministerin Professor Dr. Annette Schavan war Bologna „die richtige Antwort auf die Herausforderungen einer Gesellschaft, in der nahezu 50 Prozent eines Jahrgangs studieren und die nur durch eine möglichst hohe akademische Qualifikation möglichst vieler international bestehen wird", wie sie in einem Interview für „DIE ZEIT" vom 23. Februar 2012 erklärte. Auch wenn man Ende der neunziger Jahre die Chance verpasst habe, die inhaltliche Dimension gleichberechtigt mit den Strukturfragen in der Agenda zu verankern, sei die Bologna-Reform alles in allem eine Erfolgsgeschichte. Jetzt, da die deutschen Hochschulen 85 Prozent der Studiengänge auf die neuen Abschlüsse umgestellt haben, ist die Gelegenheit zur inhaltlichen Debatte wieder gekommen. Von Anfang an hatten die Hochschulen Wert darauf gelegt, die Reform der Studiengänge so weit wie möglich in eigener Regie durchzuführen. Nach Ansicht von Professor Löwe lassen sich die Probleme mit den Bachelor- und Master-Studiengängen nur lösen, wenn auf starre Rahmenbedingungen weitgehend verzichtet wird und viele unterschiedliche Modellen miteinander in Wettbewerb treten können. Auch auf einer Studiendauer von sechs Semestern für den Bachelor und zehn Semestern für den Bachelor und Master zusammen sollte man nicht unumstößlich beharren, auch wenn es ein wesentliches Element der Reform ist, die im Vergleich mit anderen Ländern überlangen Studienzeiten zu reduzieren.
Die Verbindung von Humboldt und Bologna
Nach der im Grundgesetz verbrieften und in den Hochschulgesetzen der Bundesländer festgeschriebenen Freiheit der Lehre bestimmen die Hochschulen ihre Curricula selbst. Nur die Rahmenbedingungen werden von der Politik gesetzt, und die sollten flexibel sein. Auch innerhalb des streng durchgetakteten „verschulten“ Bachelor-Master-Systems muss es für Studierende möglich sein, über die Fachgrenzen hinaus zu blicken. Die Universität Freiburg hat gerade ein Zeichen gesetzt, indem sie das „University College“ gründete. Dort gibt es einen englischsprachigen vierjährigen (!) Bachelorstudiengang namens „Liberal Arts and Sciences“, der ein Studium generale mit Sprachkursen und einem Hauptfachstudium verbindet, das mit einem anschließenden Masterstudium erweitert und vertieft werden kann.
„Der Geist der Humboldtschen Universität ist nicht tot.“ Standbild Wilhelms von Humboldt, Unter den Linden, Berlin.
© Humboldt-Universität
Viele weitere Beispiele neuer Studiengänge, in denen Bildung und Ausbildung zusammengeführt worden sind, belegen, dass trotz der viel beschworenen und beklagten „Ökonomisierung" des Hochschulstudiums durch den Bologna-Prozess der Geist der Humboldtschen Universität nicht tot ist. Auch „zur Universität im 21. Jahrhundert gehört der Anspruch von Bildung durch Wissenschaft", sagt Ministerin Schavan. Aufgabe der Politik ist es, Impulse zu setzen und Mittel bereitzustellen. So werden in dem bereits laufenden Qualitätspakt Lehre, für den das Bundesbildungsministerium zwei Milliarden Euro bereitgestellt hat, besonders solche Konzepte der Hochschulen gefördert, die in der Orientierungsphase am Studienbeginn überzeugende Antworten auf die Bologna-Studienstrukturen geben. Die Ministerin erklärte, dass sie einen hochrangigen Expertenrat aus Persönlichkeiten einberufen habe, die sich seit Jahren mit der Frage befassen, wie sich Humboldt und Bologna miteinander verbinden lassen. Bis zur nationalen Bologna-Konferenz im Spätherbst dieses Jahres, an der Vertreter der Hochschulrektorenkonferenz, der Kultusministerkonferenz und des Bundesbildungsministeriums teilnehmen, sollen diese ausgewiesenen Hochschullehrer aller Fakultäten entsprechende Vorschläge erarbeiten.