Biomarker zum Aufspüren von Metastasen
Die Heidelberger Chirurgin und Molekularbiologin Prof. Dr. Heike Allgayer untersucht die molekularen Prozesse der Metastasenbildung von Tumoren. Ein Ziel ihrer Forschungen ist es, spezifische Biomarker zur Früherkennung von Metastasen und zur Überprüfung des Therapieerfolges zu finden. Für ihre Arbeiten wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Prof. Dr. Heike Allgayer
© Uniklinikum Mannheim
Welche Moleküle und biochemischen Prozesse Krebszellen zur Metastasierung befähigen, steht im Mittelpunkt der Forschungstätigkeiten von Professor Dr. Heike Allgayer.
Die Heidelberger Chirurgin und Molekularbiologin, die am Klinikum Mannheim der Universität Heidelberg und am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) tätig ist, erhielt im Oktober 2008 den mit 25.000 Euro dotierten Forschungspreis der Walter Schulz Stiftung für ihre Arbeiten über „essentielle molekulare Mechanismen der Tumorprogression, Invasion und Metastasierung sowie der minimal residualen Tumorerkrankung".
Ein Ziel von Allgayers Arbeiten ist es, spezifische Biomarker zu finden, die frühzeitig eine Metastasenbildung erkennen lassen und mit denen ein Therapieerfolg überprüft werden kann, ob also die Behandlung anschlägt und sich die Metastasen zurückbilden oder ob sich Resistenzen gegen die Therapie entwickeln. Im Fokus des Interesses steht dabei das sogenannte Urokinase-System, das bei vielen Tumorzellen (z.B. bei Dickdarm-, Magen-, Brust- und Lungenkrebs) übermäßig stark gebildet wird und bei der Invasion der Krebszellen in gesundes Gewebe und ihrer Metastasierung eine Rolle spielt.
Die 1980 gegründete Walter Schulz Stiftung fördert vor allem Nachwuchswissenschaftler auf den Gebieten Tumorbiologie und Tumorimmunologie mit Projekten zur besseren Früherkennung, Diagnose und Therapie von Tumorerkrankungen. Die Stiftung unterstützt außerdem Kliniken und Krankenhäuser bei der Anschaffung von Geräten und Einrichtungen zur Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen.
Das Urokinase-System
Das Urokinase-System besteht aus verschiedenen Komponenten, darunter dem Enzym Urokinase, das zunächst im Urin und danach auch im Blut entdeckt worden ist. Dabei handelt es sich um eine Protease, die das biologisch inaktive Plasminogen in das aktive Enzym Plasmin überführt, das unter anderem andere Proteasen aktiviert, mit deren Hilfe Bestandteile der Blutgefäßwände und des Bindegewebes zerstört werden. Urokinase wird auch als Urokinase-Typ Plasminogenaktivator (u-PA) bezeichnet. Sie bindet an den Urokinase-Rezeptor (auch als Urokinase-Typ Plasminogenaktivator-Rezeptor oder u-PAR bezeichnet), ein aus drei Domänen (D1-D3) bestehendes Glykoprotein, das mit einem Glycosylphosphatidylinositol-Schwanz in der Zellmembran verankert ist und mit verschiedenen anderen Membranproteinen wie beispielsweise den Integrinen interagiert (siehe Abbildung aus Nature Reviews Molecular Cell Biology 2002).
Das Urokinase-System
© Nature Reviews/Molecular Cell Biology 2002
Es hat sich gezeigt, dass der Urokinase-Rezeptor u-PAR in vielen malignen (das heißt metastasierenden) Tumoren, zum Beispiel Dickdarm-, Magen-, Brust- und Lungenkrebs, überexprimiert ist. Die Krebszellen tragen mehr Rezeptormoleküle auf der Zelloberfläche als Zellen aus gesundem Gewebe, die u-PA binden, worauf eine ganze Kette weiterer Enzyme aktiviert wird, die die Strukturen der umgebenden Gewebe auflösen und so den Tumorzellen ermöglicht, in diese Gewebe einzudringen. Außerdem werden durch die Interaktion mit Integrinen und anderen Molekülen Signalketten im Zellinneren ausgelöst, welche die Tumorzellen stimulieren, sich unkontrolliert zu teilen.
Klinische Studien der vergangenen Jahre haben den Nachweis erbracht, dass eine hohe Aktivität des Urokinase-Systems einen für die Patienten ungünstigen Prognosefaktor darstellt. Allgayer und ihre Mitarbeiter konnten das u-PAR-System auch auf einzelnen Tumorzellen im Knochenmark von Krebspatienten nachweisen. Hier scheinen die Tumorzellen unter Umständen jahrelang in einem Ruhezustand verharren zu können, um möglicherweise später aktiviert zu werden und ein Tumorrezidiv oder Metastasen zu bilden.
Durch die molekularbiologische Bestimmung des Urokinase-Systems in soliden Tumoren wie auch in einzelnen Tumorzellen können zu einem frühen Zeitpunkt Risikogruppen unter den Patienten identifiziert werden, die eine ungünstige rezidivfreie Überlebenszeit haben, so dass eine engmaschige Überwachung erfolgen und gegebenenfalls besondere therapeutische Maßnahmen ergriffen werden können.
Erbitux-Infusionslösung der Firma Merck
© Merck KG aA
In einer kürzlich erschienenen Publikation (Cancer research 2009: 2461-70) berichteten Allgayer und Kollegen, dass u-PAR beim nicht-kleinzelligen Lungenkrebs (NSCLC) ein Indikator für die Wirksamkeit der Behandlung mit dem therapeutischen Antikörper Cetuximab sein könnte. NSCLC-Zelllinien mit hoher Expression an u-PAR waren resistent gegen das Medikament. Dieses Ergebnis ist von großer Bedeutung für die Firma Merck KGaA, die Cetuximab unter dem Markennamen Erbitux vermarktet und in einer klinischen Phase-III-Studie gezeigt hat, dass Erbitux, das bisher für die Behandlung von Darmkrebs zugelassen ist, auch in Verbindung mit einer platinbasierten Chemotherapie die Gesamtüberlebenszeit bei Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC verlängert.
Micro-RNAs als Maß für die Metastasierung?
Allgayer und ihr Team haben einen weiteren Molekültyp entdeckt, der die Ausbreitung bösartiger Tumoren im Darm fördert. Eine spezielle micro-RNA, miR-21, unterdrückt die Herstellung des Tumorsuppressorproteins Pdcd4, das Darmzellen vor ihrer Entartung zu Tumorzellen und ihrer Metastasierung schützt.
MicroRNAs sind kurze DNA-Transkripte, die als Kontrollelemente für die Art und Menge der Proteine dienen, die von der Zelle synthetisiert werden. Sie heften sich an mRNAs, die Bauanleitungen der Proteine, an und blockieren sie dadurch oder initiieren ihre Degradation.
Verschwindet Pdcd4 aus den Zellen, steigt das Krebsrisiko. In einer weiteren Studie konnten die Heidelberger Wissenschaftler zeigen, dass der Verlust von Pdcd4 bei Darmkrebspatienten mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden ist. Nun zeigt sich, dass miR-21 in den Darmkrebszellen in hoher Konzentration vorhanden ist und die Invasion der Krebszellen in gesundes Gewebe stimuliert. Klinische Studien sollen zeigen, ob die Erhöhung der MicroRNA und die Abnahme des Tumorsuppressorproteins Pdcd4 als verlässliche molekulare Biomarker dienen können, um den Grad der Metastasierung zu bestimmen und die Therapie entsprechend einzustellen.
Professor Dr. Dr. Heike Allgayer studierte Medizin an der Universität München und ging danach an das Anderson Cancer Center in Houston, Texas, wo sie im Fach Molekularbiologie zum PhD promovierte. Ihren Facharzt für Chirurgie absolvierte sie am Klinikum Großhadern der LMU München und habilitierte sich im Fach Experimentelle Chirurgie. Seit 2004 ist sie Leiterin der Abteilung Experimentelle Chirurgie/Molekulare Onkologie in der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg und zugleich auch der Klinischen Kooperationseinheit Molekulare Onkologie solider Tumoren am DKFZ. Sie hat über 160 Artikel in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht, ist Mitglied zahlreicher internationaler Fachgesellschaften, darunter der American Association of Clinical Oncology (ASCO) sowie der American Association of Cancer Research (AACR) und der European Association of Cancer Research (EACR). Vor der Auszeichnung durch die Walter Schulz Stiftung hatte Allgayer bereits 20 Forschungspreise erhalten, darunter den Wissenschaftspreis der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung 2005.