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Biometrie: Peter Martus arbeitet an der Schnittstelle von Mathematik und Medizin

Jenseits der Informatik und doch ganz nah an Daten: Prof. Dr. Peter Martus weiß, wie professionelle Bio- und Medizinstatistiken entstehen. An der Eberhard Karls Universität Tübingen begleitet er mit seinem Know-how klinische Studien und bearbeitet andere Projekte aus den Life Sciences, die mit statistischen Fragestellungen einhergehen.

Der Mathematiker Peter Martus leitet seit rund zwei Jahren das Institut für Klinische Epidemiologie und angewandte Biometrie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. © privat

Der Biometrie begegnet man im Alltag immer häufiger. Biometrische Personalausweise sind ein prominentes Beispiel. Hier werden individuelle Merkmale auf einem Chip hinterlegt. Passfotos neuer Machart liefern biometrische Daten zur Gesichtserkennung und hinzu kommen - hierzulande noch freiwillig - Fingerabdrücke. Beides kann automatisch ausgelesen und mit entsprechenden Datenbanken abgeglichen werden. Doch es gibt noch eine andere Biometrie, die nichts mit Personenerkennung anhand charakteristischer biologischer Merkmale zu tun hat.

Der zweite große Bereich ist die Biostatistik und damit das Metier von Prof. Dr. Peter Martus. Wobei Biostatistik nicht zu verwechseln ist mit Bio- oder Medizininformatik, wie der Forscher klarstellt: „Die Bioinformatik bietet Analyseverfahren zum Beispiel für Genexpressionen und die Massenspektrometrie, die Medizininformatik befasst sich unter anderem mit elektronischen Krankenakten und der Analyse bildgebender Verfahren. Wir hingegen werten Messdaten statistisch aus und planen und begleiten klinische Studien mit statistischen Verfahren.“

Der promovierte Mathematiker leitet seit rund zwei Jahren das Institut für Klinische Epidemiologie und Angewandte Biometrie an der Universität Tübingen. Obwohl er sich bereits während seiner Promotion an der Universität Erlangen (über Spieltheorie und Ergodentheorie) mit Statistik befasste, packte ihn das Thema erst so richtig, als die Medizin ins Spiel kam. Martus ging ans heutige Institut für Medizininformatik, Biometrie und Epidemiologie der Uni Erlangen, wo er 1995 auch habilitierte. „Ich habe nach einer Möglichkeit gesucht, weiterhin mit mathematischen Methoden zu arbeiten, wollte mich jedoch nicht mehr mit theoretischer Mathematik befassen“, so Martus. Schnell merkte er, dass ihm die Biostatistik liegt, gerade wegen ihrer nicht immer einfachen Schnittstellenfunktion zwischen den Disziplinen. „Hier stoßen Denkkulturen aufeinander, die Medizin ist pragmatisch und die Mathematik theoretisch fundiert. Daraus ergibt sich eine besonders hohe Notwendigkeit zu kommunizieren und zu kooperieren, womit ich mich von Anfang an sehr wohl gefühlt habe“, so der Forscher.

In Erlangen arbeitete Martus unter anderem an einem ophthalmologischen Sonderforschungsbereich der DFG mit, bei dem es um die Früherkennung und Prognose des Grünen Star ging. Diese Augenkrankheit ist im Frühstadium schwer zu erkennen, deshalb ist die statistische Diagnose-Auswertung diffizil.

Statistische Analyse aus der Ophthalmologie: Nachbarschaftsbeziehungen zwischen Messpunkten bei der statischen Perimetrie (Vermessung des Gesichtsfeldes) dienen zur Identifizierung von Schädigungsclustern bei Erkrankungen des Auges. © Martus, Eberhard Karls Universität Tübingen

Martus erklärt an einem einfachen Beispiel, mit welchen Fallstricken ein Statistiker hier konfrontiert wird: „Wenn wir Daten von paarigen Organen wie den Augen erfassen, könnte man meinen, wir erhielten damit eine doppelte Genauigkeit. Das stimmt jedoch nicht. Messdaten des Augeninnendrucks zum Beispiel liefern kaum einen Unterschied zwischen den Augen eines Individuums. Kommen die Informationen von zwei unterschiedlichen Personen, kann ich die Variabilität innerhalb der Bevölkerung statistisch deutlich besser erfassen.“ Da jede Messreihe auch Fehler enthalten kann, müssen die Biostatistiker auch stets herausarbeiten, wo sich echte Unterschiede zwischen Personen oder Messfehler zeigen.

Entscheidungen auf ein gesichertes statistisches Fundament stellen

Nach einem kurzen beruflichen ‚Stopover’ an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, wo Martus sechs Monate als Hochschulassistent arbeitete, ging er 2001 an die Charité nach Berlin, an welcher er am Institut für Biometrie und Klinische Epidemiologie zunächst eine Abteilung leitete, bevor er Institutsdirektor wurde. Mit dem Berliner Team kooperiert Martus nach wie vor und schmiedet gemeinsame Projekte mit seinem Tübinger Institut. In Tübingen hat er seinen alten Schwerpunkt Ophthalmologie wieder aufgegriffen und arbeitet unter anderem mit den Professoren für Augenheilkunde - Prof. Marius Ueffing, Prof. Ulrich Bartz-Schmidt und Prof. Eberhart Zrenner - zusammen. Außerdem hat Martus Verbindungen zu zahlreichen anderen medizinischen Einrichtungen in Tübingen, zum Beispiel zur Virologie, Neurologie, Strahlentherapie, Psychiatrie und Arbeitsmedizin. Sein Netzwerk will er in Zukunft noch ausbauen. Im Prinzip gibt es in allen Life-Science-Bereichen potenzielle Partner.

Bei den Kooperationsleistungen seines Instituts in Tübingen unterscheidet Martus drei Stufen. Die erste Stufe umfasst kostenlose Beratungen für alle Mitarbeiter der Universität und des Klinikums mit statistischen Fragestellungen. „Wir können zum Beispiel dabei helfen, Variablen zu definieren und Stichproben auszuwählen. Und wir beraten, welche statistischen Verfahren für das jeweilige Projekt geeignet sind“, so Martus. In Stufe zwei wird mit dem Ziel gemeinsamer Veröffentlichungen kooperiert: „Hier beteiligt sich unser Institut aktiv an den Auswertungen und bürgt mit seiner Arbeit für die Qualität“. In Stufe drei kommt es zu gemeinsamen Projekten. Das können klinische Studien sein, bei denen Martus' Team auch von Anfang an eingebunden ist.

„Die Arbeitsschritte an sich sind über alle Stufen vergleichbar. Wir steigen mit unserem Arbeitsaufwand jedoch immer tiefer ein. Bei klinischen Studien geht es darum, unabhängig von Detailaufgaben die Konsistenz der Studie zu prüfen. Die Fragestellung muss so präzise sein, dass eine statistische Auswertung möglich ist. Wir fragen und entscheiden gegebenenfalls, mit welcher Methode was gemessen wird“, umreißt Martus eine typische Zusammenarbeit. Wichtig ist dabei auch die Frage, ob eine Methode etabliert ist oder ob die Studie erst die Bewertung der Methode liefern soll. „Wir haben es stets mit der integrierten Betrachtung mehrerer Variablen auf einmal zu tun. Das umfasst sowohl die inhaltliche Betrachtung als auch die mathematische Betrachtung von Korrelationen“, fasst Martus zusammen.

Biometrische Herausforderung: langjährige randomisierte Studien richtig auswerten

Ein Beispiel für Biometrie in der Arbeitsmedizin: Die Faktorstruktur des Work Ability Index (WAI, Arbeitsfähigkeitsindex) wird zur Messung der Arbeitsfähigkeit von Erwerbstätigen verwendet. © Martus, Eberhard Karls Universität Tübingen

Eine grundsätzliche Herausforderung klinischer Studien ist die Frage der Randomisierung. Hier helfen Biometriker bereits im Vorfeld dabei, das beste Vorgehen auszuwählen, und begleiten die Studien teils über viele Jahre hinweg mit ihrer Expertise. Momentan arbeitet Martus' Team unter anderem bei einer onkologischen Studie mit, die zeigen soll, wie bis zu einem bestimmten Stadium des Prostatakarzinoms am besten vorzugehen ist. An der groß angelegten randomisierten Studie, die unter anderem von der Deutschen Krebshilfe e. V. gefördert wird, sind rund 7.600 Patienten beteiligt, die über insgesamt 17 Jahre beobachtet werden. Auch die Universitätsklinik für Urologie Tübingen wirkt an der Studie mit.

„In den lokal begrenzten Stadien mit niedrigem, beziehungsweise frühem intermediären Risiko gibt es prinzipiell vier Optionen: die komplette Entfernung der Prostata, eine interne oder externe Strahlenbehandlung durch die Haut oder ‚active surveillance’ - eine intensive Nachbeobachtung mit regelmäßigen Terminen, bei denen Biopsien durchgeführt werden und gegebenenfalls verzögert eine der oben genannten Therapien durchgeführt wird“, erklärt Martus. Er und sein Team machen das gesamte Datenmanagement und die statistischen Analysen der Studie. Martus sitzt zudem im Lenkungsausschuss und ist an den Studienentscheidungen mit beteiligt.

Genügend Patienten zu finden, die mit der Randomisierung - also der zufälligen Einteilung in eine der vier Gruppen - einverstanden sind, ist laut Martus nicht das einzige Problem. „Es gibt aber auch durchaus Betroffene, die dieses Vorgehen aktiv mit unterstützen und so viel Verständnis haben, dass sie sagen: Ja, es muss randomisiert werden“, so Martus. Die lange Studiendauer kann sich jedoch zu einem Problem für die Auswertung entwickeln. Es kann im Einzelfall Patienten geben, die von einer Option zur anderen wechseln, andere könnten ihre Teilnahme abbrechen und es wird vorkommen, dass die Zeitschemata der Nachuntersuchungen nicht eingehalten werden. All diese Widrigkeiten müssen die Biometriker in ihren Auswertungen berücksichtigen. Wobei es bei Studien nicht nur darum geht, signifikant ja oder nein zu einer Handlungsoption zu sagen, wie Martus erklärt: „Uns geht es darum, das ‚Chaos’ im positiven Sinne so zu strukturieren, dass man mit glasklaren statistischen Methoden eindeutige Aussagen machen kann. Wir entwerfen daher auch prognostische Modelle anhand von klinischen Daten und bezogen auf Patientenpopulationen.“

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