BioValley “Science meets Business Day 2009”
Dass der Austausch zwischen der Forschung und der Industrie am Oberrhein besonders gut funktioniert, zeigten auch dieses Jahr wieder die Vorträge beim „Science meets Business Day 2009“, der den Abschluss der diesjährigen BioValley Life Science Week bildete. Forscher aus fünf ganz unterschiedlichen Disziplinen zeigten gemeinsam mit ihren Unternehmenspartnern in spannenden Vorträgen, was den Wirtschaftsstandort im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Schweiz europaweit so erfolgreich macht. Die rund 220 Besucher, unter denen auch über 100 Schüler der Merianschule waren, leitete Dr. Ralf Kindervater, Geschäftsführer der BIOPRO Baden-Württemberg GmbH, als Moderator durch einen faszinierenden Abend.
„Es ist kein Zufall, dass die Region Freiburg die Wirtschaftskrise so gut überstanden hat“, sagte Dr. Bernd Dallmann, Vorstand der Technologiestiftung BioMed Freiburg in seiner Begrüßungsrede zum diesjährigen Science meets Business Day. „Ich bin kein Biotechnologe, aber ich verstehe aus wirtschaftlicher Sicht sehr gut, dass die Lebenswissenschaften das wirtschaftliche Rückgrat des Dreiländerecks bilden.“ Rund zwanzig Prozent der Menschen seien in den Sektoren Life Science und Gesundheitswesen beschäftigt. Der Vorstand der Technologiestiftung BioMed Freiburg unterstrich: „Immer mehr Menschen wollen und müssen Geld für Gesundheit ausgeben.“ Deshalb seien Kooperationen zwischen den Forschungseinrichtungen und den Biotech- und Medizintechnik-Unternehmen wegweisend. Besonders hieß er die über 100 Schüler der Merianschule willkommen, die seit 2002 eine Spezialisierung im Fach Biotechnologie anbietet. „Die Vernetzung zwischen den Ebenen Wirtschaft, Wissenschaft und Schule ist ein Modell für die Zukunft“, sagte er.
Ständige Innovationen sind gefragt
Wie wichtig Kooperationen in Forschung und Entwicklung sind, zeigte in Folge Prof. Dr. Ralf Baumeister von der Universität Freiburg in seinem Impulsvortrag „Systembiologie: Ein ganzheitlicher Ansatz, um Leben und seine Krankheiten zu erforschen“. Baumeister untersucht seit Jahren den kleinen Wurm C. elegans, der ein hervorragendes Modell für Alzheimer, Parkinson und zelluläre Prozesse wie etwa den programmierten Zelltod ist. Die Biologie sei seiner Ansicht nach das spannendste Studium, sagte Baumeister in Richtung der vielen Schüler im Runden Saal des Konzerthauses in Freiburg. Aber ohne technische Hilfsmittel und ohne die Synergieeffekte zwischen den Wissenschaften und der Industrie sei sie heutzutage nicht mehr denkbar. „Die Zelle ist ein extrem komplexes dynamisches Netzwerk aus miteinander wechselwirkenden Molekülen“, sagte Baumeister. Pharmaunternehmen, die mit Medikamenten in diese Netzwerke eingreifen wollen, sind darauf angewiesen, die Gesamtnetzwerke Zelle und Organismus zu verstehen.
Am Zentrum für biologische Systemanalyse (ZBSA) versucht dessen Direktor daher zusammen mit Molekularbiologen, Bioinformatikern, Medizinern, Mathematikern, Physikern und Ingenieuren nicht nur, möglichst viele Elemente der verschiedenen molekularen Netzwerke zu identifizieren, sondern sie auch in der Gesamtheit zu erfassen. „Hierzu sind Experimente im Hochdurchsatz notwendig“, sagte Baumeister. Tausende Würmchen müssen zum Beispiel gezüchtet und genetisch behandelt werden. Hunderttausende von Substanzen müssen auf ihre Wirkungen in der Zelle getestet werden. Alles das machen heute Roboter, die einzelne Arbeitsschritte automatisch und nacheinander durchführen können. Die so erzeugte Datenflut kann nur mit Hilfe von mathematischen Modellen gebändigt werden. Ständige Innovationen sind gefragt: leistungsstarke Rechner, intelligente Mikroskopiermaschinen, immer kleinere DNA-Chips. Herausforderungen, bei denen sich Forschung und Industrie gegenseitig befruchten müssen.
Gemeinsam gegen geschützte Bakterien
Wie Forschung und Wirtschaft kooperieren können, zeigten im Anschluss Prof. Dr. Wilfried Weber vom Zentrum für biologische Signalstudien (bioss) der Universität Freiburg und Marc Gitzinger von der BioVersys GmbH aus Basel in ihrem Tandem-Vortrag „Neue Waffen gegen alte Krankheiten: Bekämpfung von antibiotikaresistenten Bakterien“. Weber und seine Kollegen aus der synthetischen Biologie versuchen Werkzeuge zu entwickeln, mit deren Hilfe die Resistenz von Tuberkulose-Erregern wieder ausgeschaltet werden kann. Die Forscher kombinieren bekannte biologische Bauteile wie etwa einzelne Gene oder Genbestandteile zu neuen Systemen, die sie künstlich in Zellen einführen können. Mit Hilfe der synthetischen Biologie ist es ihnen gelungen, eine zelluläre Vorrichtung zu bauen, die wie ein Testsystem für neue Medikamente funktioniert. „Inzwischen haben wir auf diese Weise eine Substanz entdeckt, die die Resistenz wieder ausschalten kann“, sagte Weber. Damit könnte die Pharmaindustrie bei der Entwicklung neuer Antibiotika in Zukunft Milliarden sparen. Um das Produkt zu einem Medikament zu machen, gründeten die Forscher die BioVersys GmbH.
„Zur Zeit sind wir auf der Suche nach Industriepartnern“, sagte der Geschäftsführer Gitzinger. Über die Zukunft des Spin-offs sei er nicht bekümmert. Im Vergleich zur Konkurrenz sei man in der Lage, die Antibiotika-Resistenz vieler verschiedener Bakterien auszuschalten. „Der Resistenzschalter, den wir anvisieren, ist sehr universell und kontrolliert verschiedene Arten von Resistenz“, sagte Gitzinger. Die Zusammenarbeit mit Webers Labor ist sehr eng. Aber auch die Vernetzung mit anderen Universitäten wie etwa der ETH Zürich oder der Uni Lyon ist laut Gitzinger entscheidend. Die Automatisierung der Arbeitsschritte, das Entwickeln von Hochdurchsatzverfahren, systembiologische Auswertungsmethoden – ohne eine Zusammenarbeit mit anderen Institutionen sei Medikamentenentwicklung heutzutage nicht mehr denkbar.
Software für den Klinik- und Laboralltag
Dass eine Zusammenarbeit mit der Industrie auch im klinischen Alltag von Vorteil sein kann, zeigten Prof. Dr. Andreas Schulze-Bonhage, Leiter des Epilepsiezentrum am Universitätsklinikum Freiburg, und Oliver Eberhardt von der Tikanis GmbH aus Freiburg in ihrem Vortrag „From Bench to Bedside: Flexible Software in Forschung und Klinik“. Die Epilepsie kann heute noch immer nicht ohne Nebenwirkungen behandelt werden. Patienten klagen nach Medikamenteneinnahme regelmäßig über Müdigkeit, Reizbarkeit oder Gedächtnisstörungen. „Wir Ärzte müssen unsere Patienten ständig mit psychologischen Testverfahren beobachten“, sagte Schulze-Bonhage. Die Tikanis GmbH hat unter der Leitung von Dr. Thomas Maiwald und Julie Blumberg eine Softwareplattform für Taschencomputer entwickelt, mit deren Hilfe sich die handlichen Apparate für verschiedene Tests umprogrammieren lassen. Damit können Patienten zu jeder Tageszeit und von jedem Ort aus selbstständig Daten erheben.
Erste gemeinsame Studien haben bereits gezeigt, dass dies sehr gut funktioniert. Aber Tikanis hat noch andere Produkte anzubieten. „Die Tikanis GmbH ist direkt aus der Forschung an der Universität Freiburg heraus gegründet worden“, sagte der Biologe Eberhardt in seinem Teil des Vortrags. Der Physiker Maiwald ist zur Zeit in Harvard und unterstützt dort Wissenschaftler mit einem weiteren Produkt der Firma - einer Software mit dem Namen Potterswheel, mit der sich komplexe Datenfluten zu Modellen umrechnen lassen. Eine solche Software ist gerade für die Systembiologie von größter Wichtigkeit. Aber auch überall anders, wo Experimente Messergebnisse liefern, die sich dynamisch verändern, hilft Potterswheel, die entscheidenden Parameter herauszulesen und dynamische Modelle zu erstellen. Insgesamt 2.000 Nutzer aus rund Hundert Institutionen weltweit arbeiten inzwischen mit dem Produkt. Es ist auf dem besten Wege, zum goldenen Standard zu werden.