Cellendes und EU-Partner entwickeln Zelltherapie für Diabetes Typ 1
Wenn die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse ausfallen, könnten Ersatzzellen, die aus Stammzellen passender Spender entwickelt werden, ihren Job übernehmen. An dieser Zelltherapie arbeitet ein EU-Team, an dem die Reutlinger Cellendes GmbH beteiligt ist. Sie entwickelt ein Biomaterial, das sich als Trägersubstanz für die Zellen eignet und für eine therapeutische Anwendung am Menschen zugelassen werden kann.
Dr. Brigitte Angres und Dr. Helmut Wurst gründeten 2009 die Cellendes GmbH.
© Cellendes
An Diabetes Typ 1, früher auch „jugendlicher Diabetes“ genannt, leiden je nach Berechnung rund fünf bis zehn Prozent der gesamten Diabetes-Patienten. Aufgrund einer Autoimmunerkrankung sind bei diesem Typ die insulinproduzierenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse zum größten Teil zerstört und können sich auch nicht von alleine regenerieren. Da Kinder besonders häufig betroffen sind und Typ-1-Diabetes bisher nicht ursächlich behandelt werden kann, wird weltweit intensiv nach neuen Behandlungsformen gesucht. Bereits praktiziert wird die Transplantation von ganzen Bauchspeicheldrüsen oder von insulinproduzierenden Langerhansschen Inseln daraus. Bei beiden Methoden greift jedoch die Spenderproblematik: Es stehen bei Weitem nicht genügend Organspender zur Verfügung, um allen Erkrankten auf diesem Weg zu helfen.
Dank der Stammzelltechnologie gibt es nun eine weitere Option: Aus wenigen Stammzellen der Bauchspeicheldrüse von Spendern könnte per Massenproduktion eine große Anzahl von transplantierbaren Beta-Zellen entwickelt werden. Ein von der EU geförderter Forscherverbund ist Anfang 2016 angetreten, um aus dieser Idee ein Behandlungskonzept zu machen. Mit dabei ist die Reutlinger Cellendes GmbH, die sich auf die Entwicklung und Produktion maßgeschneiderter Hydrogele für Zellkulturen spezialisiert hat. „Es war eine bahnbrechende Erkenntnis, dass es in der Bauchspeicheldrüse überhaupt adulte Stammzellen gibt. Nun wollen wir sie unter GMP-Bedingungen vermehren und zu Beta-Zellen entwickeln, und zwar in einem standardisierten Verfahren, das alle regulatorischen Anforderungen für eine Zulassung erfüllt“, sagt Dr. Brigitte Angres, die gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Helmut Wurst die Cellendes GmbH gegründet hat und leitet.
Gesucht: Biomaterial für sichere In-vivo-Anwendungen
Aus Bauchspeicheldrüsengewebe isolierte Stammzellen lagern sich in Zellkulturen zu dreidimensionalen Zellverbänden, sogenannten Pankreas-Organoiden zusammen.
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Die Zulassungseignung ist genau der springende Punkt. Denn grundsätzlich funktioniert die Methode bereits. Die Forscher können Stammzellen in Kultur nehmen, die sich nach Transplantation im Tiermodell zu insulinproduzierenden Zellen entwickeln. In Kultur lagern sich die Zellen von selbst zu Strukturen zusammen, die die Situation im Ursprungsgewebe imitieren. „Es entstehen mehr oder weniger runde, epithelartige Pankreas-Organoide, die innen hohl sind und damit dem Bauchspeicheldrüsengang entsprechen, aus dem die Zellen stammen“, sagt Angres. Als Trägersubstanz für die Zellkultur verwenden die Forscher bisher eine Matrix, die aus gereinigtem Tumorgewebe von Mäusen stammt. Sie enthält natürlicherweise Bestandteile der extrazellulären Matrix, die das Zellwachstum fördern.
Das ist für Forschungskulturen ideal, lässt sich jedoch nicht für therapeutische Anwendungen am Menschen nutzen. „Der Aufwand ist viel zu groß, um die Trägersubstanz für den therapeutischen Einsatz zu charakterisieren und genehmigen zu lassen. Problematisch ist nicht nur die tierische Herkunft, sondern auch, dass viele unbekannte Komponenten, darunter auch nicht identifizierte Wachstumsfaktoren, enthalten sind“, erklärt Angres. Deshalb entwickelt Cellendes eine artifizielle Matrix auf Hydrogel-Basis mit genau definierter Zusammensetzung. Auf solche Spezialanforderungen hat sich Cellendes spezialisiert: Das Unternehmen verfügt über ein Baukastensystem verschiedener Polymere, die je nach Aufgabe miteinander kombiniert und vernetzt werden. Für dieses Projekt soll die Matrix außerdem biomimetisch so modifiziert werden, dass die Zellen wachstumsfördernde biochemische Signale erhalten.
Zellen sollen über Rezeptoren an die Matrix binden
Cellendes verfügt über einen Baukasten an Komponenten, die je nach Anforderung zu chemisch genau definierten Hydrogelen zusammengefügt werden.
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„Wir wollen kurze Peptide aus Proteinen der extrazellulären Matrix einbauen – mit einem Aminosäure-Motiv, an das Rezeptoren der Zelloberfläche binden können“, sagt Angres. Diese Bindung soll intrazellulär Signalwege anschalten, um das Zytoskelett umzuorganisieren und die Zellen auf Wachstumskurs zu bringen. Wie genau das Hydrogel zusammengesetzt sein muss, um optimale Wachstumsbedingungen zu schaffen, erforscht das Cellendes-Team in seinem Teilprojekt. Da das Ziel eine Massenvermehrung von Zellen ist, gibt es noch eine weitere Herausforderung: Die Zellen müssen mit fortschreitender Vermehrung aus Platzgründen immer wieder in neue Kulturgefäße passagiert werden. Das heißt, die Organoide müssen aus dem Gel herausgelöst, zerteilt und dann in frische Matrix überführt werden. Cellendes verfügt über vielfältige enzymatische und chemische Methoden, die dafür in Frage kommen – das optimale Vorgehen wird im Laufe des Projekts erarbeitet.
Der multinationale Forscherverbund wird von einer Gruppe der Universität Frankfurt koordiniert. Hier werden Methoden der Lichtblatt-Mikroskopie so verfeinert, dass damit die Cellendes-Matrix mitsamt der Zellen genauestens charakterisiert werden kann. Das Frankfurter Team will auch in Zusammenarbeit mit dem Gordon Institute, einem der beiden Partner an der Cambridge University, die Differenzierung der Stammzellen anhand von Biomarkern analysieren. Das Spendergewebe stellen klinische Partner von der Cambridge University bereit, die auch die Untersuchungen am Mausmodell durchführen. Beteiligt ist zudem eine Gruppe von Klinikern in Mailand, die das Verfahren für eine erste klinische Studie am Menschen vorbereiten wird. Ergänzt wird der Verbund durch industrielle Partner in den Niederlanden, der Schweiz und in Frankreich, wo eine Webseite (siehe Link LSFM4LIFE unter Weitere Informationen) mit laufenden aktuellen Informationen bereitgestellt wird. Das Projekt wird insgesamt über einen Zeitraum von vier Jahren mit 5,1 Millionen Euro durch die EU gefördert.
„Wir sehen in dem Projekt eine große Chance, Diabetes Typ 1 nachhaltig therapieren zu können. Ob es eine vollständige Heilung geben kann, ist jedoch noch offen. Wir hoffen, durch Implantieren der Zellen zumindest einen Teil des akuten Mangels an Insulin abfedern zu können“, fasst Angres zusammen und freut sich natürlich auch über den Nutzen für ihr Unternehmen. „Für uns als Biotech-Firma ist das Projekt eine hervorragende Gelegenheit, unser Hydrogel-System weiterzuentwickeln. Es ist unser Ziel, dann weitere Kulturen auf Basis anderer Stammzellen und Organoide zu ermöglichen. Interessant wäre zum Beispiel eine Matrix für Darm-Organoide, die auch für Hochdurchsatz-Screenings im Rahmen von Wirkstoff-Tests geeignet ist.“