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Chancen, Nutzen und Risiken liegen nah beieinander

Unerwünschte Nebenwirkungen, die die Arzneimittelsicherheit infrage stellen, bedeuten nicht unbedingt das Aus für die Entwicklung eines Wirkstoffs. Wie man das zunächst wenig willkommene Ergebnis für neue Chancen nutzt, beweist der „Fall“ eines Wirkstoffes, der von der Tübinger c-a-i-r biosciences GmbH entwickelt wurde und jetzt unter neuem Fokus weiterentwickelt wird.

Selbst angewandte Forschung zielt ein Stück weit ins Ungewisse und hält immer wieder Überraschungen bereit. Das gilt auch für die Arzneimittelforschung. Das Team der c-a-i-r biosciences GmbH entwickelte einen neuen Wirkstoff, der antientzündlich wirkt und grundsätzlich zur Behandlung verschiedener Autoimmunkrankheiten eingesetzt werden kann. Das Wirkprinzip besteht darin, dass bestimmte Immunzellen durch Hemmung eines Schlüsselenzyms daran gehindert werden, verschiedene Entzündungsfaktoren (Zytokine) auszuschütten.

Prof. Dr. Stefan Laufer lehrt und forscht am Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen. Er ist Gesellschafter und Mitgründer der c-a-i-r biosciences GmbH. © privat

„Mit diesem Projekt, das heißt der chemischen Synthese und pharmakologischen Charakterisierung von Wirkstoffen, die besagtes Schlüsselenzym möglichst selektiv hemmen, haben wir 1999 begonnen und es später im Rahmen der BioProfile-Förderung weiterverfolgt. 2005 haben wir eine vielversprechende Verbindung als klinischen Entwicklungskandidaten identifiziert und in enger Kooperation zwischen dem Institut für Pharmazeutischen Chemie der Uni Tübingen und der Firma c-a-i-r weiterentwickelt“, sagt Prof. Dr. Stefan Laufer, Mitgründer und Gesellschafter der c-a-i-r biosciences GmbH. Auf Grundlage der Ergebnisse nichtklinischer Krankheitsmodelle könnte die neue Substanz mit dem Laborcode CBS-3595 zur Behandlung von rheumatoider Arthritis, Schuppenflechte (Psoriasis) oder auch entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt werden – so die Hoffnung der Wirkstoff-Entwickler.

CBS-3595 gedieh unter den Händen der Forscher und zeigte positive Testergebnisse. „Der Wirkstoff-Kandidat war trotz moderater Enzymaktivität in Entzündungsmodellen stark wirksam, und die erste klinische Phase-I-Studie an gesunden Menschen verlief erfolgreich“, bestätigt c-a-i-r-Geschäftsführer Dr. Wolfgang Albrecht. So konnte bei sehr gut verträglicher Dosierung ex vivo eine merkliche Senkung des Entzündungsparameters TNF-alpha beobachtet werden. Bei höheren Dosierungen wurde allerdings, wie auch in manchen Tierspezies, eine gastrointestinale Unverträglichkeit beobachtet, die mit dem Wirkmechanismus nicht zu erklären war. Derartige Nebenwirkungen wären bei akut lebensbedrohenden Krankheiten wie Krebs unter Umständen hinnehmbar, bei einer der angepeilten Indikationen jedoch nicht. „Bei chronisch entzündlichen Krankheiten würden Patienten den Wirkstoff über lange Zeiträume täglich einnehmen, aber eben nur dann, wenn das Arzneimittel nicht nur die erwünschte Wirkung zeigt, sondern auch ein akzeptables Nebenwirkungsprofil aufweist. Ein Medikament, das nach Einnahme Übelkeit hervorruft, und sei es nur über einen kurzen Zeitraum, erfüllt dieses Anforderungsprofil nicht“, erklärt Albrecht.

Arzneimittelsicherheit ist erstrangig, Wirkung zweitrangig

Nun legten die Forscher den neuen Wirkstoff glücklicherweise nicht zur Seite, sondern erforschten akribisch die genauen Wirkmechanismen. „Unser Kandidat greift in zwei verschiedene Reaktionswege so ein, dass die Produktion des wichtigsten Entzündungsmediators, des Zytokins TNF-alpha, in der Zelle gehemmt wird“, so Laufer. Auf dem einen Weg hemmt der Wirkstoff die Aktivität des Enzyms p38-MAP-Kinase und auf dem anderen die Aktivität des Enzyms Phosphodiesterase-4 (PDE-4). Im Fokus der Forscher war nur die Suche nach Wirkstoffen, die die p38-MAP-Kinase hemmen. Dass auch PDE-4-Hemmer die TNF-alpha-Bildung hemmen und zur Behandlung der chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD) oder einer mit Hautentzündungen einhergehenden, speziellen Form der Arthritis (psoriatische Arthritis) klinisch entwickelt werden, war bekannt. Allerdings zeigen alle PDE-4-Hemmstoffe bei höherer Dosierung die auch bei CBS-3595 beobachtete Magenunverträglichkeit. Die Optimierung der Dosierung von Patienten mit diesen Wirkstoffen gestaltet sich schwierig und bis heute hat erst ein PDE-4-Hemmstoff die Zulassung zur Behandlung von COPD erreicht.

Duale P38-MAP-Kinase-/ PDE-4-Hemmstoffe wirken potenziell additiv beziehungsweise synergistisch. © c-a-i-r biosciences GmbH
Dr. Wolfgang Albrecht bringt seine jahrelangen Erfahrungen als Entwicklungsleiter für Wirkstoffe in der Pharmaindustrie seit 2006 als Geschäftsführer in die c-a-i-r Biosciences GmbH ein. © privat

In akuten Entzündungsmodellen zeigt CBS-3595 eine bessere Hemmung der TNF-alpha-Produktion als der parallel getestete PDE-4-Hemmstoff, so dass laut Albrecht bei aller angebrachten Vorsicht, die Einschätzung erlaubt ist, dass die duale Hemmung von p38-MAP-Kinase und PDE-4 eine additive therapeutische Wirkung hat. „Die zunächst für die weitere Entwicklung als sehr problematisch eingestufte gastrointestinale Unverträglichkeit von CBS-3595 könnte sich im Nachhinein als Glücksfall für die weiteren Entwicklungschancen erweisen“, so Albrecht. Denn aus der einfachen Gegenüberstellung von Indikationen, in denen reine p38-MAP-Kinase- und PDE-4-Hemmstoffe geprüft wurden, lässt sich ableiten, dass die Hemmung beider Signalwege einen therapeutischen Vorteil liefern könnte.

Albrecht ist mit seinem Team jetzt auf der Suche nach dem optimalen Wirk-Kompromiss, der zu einem guten Arzneimittel führt und womöglich eine komplett neue Wirkstoff-Klasse hervorbringt. Im Grunde ist es ein Spiel mit den Kombinationsmöglichkeiten der beiden Wirkmechanismen. Das Team ist dem synergistischen Effekt beziehungsweise der additiven Wirkung auf der Spur. Inzwischen stehen vier Nachfolge-Kandidaten des Wirkstoffs zur Verfügung, die jeweils einen unterschiedlichen Anteil an beiden Wirkmechanismen aufweisen und die auf molekularer Ebene effizienter wirken als die Ausgangssubstanz. „Wir erforschen, ob wir mit einer moderaten PDE-4-Wirkung einen besseren Effekt bei Entzündungskrankheiten wie COPD erreichen können. Hier spielt der PDE-4-Weg eine größere Rolle als bei den zunächst angepeilten Indikationen“, sagt Albrecht.

Nebenwirkungen können im Laufe einer Dauer-Medikation auch abnehmen

Die Dosis-Wirkungs-Untersuchungen im Tiermodell zeigten bereits einen interessanten Aspekt: „Hinsichtlich der gastrointestinalen Unverträglichkeit sehen wir mit unserem Kandidaten bei wiederholter Verabreichung eine Toleranzentwicklung – ein Effekt, der auch mit anderen PDE-4-Inhibitoren bereits beschrieben wurde“, sagt Albrecht. Inwieweit sich dies für die klinische Entwicklung als zusätzlicher Vorteil erweisen könnte, muss noch näher untersucht werden. Es könnte aber bedeuten, dass die wichtigste Nebenwirkung im Verlauf einer chronischen Wirkstoff-Verabreichung abnimmt, was den Wirkstoff mit dualer Hemmung aus Sicht der Arzneimittelsicherheit insgesamt noch akzeptabler machen würde.

Zurzeit sind die c-a-i-r-Forscher dabei, ihre Substanzen weiter zu entwickeln, Analoga herzustellen, weitere Toxizitätstests durchzuführen und geeignete Arzneimittel-Formulierungen zu entwickeln. Für die weitere Karriere der Kandidaten und die anstehende Phase II der Wirkstoffentwicklung ist c-a-i-r jetzt auf der Suche nach geeigneten Kooperationspartnern. „Wir stellen uns eine Entwicklungspartnerschaft vor, gerne mit einem KMU aus der Pharmabranche. Das Ziel sind zunächst Follow-up-Moleküle mit verbesserten Eigenschaften“, konkretisiert Laufer das weitere Vorgehen.

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