Christina Wege - von Pflanzenviren zu Biomaterialien
Pflanzenviren sind biotechnologisch vielseitig für den Menschen nutzbar. Sie geben unter anderem gute Gerüststrukturen für bioaktive Moleküle ab, was künftig Implantate verbessern könnte. Diese und weitere Optionen der für Menschen unschädlichen Viren erforscht Prof. Dr. Christina Wege an der Universität Stuttgart.
Prof. Dr. Christina Wege forscht und lehrt seit 1994 auf dem Gebiet der Pflanzenvirologie an der Universität Stuttgart.
© privat
„Wir essen sie praktisch täglich mit, sie sind in Gurken, Tomaten und Kartoffeln ebenso präsent wie im Obst. Und in Form des Tabakmosaikvirus werden sie mitgeraucht“, sagt Prof. Dr. Christina Wege vom Biologischen Institut der Universität Stuttgart über Pflanzenviren. Sie hat die Winzlinge zum Zentrum ihres Forscherlebens gemacht. Dabei hatte sie sich die Entscheidung für eine wissenschaftliche Karriere lange offen gehalten. Wege studierte an der Universität Hamburg Diplom-Biologie und parallel dazu Journalistik, ein spezielles Hamburger Zusatzstudium mit Abschlusszertifikat. Trotz spannender praktischer Erfahrungen bei PR-Agenturen und dem NDR entschied sich Wege dann aber doch für die biologische Forschung. „Pflanzenkrankheiten haben mich tatsächlich schon als Kind fasziniert, seit mir ein Freund der Familie Einblick gab in seine Arbeit für das schleswig-holsteinische Pflanzenschutzamt“, sagt die Forscherin.
Wege schrieb ihre Doktorarbeit Ende der 90-er Jahre über Geminiviren, genauer gesagt über die Funktion unterschiedlicher Virusproteine. Zu dieser Zeit war sie mit Prof. Dr. Holger Jeske und anderen Kollegen aus seiner Arbeitsgruppe bereits an die Universität Stuttgart gewechselt. Die Gruppe der Geminiviren ist nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern umfasst landwirtschaftlich hoch relevante Erreger von Pflanzenkrankheiten. „Geminiviren sind weltweit für große Schäden und Ernteverluste verantwortlich. Zum Beispiel kann in weiten Gebieten Indiens und Afrikas die Maniok-Ernte ausfallen, wenn die vom Virus befallenen Pflanzen keine Wurzelknollen mehr bilden und regelrecht verkümmern“, so Wege.
Nanotechnologen entdecken den Nutzen von Pflanzenviren
Die Forschungsarbeit von Prof. Dr. Wege konzentriert sich unter anderem auf TMV, das Tabakmosaikvirus; hier ein befallenes Tabakblatt.
© Christina Wege, Uni Stuttgart
Wege hat mit ihrer grundlagenorientierten molekularbiologischen Forschung einen Teil dazu beigetragen, das Virusgeschehen zu entschlüsseln und Ansatzpunkte zur Virenbekämpfung zu finden. So hat sie mit ihrem Team herausgefunden, dass die Viren das Pflanzengewebe wesentlich stärker durchdringen, wenn sie in Kombination auftreten, wenn also zwei oder mehr Virusarten zugleich am Werk sind. „Das kann zum Beispiel vorkommen, wenn Insekten mehrere Viren übertragen. Ein Virus kann dann von den Tricks profitieren, mit denen das andere Virus den pflanzlichen Abwehrmechanismus ausschaltet, und sich quasi unbemerkt mit in das Pflanzengewebe einschleichen. Eventuell können hier Bekämpfungsstrategien ansetzen, wenn wir Schutzreaktionen der Pflanze auf molekularbiologischem Weg stabilisieren“, erklärt Wege.
Biotechnologisch lassen sich die verschiedensten Virenkonstrukte herstellen. Hier ein Morgenstern-artiges Gebilde mit Goldpartikeln am Ende der „Zacken". Der „Nukleoprotein-Gold Nanostar" entstand in Weges Labor.
© Christina Wege, Uni Stuttgart
Obwohl solche Arbeiten für die Landwirtschaft enorm wichtig sind, gibt es laut Wege weltweit nur noch wenige Arbeitsgruppen, die Pflanzenviren molekularbiologisch erforschen. Das liegt ihrer Meinung nach unter anderem daran, dass die großen Schäden weniger die industrialisierten Regionen betreffen, sondern vor allem südliche, wirtschaftlich weniger starke Länder. „Die großen Förderschwerpunkte sind international nun einmal an anderen Themen orientiert“, so Wege. Das könnte sich jedoch bald ändern, denn die Nano- und Biotechnologen sind gerade dabei, den vielfältigen Nutzen von Pflanzenviren zu entdecken. Seit einigen Jahren hat auch Wege ihrer Arbeit einen neuen Schwerpunkt hinzugefügt und entwickelt virusbasierte Strukturen für medizinische und technische Anwendungen. Dabei kommt vor allem das Tabakmosaikvirus, kurz TMV, zum Einsatz.
Nano-Drähte, -Bumerangs und -Morgensterne
TMV besteht aus einer steifen, rund 300 Nanometer langen Röhre, bei der Hüllproteine eine innenliegende RNA umgeben. „Auf 100 Nanometer Viruslänge kommen rund 700 TMV-Hüllproteine, die so mit der RNA wechselwirken, dass diese eine in den Proteinmantel eingebettete helikale Wendel bildet“, so Wege. Sie hat es mit ihrem Team geschafft, die Hüllproteine biotechnologisch derart zu verändern, dass Kooperationspartner aus der Chemie im Lumen der Virusröhre Metalle so effizient abscheiden können, dass winzige, nur drei Nanometer dicke „Nanodrähte“ aus Kuper, Nickel, Kobalt oder Legierungen entstehen. Diese könnten zum Beispiel in der Sensor- oder Nanoprozesstechnologie einsetzbar sein.
Prof. Dr. Christina Wege macht aus Pflanzenviren Funktionsträger für die verschiedensten Anwendungen. Hier ein Monofunktionsstäbchen, bei dem ein Teil des Viruskonstruktes mit funktionellen Gruppen versehen wurde.
© Christina Wege, Uni Stuttgart
Mit veränderter, synthetisch hergestellter Virus-RNA und TMV-Proteinen lassen sich auch noch ganz andere Formen schaffen. Die Stuttgarter Forscher haben bereits „Nano-Bumerangs“ mit definierten Armlängen hergestellt und sternchenartige Strukturen, die an mittelalterliche Morgensterne erinnern. „Wir haben uns einen Baukasten erarbeitet, mit dem wir die unterschiedlichsten Konstrukte herstellen können, sei es gerade in definierter Länge, geknickt oder verzweigt“, sagt Wege. Außerdem lassen sich ganz unterschiedliche Andockstellen einbauen. Und hier wird es medizinisch interessant. Den Konstrukten können zum Beispiel Ankergruppen für Peptide verpasst werden, die mit Enzymen, Antikörpern oder medizinischen Wirkstoffen gekoppelt werden können. Zum einen zielt das auf eine Anwendung in Testsystemen, zum anderen auf Systeme zur Wirkstoffverabreichung, etwa in Bioimplantaten oder zur Tumortherapie. Der große Vorteil der virusbasierten Konstrukte: Die gewünschten Moleküle lassen sich auf den Röhren mit ihren hunderten von Proteineinheiten in starrer, definierter Anordnung und viel dichter nebeneinander anbinden als auf anderen Oberflächen oder flexiblen Trägern – Ebenen oder Fasern können laut Wege technisch nicht so dicht und vorhersagbar bestückt werden.
Seit Neuestem ist Wege gemeinsam mit Prof. Dr. Günther Tovar vom Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie IGVP Koordinatorin des Verbunds „Projekthaus NanoBioMater“ der Universität Stuttgart, das von der Carl-Zeiss-Stiftung gefördert wird. Ziel ist die Entwicklung von neuartigen Hydrogelen als biologische Funktionsmaterialien. Wege will dafür Viruskonstrukte beisteuern und nennt medizinische Beispiele für den Nutzen. „Es ist zum Beispiel möglich, Peptide an die Viruskonstrukte anzubinden, die eine Differenzierung von Knochenmarkzellen unterstützen. Das wurde bereits von anderen gezeigt. Außerdem könnten in einem implantierbaren Hydrogel Peptide an die Virenstrukturen gebunden werden, die eine Biomineralisierung vermitteln und dadurch zur Knochenheilung beitragen.“ Zweite Zielrichtung ist die Entwicklung neuer aktiver Materialien, die zu hochempfindlichen Biosensoren und kontrollierten Katalysesystemen zur Herstellung komplexer Substanzen führen könnten.
Virale Konstrukte als Gerüstsubstanz und Wirkstoff-Shuttle
Ein Ziel im „Projekthaus NanoBioMater" der Uni Stuttgart ist die Entwicklung von Hydrogelen mit Tabakmosaikvirus-basierten Gerüst- und Funktionskomponenten.
© Christina Wege, Uni Stuttgart
Auch im Bereich der Tumormedizin könnten Pflanzenviren gute Dienste leisten - Studien verschiedener Labors aus aller Welt verlaufen vielversprechend. „TMV-Konstrukte zeigen ebenso wie solche des Kartoffelvirus X eine Tendenz Tumorgewebe anzusteuern, wenn man sie über das Blut injiziert - was wir nun mit einem Partner in den USA genauer untersuchen wollen“, verrät Wege. Da liegt es nahe, neben den Kartoffelviren auch die Tabakviren zur Bildgebung in der Onkologie zu nutzen. Konstrukte mit Fluoreszenzmarkierung werden dafür bereits bei der Maus erprobt.
Noch ist es Zukunftsmusik, aber Wege könnte sich auch vorstellen, TMV-Konstrukte zu entwickeln, die mit Wirkstoffen bestückt gezielt Tumoren ansteuern. Gesundheitliche Schäden sind von den Pflanzenviren jedenfalls nicht zu erwarten. Allenfalls könne es bei hohen Konzentrationen zu allergischen Reaktionen kommen, meint Wege, beschreibt aber gleich die derzeit aussichtsreichste Präventiv-Methode. „Zwischen den funktionellen Kopplungsstellen lassen sich die Nanoröhrchen mit Polyethylenglycol beschichten. Dadurch wird der Zellkontakt zu Hüllproteinen minimiert.“
Die faszinierenden Nutzungsmöglichkeiten von Pflanzenviren bringt Wege auch in die Lehre ein, etwa im Master-Modul Pflanzenvirologie mit seinem dreiwöchigen Laborpraktikum. Ab dem Wintersemester 2014/2015 wird Wege außerdem eine Spezialvorlesung zum Thema „Nanobiotechnik mit Pflanzenviren“ anbieten und hier die neuesten Erkenntnisse aus der Forschung vermitteln. Für den Nachwuchs engagiert sie sich zudem als Fachstudienberaterin und als Koordinatorin für den Studiengang Technische Biologie. Ihr wichtigster Rat an die nächste Forschergeneration: „Macht das, was euch Spaß macht, dann werdet ihr es auch gut machen.“