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Christine Goffinet: unabhängige und erfolgreiche AIDS-Forscherin

In ihrer jungen Karriere hat Christine Goffinet schon etliche Preise für ihre Arbeiten zur AIDS-Forschung eingeheimst. Jüngst erhielt die 36-jährige Biologin vom Ulmer Institut für Molekulare Virologie das Margarete von Wrangell-Habilitationsstipendium für herausragende Nachwuchsforscherinnen. Zuvor jedoch schlug sie einen Weg ein, der verglichen mit den vielfach systematisch geplanten wissenschaftlichen Lebensläufen zumindest aus der Reihe fällt.

AIDS-Forscherin Dr. Christine Goffinet. © Uni Ulm

Denn der gebürtigen Bretonin stand nach dem Abitur der Sinn nicht nach Studieren, nicht nach Theorie; viel lieber wollte sie mit Menschen arbeiten. Also ließ sie sich zur Hotelfachfrau ausbilden, was ihr viel Spaß machte. Was sie auf den Weg der Wissenschaft führte, kann sie auch heute noch schwer erklären, aber sie weiß: „Hätte ich diese Ausbildung nicht gemacht, wäre ich jetzt nicht hier", in den Laboren des lebenswissenschaftlichen Forschungsgebäudes am Oberen Eselsberg der Ulmer Universität.

Doch die fehlende Aussicht auf Aufstiegsmöglichkeiten und die Routine immer wiederkehrender Arbeitsabläufe führten Christine Goffinet zu ihrer „zweiten Liebe", der Biologie, der sie treu blieb. Endgültig Feuer für die Wissenschaft gefangen hatte sie bei ihrer Diplomarbeit zu einem immunologischen Thema, die sie 2003 an der Hamburger Universität abschloss. Christine Goffinet hatte ihre Berufung gefunden, war vom Wissenschafts-Virus infiziert. Zur AIDS-Forschung kam sie erst an der Heidelberger Universität, wo sie im Labor von Oliver Keppler (heute Frankfurt) sieben Jahre bis Herbst 2010 arbeitete.

Ihre Doktorarbeit heimste gleich einen Preis ein

In ihrer Doktorarbeit („da blühte ich richtig auf“) versuchte sie sich gleich am heiligen Gral der AIDS-Forschung, einem Kleintiermodell. Im Heidelberger Labor ihres Doktorvaters Oliver Keppler gab es schon Vorstudien zu transgenen Ratten, die auf bestimmten Immunzellen den Rezeptor-Corezeptor-Komplex trugen, an dem das HI-Virus binden kann. Für die Entwicklung des Kleintiermodells erhielt sie 2007 zusammen mit ihrem Doktorvater (heute Uni Frankfurt/Main, Medizinische Virologie) den AIDS-Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie. Mit diesem transgenen Kleintiermodell war es erstmals möglich, die frühen Schritte der HIV-Replikation zu verfolgen und alle Wirkstoffe, die diese frühe Phase beeinflussen, wie beispielsweise Fusionsinhibitoren oder Integrase-Inhibitoren, zu testen. Diese Tests waren zuvor ausschließlich an nicht-humanen Primaten möglich, waren extrem aufwendig, langwierig und ethisch umstritten.

Als Postdoc wechselte sie zwar nicht den Ort (Heidelberg), wohl aber das Thema und stürzte sich auf Tetherin. Dieses interferonvermittelte Protein war soeben (2008, doi: 10.1038/nature06553) als HIV-1-Hemmer entdeckt worden und versprach jede Menge Forschungslorbeeren. Das Protein zählt zu den sogenannten Restriktionsfaktoren, die sich ein Wettrüsten mit dem anpassungsfreudigen HI-Virus liefern. Gerade eine Handvoll dieser zellulären Hemmer, von denen man mehrere Hundert im Menschen vermutet, sind bekannt. Der große Rest ist unbekannt - vor allem deshalb, weil ihr antiviraler Effekt immer verdeckt ist. Oft erkennt man diese Inhibitoren nur, wenn man ihren viralen Gegenspieler ausschaltet, indem man beispielsweise Mutanten des Virus verwendet, die diesen Gegenspieler nicht exprimieren. Dazu muss man ernst zu nehmende Hinweise dafür haben, dass ein Protein möglicherweise antivirale Wirkung hat.

Aus Tumorprotein wird ein möglicher HIV-Hemmer

90K ist ein interferonstimuliertes Protein: Fluoreszenzbasierter Nachweis an primären Makrophagen. Bild oben: unbehandelt, Bild unten: mit IFN-alpha behandelt. © Goffinet

Seit November 2010 leitet Christine Goffinet, die inzwischen verheiratet und Mutter einer Tochter ist, eine unabhängige Nachwuchsgruppe am Institut für Molekulare Virologie der Universität Ulm. Im Zentrum ihrer Forschung steht die Charakterisierung antiviraler Eigenschaften Interferon-stimulierter Gene. Mittlerweile heißt das neue Objekt ihrer Forscherbegierde 90K, womit sie das seit April 2013 laufende Habilitationsstipendium eingeworben hat.

90K hat sie mithilfe eines vereinfachten Screens „gefischt". Die Suche nach antiviralen Proteinen grenzte sie auf zwei typische Merkmale ein:  Interferoninduktion und erhöhte Expression in HIV-Infizierten. Vier dieser Proteine, die auf einer Relevanzliste weit oben standen, hat sie herausgepickt, hängen blieb beim Screen 90K. „Glück war auch dabei, denn ich bin kein Freund dieser riesigen Screens", schiebt sie erklärend nach.

Bevor sich Goffinet mit 90K eingehend beschäftigte, war Folgendes bekannt: Sein ihm zugrundeliegendes Gen ist tumorassoziiert, fand sich zuerst im Serum von Krebspatienten. 90K zählt zu den sekretorischen Proteinen, taucht nicht nur in Zellen, sondern auch im Blut und in Körperflüssigkeiten wie Tränen, Muttermilch oder Sperma auf. 90K lässt sich gut nachweisen und findet sich hochreguliert in HIV-Patienten, sowohl auf Protein- als auch auf mRNA-Ebene. 90K ist ein extrem glykosiliertes interferonabhängiges Protein, das aus rund 600 Aminosäuren besteht.

Den prosaischen Namen hat "Goffinets Protein" wegen seines Molekulargewichts erhalten. Geläufig ist es auch unter dem Namen LGALS3BP. Das humane Protein ist ein sogenanntes Galectin, gehört zur Familie vonβ-Galactosidase-bindenden Proteinen, die eine Rolle bei der Modulierung von Zell-Zell- und Zell-Matrix-Interaktionen spielen (National Center for Biotechnology, https://www.gesundheitsindustrie-bw.dewww.ncbi.nlm.nih.gov/gene/3959, Stand: 9.6.2013).

Der lange, erfolgreiche Weg zur Evidenz

90K heißt ein neuer Restriktionsfaktor, den Christine Goffinet charakterisiert. Er hat antivirale Wirkung, macht Viren weniger infektiös (rechts). © Goffinet

In Zellkulturstudien suchte und fand Christine Goffinet inzwischen deutliche Hinweise für die antivirale Wirkung des 90K-Proteins. In eine humanen Zelllinie brachte sie ein provirales HIV-Plasmid ein, was zur Expression von 90K führte. Das Ergebnis zeigte ihr, dass sie auf der richtigen Spur war: Zwar wurden Viren produziert, aber ihre Infektiosität war so gering, dass sie keine neuen Zellen befallen konnten. Der Umkehrversuch bestätigte den ersten: Beim Gegenversuch wurde eine Zelllinie verwendet, bei der die 90K-Expression unterdrückt wurde (mittels siRNA). Das Ergebnis bestätigte Goffinets Vermutung: Dort, wo die 90K-Expression ausgeschaltet war, werden die Viren wieder infektiöser. Wie die Untersuchung der Viren aus dem Kulturüberstand zeigte, war die Bildung eines viralen Hüllproteins gestört.

Nach diesem aufschlussreichen Befund startete Goffinet Mutationsstudien, um zu klären, welche der Domänen von 90K für die antvirale Wirkung relevant sind. Inzwischen hat die Forscherin herausgefunden, dass die Expression der zwei mittleren von vier Domänen zur Entfaltung der antviralen Wirkung ausreicht. Weitere Mutationsstudien sollen die Regionen antiviraler Aktivität auf ihr kleinstmögliches Optimum eingrenzen, also ausschließlich auf die Region mit antiviraler Wirkung.

Damit wäre die Grundlage geschaffen für die Synthese eines therapeutischen Peptids oder eines small molecule. Eine Entdeckung im Rahmen eines Spezies-Vergleichs könnte Goffinets Arbeit beschleunigen. Denn das humane 90K weist auf Ebene der Aminosäuren eine hohe Ähnlichkeit mit dem Pendant in Rhesus-Makaken auf. Sind die wenigen Unterschiede gefunden, hofft Goffinet die für den antiviralen Effekt verantwortlichen Aminosäuren zu identifizieren.

90K hat einen viralen Widerpart

Unterdessen mehren sich die Hinweise, dass die Ulmer Nachwuchsforscherin mit ihrem antiviralen Protein 90K den richtigen Weg eingeschlagen hat. Erste Studien an primären Zellen, an direkt aus dem Blut isolierten Makrophagen, haben den antiviralen Effekt von 90K bestätigt und damit artifizielle Effekte der ersten Zelllinien-Versuche ausgeschlossen. Gerade laufen Studien mit für die HIV-1-Forschung wichtigen CD4-Primärzellen.

Eine Bestätigung, dass 90K eine hohe Bedeutung in der Virusabwehr hat, wäre das Auffinden eines Gegenspielers im HI-Virus. Denn zu jedem bekannten Restriktionsfaktor gibt es Gegenspieler - im Fall von HIV sind dies akzessorische Proteine wie vif, vpu oder nef. Den ersten entdeckten Forscher übrigens vor zehn Jahren. Auch diesen Meilenstein ihrer Forschung hat Goffinet mittlerweile erreicht. „Die Evidenz für den viralen Antagonisten ist da“, sagt sie. Mehr will sie nicht verraten, weil dieser wichtige Befund Gegenstand einer Publikation sein wird.

Noch tragen Goffinets Daten nur funktionellen Charakter. Welche perfiden Gegenstrategien das HI-Virus gegen 90K genau einsetzt, um dieses antivirale Schutzprotein auszuschalten, weiß die Ulmer AIDS-Forscherin noch nicht. Dazu muss erst der Antagonismus verstanden werden. Erst dann ließe sich ein künstliches 90K entwickeln, möglichst klein, mit langer Halbwertszeit, guter Pharmakokinetik, und antagonismusresistent, so beschreibt sie selbst ihr Fernziel. Möglicherweise reicht aber ein einziger, künstlich modifizierter Restriktionsfaktor nicht aus, um die viralen Gegenspieler auszuschalten. Das könnte nach Goffinets Meinung eher ein Cocktail antiviraler Hemmer erreichen.

"Ich bevorzuge das Entdecken, Abgrasen"

Christine Goffinet gehört nicht zu den Forschern, die sich ein Leben lang mit einem Molekül beschäftigen wollen. „Ich bevorzuge das Entdecken, Abgrasen“, sagt sie freimütig. Steten Themenwechsel schätzen indes nicht alle Geldgeber. Sie geben Geld lieber für Projekte, deren Ergebnisse man im Grunde schon kennt. „Es wäre wohl einfacher gewesen, wenn ich bei einem Thema geblieben wäre“, sagt die Forscherin. Das war auch der Grund für ihren Wechsel nach Ulm. „Ich wollte immer unabhängig bleiben, mich immer ausprobieren."

So überrascht nicht, dass sie neben 90K ein weiteres Projekt ihrer AIDS-Forschung vorantreibt: Sie hat beobachtet, dass die bloße Fusion des Virus mit der befallenen Zelle schon ausreicht, um der Zelle Pathogenität zu signalisieren und die interferonvermittelte Immunabwehr anzuwerfen. Daten, die sie mit einem Zell-Zell-Fusionsassay gewonnen hat, belegen dies.

Am Ulmer Eselsberg hat sie zunächst noch fast fünf Jahre Zeit für ihr antivirales 90K-Protein. Am Institut des renommierten AIDS-Forschers Frank Kirchhoff besitzt sie die Unabhängigkeit, autark ihre Projekte durchzuziehen. Die nächste Stufe auf ihrer wissenschaftlichen Karriereleiter ist eine W3-Professur. Damit zählt sie wohl zu den wenigen Hotelkauffrauen mit Aussicht auf höchste akademische Weihen.

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