Chrystelle Mavoungou: Studierende dringen in den Kern der Arzneimittelforschung vor
Die Chemikerin Prof. Dr. Chrystelle Mavoungou lehrt an der Biberacher Fakultät für Biotechnologie „Regulatory Affairs“ und pharmazeutische Qualität. In der öffentlichen Wahrnehmung mögen das eher spröde Pharma-Themen sein. Studierende und Nachwuchsforscher der Pharmazeutischen Biotechnologie erfahren indes rasch, dass sie damit in den Kern der Arzneimittelforschung vordringen.
Dass es für den Bereich Regulatory Affairs, der in der Arzneimittelentwicklung die Präklinik bis zur Phase IV der klinischen Entwicklung umfasst, keinen angemessenen deutschen Begriff gibt, mag Zufall sein. Nach Mavoungous Erfahrung werden die Regulatory Affairs selbst innerhalb der pharmazeutischen Betriebe unterschiedlich verstanden.
Diskrepanz von öffentlicher Wahrnehmung und tatsächlicher Bedeutung
Zulassungsexpertin Prof. Dr. Chrystelle Mavoungou
© Hochschule Biberach
Die Studiendekanin für Pharmazeutische Biotechnologie kennt aber auch die Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und tatsächlicher Bedeutung ihrer Lehr- und Forschungsgebiete. Immer noch beherrschen Forscher mit Arbeiten über Wirkstoffe oder Zielstrukturen die Schlagzeilen der Fachpresse. Tatsächlich beginnt aber erst hier der entscheidende, hochselektive Prozess; zuvor in hochrangigen Journals gefeiert, scheitern Arzneimittelkandidaten still und ohne publizistisches Getöse an Hürden, weil zum Beispiel Applikationsform und Darreichung nicht passen.
In der Forschung arbeitet Chrystelle Mavoungou eng mit ihrer Biberacher Kollegin Katharina Zimmermann, Professorin für Molekulare Pharmakologie, zusammen. Es ist eine Kooperation, die biomedizinische Forschung mit „operativer" Expertise wie GMP-Kriterien (Quality by Design oder Process Analytical Technology) verbindet. Was Zimmermann erforscht, validiert und sichert Mavoungou – Forschung also, die stets auf ihre translationale Eignung überprüft wird. Derzeit konzentriert sich das synergistische Duo auf die intranasale Applikation von Wirkstoffen in das Zentrale Nervensystem (ZNS): "Second medical use (zweite medizinische Anwendung von bereits bekannten Arzneimitteln, d. Red.) ist das, was wir anstreben", bringt es Mavoungou auf eine Formel.
Wichtig sei dieser Ansatz allein schon wegen seiner potenziell besseren Wirkstoffeffizienz, denn Wirkstoffe erreichten damit bestimmte Rezeptoren besser als über den systemischen oder invasiven Verabreichungsweg. Im Erfolgsfall hätte die lokale Verabreichung nicht nur eine geringere Dosis des Wirkstoffs zur Folge, sondern auch den Vorteil, dass andere Organe nicht davon betroffen wären, sodass die Nebenwirkungen womöglich geringer ausfielen.
Die Biberacher Forscherinnen wissen wohl, dass sie dicke Bretter bohren. Im Erfolgsfall stünde eine wirkstoffübergreifende Plattform zur Verfügung. Die größte Herausforderung ist nach Mavoungous Einschätzung, die passende Darreichungsform zu entwickeln. Denn die Größe potenzieller Proteine stellt für die intranasale Anwendung eine schwierige Barriere dar.
Ziel war immer die Medikamentenentwicklung
Für die Chemikerin Mavoungou, die 2003 mit einer strukturbiologischen Arbeit (NMR-spektroskopische Untersuchungen von Actin-bindenden Proteinen aus Dictyostelium discoideum) am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried promovierte, schließt sich gewissermaßen mit der erneuten Beschäftigung mit Eiweißstoffen der Kreis. In die Medikamentenentwicklung wollte sie immer schon, wählte aber statt der Pharmazie die facettenreiche Chemie. Damit konnte sie in München bleiben, nahe ihrer geliebten Berge.
Nach der Promotion heuerte Mavoungou bei der stark wachsenden Merckle-Ratiopharm-Gruppe in Ulm an. Dort arbeitete sie fast sieben Jahre als Regulatory Affairs Managerin und erwarb umfassende Kenntnisse in Arzneimittelzulassung, einschließlich der Arzneimittelherstellung im GMP-Umfeld. Dort, sagt sie rückblickend, erlernt sie das Handwerk der Arzneimittelforschung, erfährt viel zulassungsrelevante Dinge in der global aufgestellten Abteilung, einer Art Kompetenzzentrum für Regulatory Affairs. Darüber hinaus ist Mavoungou im Business Development für die französischsprachigen Länder zuständig, erhält Einblicke in Ein- und Auslizenzierung und ist an der Diskussion (Scientific Advices) mit den Zulassungsbehörden beteiligt. Seitdem kennt Chrystelle Mavoungou viele Ursachen für den Erfolg wie das Scheitern von Arzneimittelkandidaten in der pharmazeutischen Entwicklung.
Fachliche Vermittlung, aber auch Imagepflege
2008 reifte in Mavoungou der Wunsch, ihren Beruf mehr der Forschung und Lehre zu widmen. „Ich hatte das Gefühl, dass ich sehr viel gelernt hatte. Das wollte ich einfach weitergeben und weiterentwickeln." Um ganz sicher zu gehen, fängt sie mit einem kleinen Lehrauftrag an der Biberacher Hochschule an, die gerade die Pharmazeutische Biotechnologie aufbaut.
2010 wird sie auf den Lehrstuhl Regulatory Affairs und Pharmazeutische Qualität berufen. Neben aller fachlichen Vermittlung will Mavoungou auch Imagepflege betreiben: „Im Grunde arbeitet man in der Pharmaindustrie nicht, um Menschen zu zerstören, sondern um Menschen zu helfen. Es gibt sehr viele Idealisten in diesem Job" – auch dieses Bild will sie ihren Studierenden vermitteln.
Im Masterstudiengang Pharmazeutische Biotechnologie deckt Chrystelle Mavoungou ein umfangreiches Lehrgebiet ab. Es beginnt mit der GMP-Prozessentwicklung (Prozesse nach dem Upstream), befasst sich mit der Qualitätssicherung für Produkte wie neuen Tools (Quality by Design), bis zur Methodenvalidierung als Werkzeug der Qualitätskontrolle. Daneben vermittelt Mavoungou Wissen über statistische Tools innerhalb der Qualitätssicherung zur Risikoanalyse. Nicht zuletzt gewinnen Studierende grundlegende Einblicke in die nationale und internationale Arzneimittelzulassung.
Im Bachelor-Studiengang lehrt sie unter anderem Qualitätsmanagement, ist federführend bei Exkursionen in Firmen und vermittelt regulatorisches Wissen zum Packmittel- und Medizinprodukte-Management.
Publizieren allein genügt nicht
Nach Promotion und langjähriger Industrie-Erfahrung kann sich Mavoungou im Institut für Angewandte Biotechnologie jetzt ihren Herzenswunsch erfüllen: Medikamentenforschung. „Jetzt kenne ich dieses Handwerk, und mit diesem Wissen bin ich gut aufgestellt." In das entstehende Innovationszentrum der Hochschule soll das Know-how von Mavoungou und ihren Kollegen transferiert werden. Denn allein wissenschaftliches Publizieren genügt der Biberacher Zulassungsexpertin nicht.