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cr.appliance - Integrierte Konzepte für Arzneimittel

Seit 2003 bietet cr.appliance wissenschaftlich-strategische Konzeptionen und Beratungsleistungen im Bereich der klinischen Arzneimittel-Entwicklung und -Zulassung an. Hinter dem Unternehmen steht das Ehepaar Karen Grave-Hermann und Dr. Robert Hermann, die aufgrund ihrer beruflichen Laufbahnen über einen klinisch-wissenschaftlichen als auch industriellen Erfahrungsschatz in der Arzneimittelentwicklung verfügen. Im Interview beschreiben die beiden Experten aktuelle Entwicklungen und Trends und erläutern, inwiefern die deutsche Biotech-Branche allmählich den Kinderschuhen entwächst.

Herr Dr. Hermann (RH), Ihre Tätigkeit bringt eine ständige Aktualisierung des eigenen Wissenstands aufgrund von immer neuen Bestimmungen mit sich: Wie informieren Sie sich über neue Verordnungen?

Das Team von cr.appliance: Karen Grave-Hermann und Dr. Robert Hermann (Foto: R. Lamb)
RH: Die Arzneimittel-Entwicklung und -Zulassung bewegt sich in der Tat schon seit jeher in einem sehr dynamischen Umfeld, wobei das Tempo der Veränderungen in den letzten Jahren noch deutlich zugenommen hat. Die für uns notwendigen Informationen extrahieren wir aus vielfältigen verschiedenen Quellen. Dazu gehören beispielsweise entsprechende Fachkongresse sowie Workshops, wissenschaftliche Fachliteratur und die regelmäßige Durchsicht entsprechender Behörden-Mitteilungen und Publikationen, zum Beispiel auf deren Internet-Portalen. Weiterhin sind selbstverständlich der persönliche Austausch innerhalb der eigenen interdisziplinären Netzwerke sowie die Gespräche mit unseren Auftraggebern von großer Wichtigkeit.

Frau Grave-Hermann (KH), welche Rolle spielen Kontakte, Kooperationen und Netzwerke für Ihre Tätigkeit?

KH: Interdisziplinäre Kooperationen und Netzwerke sind für unsere Tätigkeit essentiell. Neben Kontakten zu Forschungsorganisationen, Behörden und Auftragsforschungsinstituten sind uns insbesondere auch die Kontakte zu den klinisch tätigen Prüfärzten und klinischen Forschern an den Universitäten und Prüfzentren wichtig. Oft ist es nämlich so, dass die forschenden Unternehmen die Arzt und Patienten-Perspektive zu wenig beachten. Dabei ist der klinisch tätige Prüfarzt oft zunächst auch der erste Vermittler der Patienten-Perspektive.

Auf welchen Medikamenten liegt zur Zeit der Schwerpunkt von Zulassungen in der Bundesrepublik und weltweit betrachtet?

RH: Es gibt momentan einige bemerkenswerte Trends. So lässt sich zum einen beobachten, dass sich die großen forschenden Pharmaunternehmen gerade aus den medizinischen Bereichen zurückziehen, in denen sie in der Vergangenheit die größten medizinischen und kommerziellen Erfolge erzielt haben. Hier sind z.B. Mittel gegen säurebedingte Magen-Darm Erkrankungen zu nennen (Magen- und Duodenalgeschwüre, Reflux-Beschwerden/Ösophagitis), aber auch Medikamente zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck mit all ihren schwerwiegenden Folgeerkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall). Des Weiteren ist seit längerem bei großen Pharma-Unternehmen zu beobachten, Forschungsrisiken für kleinere „Nischenprodukte“ durch Ausgründungen von kleinen forschungsintensiven Unternehmen („Spin Offs“) zu verlagern. So haben in den letzten Jahren zahlreiche Pharma-Firmen ihre Antibiotika/Anti-Infektiva Bereiche ausgegründet, und dies obwohl die Problematik zunehmender Resistenzen von Problemkeimen hier einen echten Bedarf für Innovationen schafft. Der Anti-Infektiva-Bereich wird trotz des bestehenden Innovationsbedarfs von großen Pharma-Firmen aus wirtschaftlichen Gründen dennoch als kritisch betrachtet, da für echte Innovationen durchaus die Gefahr besteht, z.B. als „Reserve-Antibiotika“ für Problemfälle ein wirtschaftliches Schattendasein zu fristen und die Entwicklungsaufwendungen möglicherweise nicht zu erwirtschaften.

Inwieweit hat sich hat sich Ihrer Meinung nach der Prozess der klinischen Arzneimittelentwicklung in den Unternehmen in den letzten Jahren verändert?

Beobachtet in der Pharma-Branche einen Trend zur Konsolidierung: Karen Grave-Hermann (Foto: R. Lamb)
KH: Es sind einige unterschiedliche, und zum Teil auch gegenläufige Entwicklungen zu beobachten. In der internationalen und deutschen Pharma-Branche gibt es zum Beispiel einen Trend zur Konsolidierung, d.h. durch Firmen-Übernahmen und Verschmelzungen gibt es immer weniger voll integrierte forschende Pharma-Unternehmen. Alleine in der jüngsten Vergangenheit sind mit Schering und Schwarz Pharma zwei bedeutende börsennotierte Pharma-Unternehmen vom Kurszettel verschwunden. Umgekehrt entwächst die Biotech-Branche auch in Deutschland allmählich den Kinderschuhen und wir sehen die bereits angesprochenen Teil-Ausgründungen aus traditionellen Pharma-Unternehmen. In den wenigen verbleibenden voll integrierten großen Pharma-Firmen ist der klinische Entwicklungsprozess in den letzten Jahren leider immer stärker nur unter dem Gesichtspunkt der Prozess-Optimierung betrachtet worden. Man hat sich darauf konzentriert, die Teilprozesse von klinischen Studien auf einer technologisch-operativen Ebene zu optimieren und dabei die Fortentwicklung von wissenschaftlich-inhaltlichen Studienkonzeptionen vernachlässigt.

Ist mit einem Umdenken und einer Neuausrichtung seitens der Betriebe zu rechnen?

RH: Internationale Top-Firmen haben dieses Manko vor einigen Jahren erkannt und inzwischen gegengesteuert. Hier sehe ich in Deutschland im Vergleich zu anderen Nationen leider nach wie vor bedauerliche Defizite und oft auch eine zu geringe Lernbereitschaft. In zahlreichen Biotech-Unternehmen und Pharma-„Spin Offs“ ist klinisches Entwicklungs-Know-How oft nur sehr limitiert vorhanden. Dies liegt einerseits an mangelndem Verständnis für die Komplexität und inhaltlichen Notwendigkeiten der klinischen Arzneimittel-Entwicklung auf Seiten der Investoren und/oder des Managements. Andererseits ist es für kleinere, jüngere Firmen in Deutschland oft nur sehr schwer möglich, qualifiziertes klinisches Entwicklungs-Know-How an Bord zu bekommen, zumal wenn die Firmen nur einen einzigen klinischen Entwicklungskandidaten als Hoffnungsträger in ihrem Portfolio haben. In der Summe haben diese Entwicklungen dazu geführt, dass die allermeisten Pharma- und Biotech-Firmen heute nicht mehr selbst über das erforderliche Know-How und die Ressourcen für die Planung und Durchführung zeitgemäßer klinischer Entwicklungsprogramme verfügen. Das heißt, sie sind in vielen Bereichen auf Auftragsforschungsunternehmen (Contract Research Organisations, CROs) als Partner angewiesen. In vielen Fällen werden leider jedoch nicht einmal die erforderlichen Minimal-Ressourcen für die Steuerung und das pro-aktive Konzertieren der externen CRO-Netzwerke bereit gestellt. Eine solche Philosophie erlaubt natürlich kaum eine zeitoptimierte Entwicklung von klinischen Projekten und somit auch keine optimale Wertschöpfung.

Welchen Einfluss haben diese Entwicklungen auf Ihre Arbeit?

KH: Diese Entwicklungen sind die Basis unseres Geschäftsmodells. Wir bieten Unternehmen im Falle von Ressourcen-Engpässen oder beim Auftreten von unerwarteten Problemen kurzfristig das erforderliche Arzneimittelentwicklungs-Know-How und auch entsprechende Ressourcen für die konkrete Umsetzung von diesbezüglichen Aufgabenstellungen. Dabei entwickeln wir gemeinsam Lösungen für die individuellen Projekt-Anforderungen und können dann Bedarfsfalls auch noch bei der Suche und Auswahl der für die gegenwärtigen Fragestellungen am besten qualifizierten CROs behilflich sein.

Welche Komplikationen treten Ihren Erfahrungen nach in der heutigen Zeit am häufigsten im Zuge von Arzneimittelentwicklungen und Zulassungsverfahren auf?

Dr. Robert Hermann bemängelt die zunehmende Orientierung der klinischen Entwicklung an vermeintlichen Markt-Anforderungen (Foto: R. Lamb)
KH: Eine häufige auftretende Schwierigkeit der Branche ist, dass sich in vielen Fällen die III. Phase der klinischen Arzneimittel-Entwicklung kompliziert und verteuert. In der Regel resultiert dies oftmals aus einer nicht ausreichend sorgfältig und nicht gründlich durchgeführten Phase II, in der z.B. die vermeintlich identifizierte Dosis oder das Dosisschema häufig nicht optimal sind. Top-Firmen der Branche investieren heute deshalb mehr Zeit und Budget in die Phase II-Charakterisierung ihrer Projekte und brechen in dieser Phase auch mehr Projekte ab. Dafür haben die Investitionen in Phase III Projekte dann insgesamt wesentlich bessere und vorhersagbarere Erfolgsaussichten. Eine zweite sehr häufige Ursache für Komplikationen sind sicherlich seltene unerwartete Nebenwirkungen, die aufgrund ihrer geringen Inzidenz natürlich erst in der Phase III oder sogar erst nach der Markteinführung eines Produktes identifiziert werden können. Weitere häufige Problemfelder und Herausforderungen sind toxikologische Befunde, die im Rahmen der präklinischen Entwicklung an einzelnen Tierspezies beobachtet werden und deren mögliche Bedeutung für den Menschen aber oft nur schwer einzuschätzen ist. Weiterhin sind pharmazeutische Entwicklungsprobleme (z.B. Stabilität der Formulierung), technologische Probleme und Kostenaspekte in der Produkt-Herstellung ebenso zu nennen wie z.B. auch Patent-Aspekte.

Was genau sind die häufigsten Gründe für ein verzögertes oder gar gescheitertes Zulassungsverfahren? Inwiefern unterschätzen Forscher, Investoren und Firmenleitende die Anforderungen der klinischen Entwicklung?

RH: Das häufigste Problem ist sicherlich die systematische Unterschätzung der Zulassungsanforderungen im Sinne einer insgesamt positiven Nutzen-Risiko Abschätzung für das neue Produkt. Während der Entwicklung oder noch im Vorfeld der Zulassung erweisen sich viele Firmen in diesem Punkt oft als erstaunlich beratungsresistent. Häufig unterliegen die F&E Bereiche in den Firmen auch zu sehr dem Einfluss und den Wünschen der Marketing Abteilungen aus dem eigenen Hause. Dies führt dann dazu, dass die klinische Entwicklung sich zu sehr an vermeintlichen Markt-Anforderungen orientiert, nicht aber an den tatsächlichen Produkteigenschaften und den Zulassungsanforderungen. Dies hat dann unter Umständen zur Folge, dass Erfolg versprechende Produkte in der Zulassung scheitern, weil sie tatsächlich 2 x täglich verabreicht werden müssen und nicht 1 x täglich, wie vom Marketing gewünscht. Ein weiteres beliebtes Spannungsfeld besteht darin, dass Firmen sich natürlich schwer tun, sauber herauszuarbeiten, welche Patienten Sub-Populationen entweder besonders oder aber gar nicht von ihrem Produkt profitieren. Dies würde ja den potentiellen Anwendungsbereich für das Produkt möglicherweise einschränken. Behörden sind heute allerdings berechtigterweise immer weniger gewillt, Medikamente ohne entsprechendes Detailwissen in diesem wichtigen Punkt zuzulassen. Die Erfahrung legt aber auch Nahe, dass ungeeignete Projekte vor allem deshalb oft nicht aus eigener unternehmerischer Initiative abgebrochen werden, weil es möglicherweise an geeigneten Nachfolge-Projekten mangelt (Pipeline- und Portfolio-Management-Problematik). Rund 70% der vorhandenen F&E Ressourcen werden heutzutage noch auf Projekte alloziert, die niemals eine Marktzulassung erreichen werden.

Was ist das Besondere an der Philosophie/Arbeitsweise von cr.appliance?

RH: Wir gehören sicherlich zu den wenigen Service-Anbietern in Deutschland mit sowohl einem klinisch-wissenschaftlichen als auch einen industriellen Erfahrungshintergrund in der Arzneimittelentwicklung und bemühen uns in der konzeptionellen Arbeit um einen so genannten interdisziplinären 360 Grad-Denkansatz. Voraussetzungen hierzu ist die erfahrungsbasierte Antizipation von projekt-spezifischen Anforderungen sowie möglichen Problemen, lange bevor sie tatsächlich im Entwicklungsprozess auftreten. Insofern sind wir immer darum bemüht, dass unsere Beratungsleistungen und Services für den Kunden mehr Wert schaffen, als Antworten auf einzelne wissenschaftliche, technische, klinische oder regulatorische Detailfragen zu geben. Wir streben möglichst nach holistischen Ansätzen zur Entwicklung zielorientierter, maßgeschneiderter und bedarfsgerechter Lösungen für unsere Kunden. Was uns von großen operativ tätigen CROs unterscheidet, ist dass wir keinen Zielkonflikt mit unseren Auftraggebern haben.
Dr. Robert Hermann war über acht Jahre als Facharzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter für Anästhesiologie und Klinische Pharmakologie beschäftigt sowie über 17 Jahre als klinischer Entwickler und Manager in der pharmazeutischen Industrie (u.a. bei ALTANA Pharma) tätig. Der Mediziner ist Vorsitzender des Kuratoriums des Fraunhofer ITEM Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin und Mitglied des American College of Clinical Pharmacology.

Karen Grave-Hermann studierte „Clinical Development“ an der Universität Tübingen und ist examinierte Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin. Vor der Gründung von cr.appliance arbeitete sie als u.a. im Bereich klinische Arzneimittelentwicklung und Pharmakologie.
Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/cr-appliance-integrierte-konzepte-fuer-arzneimittel