Crowdsourcing gegen die Alzheimer-Krankheit
Zusammen mit dem Bio-Pharmaunternehmen AbbVie Deutschland hat das Heidelberger Innovationszentrum BioMed X durch Crowdsourcing ein Team von Wissenschaftlern aus renommierten internationalen Institutionen aufgebaut, das neue Optionen zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit erforscht. Im Stoffwechsel des Tau-Proteins und seiner pathologischen Modifikationen wird nach Targets gesucht, die als Ausgangspunkte für die Entwicklung therapeutischer Wirkstoffe zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit dienen können.
BioMed-X-Team
© BioMed X
Schätzungsweise sind weltweit knapp 47 Millionen Menschen an Alzheimer-Demenz erkrankt (World Alzheimer Report 2015). Und überall erhöht sich mit steigender Lebenserwartung die Zahl der Betroffenen. Allein in Deutschland gibt es etwa 1,2 Millionen Alzheimer-Patienten. Für das Jahr 2050 wird hier mit drei Millionen gerechnet. Trotz jahrzehntelanger intensiver Forschung gibt es bislang kein Mittel, das dauerhaft gegen den Ausbruch und das Fortschreiten dieser gefürchteten neurodegenerativen Krankheit hilft. In Zusammenarbeit mit BioMed X geht AbbVie, ein globales, forschendes Bio-Pharmaunternehmen mit seinem Forschungs- und Produktionsstandort in Ludwigshafen am Rhein, jetzt neue Wege zur Entwicklung von Medikamenten gegen die Alzheimer-Demenz.
Das BioMed X Innovationszentrum betreibt mit seinem Forschungslabor im Technologiepark Heidelberg ein neues Innovationsmodell an der Schnittstelle von akademischer Biomedizinforschung und Pharmaindustrie, bei dem Teams von Wissenschaftlern aus aller Welt biomedizinische, vom Industriepartner vorgegebene Projekte bearbeiten. Während sich bisherige Bemühungen um eine Therapie der Alzheimer-Krankheit hauptsächlich auf die charakteristischen Amyloid-Plaques im Gehirn und die Enzyme und Produkte im Stoffwechsel des Amyloid-Precursor-Proteins konzentriert hatten, stehen bei dem neuen, von AbbVie gesponserten Projekt „TNA: Tau-mediated neurodegeneration in Alzheimer’s disease“ das Tau-Protein und seine pathologischen posttranslationalen Modifikationen im Fokus der Untersuchungen. Unter normalen, physiologischen Umständen dient das Tau-Protein der Stabilisierung der Mikrotubuli, beispielsweise in den Nervenfortsätzen. Bei der Alzheimer-Krankheit (und einigen anderen „Tauopathien“) kommt es zu einer Hyperphosphorylierung des Proteins, das Aggregate bildet, die sich in Form sogenannter neurofibrillärer Bündel im Gehirn ablagern.
Crowdsourcing und Teamwork
Dr. Dagmar Ehrnhöfer, Leiterin der BioMed-X-Projektgruppe TNA
© BioMed X
Im Rahmen des Innovationsmodells von BioMed X wurden für das TNA-Projekt herausragende junge Forscher aus führenden akademischen Institutionen der Welt eingeladen, sich mit Projektvorschlägen zur Erforschung des Tau-Protein-Stoffwechsels und seiner Rolle bei der Entstehung und dem Verlauf der Alzheimer-Krankheit zu bewerben. Nach wissenschaftlicher Kompetenz und Kreativität wurden aus den Bewerbern gemeinsam von AbbVie und BioMed X fünf Teammitglieder ausgewählt. Unter der Leitung von Dr. Dagmar Ehrnhöfer nahm die TNA-Projektgruppe ihre Arbeit Ende 2015 im Forschungslabor des BioMed X Innovationszentrums mit der Erstellung eines genauen Arbeitsplans für die nächsten zwei Jahre auf. Ehrnhöfer war zuvor bei dem renommierten medizinischen Genetiker Michael R. Hayden an der University of British Columbia in Vancouver, Kanada, tätig gewesen. Außerdem wird das Team von erfahrenen Mentoren aus der universitären Wissenschaft sowie von AbbVie Deutschland begleitet und erhält Zugang zu den Forschungseinrichtungen auf dem Campus der Universität Heidelberg, erläuterte Christian Tidona, Gründer und Geschäftsführer von BioMed X.
Das TNA-Team ist die sechste BioMed-X-Projektgruppe insgesamt – und die erste, die von einem in den USA basierten, globalen Biopharma-Unternehmen gesponsert wird, wie Tidona mit Freude anmerkte. „Wir brauchen eine Perspektive, die über unser Unternehmen hinaus geht, um bessere Therapien für Krankheiten mit hohem medizinischen Bedarf zu entwickeln“, kommentierte Alfred Hahn, Senior Director und Head of Discovery bei AbbVie, dieses Engagement seiner Firma und fuhr fort: „Indem wir mit Forschungseinrichtungen wie BioMed X kooperieren, Crowdsourcing betreiben und zugleich Wissen teilen, treiben wir die Entwicklung neuer Therapien für Menschen mit neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer noch stärker voran.“
Pathologische posttranslationale Tau-Modifikationen
Das Projekt kann bei aussichtsreichen Erkenntnissen von AbbVie auf bis zu vier Jahre verlängert werden. Die jungen Forscher erhalten die Möglichkeit, ihre Ergebnisse zu publizieren. Am Ende der Kooperation können die dadurch entstandenen präklinischen Forschungs- und Entwicklungsprojekte entweder von AbbVie übernommen oder von BioMed X in ein Start-up-Unternehmen überführt werden. Wie Teamleiterin Ehrnhöfer darlegte, werden in dem Projekt „das Netzwerk der posttranslationalen Modifikationen des Tau-Proteins, die Interaktionen zwischen unterschiedlichen Typen von Modifikationen und ihr Einfluss auf die Funktion von Tau und seine Fehlfunktion im Krankheitsstadium“ untersucht. Als Untersuchungsmaterial dienen Proben, die von Alzheimer-Patienten stammen, sowie Nervenzellen, die sich von induzierten pluripotenten Stammzellen ableiten. Diverse analytische und biochemische Ansätze und Screening-Methoden werden eingesetzt, um in den Modifikationswegen von Tau nach Target-Molekülen zu fahnden, die als Ausgangspunkte für die Entwicklung therapeutischer Wirkstoffe verwendet werden können. Die Forscher erhoffen sich auch, aus charakteristischen Mustern an pathologischen Tau-Modifikationen verlässliche Biomarker zu definieren, die für die Diagnose und das Monitoring des Krankheitsverlaufs einsetzbar sind.
Nach heutigem Stand der Alzheimer-Forschung sind solche abnormen posttranslationalen Modifikationen von kritischer Bedeutung für die Ausprägung und das weitere Fortschreiten der Krankheit. Neue, am pathologisch veränderten Tau-Stoffwechsel angreifende Medikamente werden dringend benötigt. Diesem Bedarf trägt das Kooperationsabkommen zwischen AbbVie und BioMed X Rechnung. Es vereinigt – in den Worten von Alfred Hahn – „das Beste aus der Welt von Akademia und der Industrie“.