Das kranke Herz als Lehrmeister
Eine Krankheit ist manchmal eine Einbahnstraße – so denken viele Wissenschaftler und behandelnde Ärzte auch über die chronische Herzinsuffizienz. Sie therapieren deshalb nur die Symptome. Aber unter bestimmten Bedingungen schaffen es einige Herzen von alleine, sich ein Stückchen zu erholen. In einem gemeinsamen Projekt mit Herzchirurgen untersuchen der Pharmakologe Professor Dr. Lutz Hein und seine Arbeitsgruppe von der Universität Freiburg das Geheimnis hinter der spontanen Selbstheilung. Erste Ergebnisse zeigen, dass genetische Mechanismen eine Rolle spielen. Aber nicht nur.
Die akute und chronische Herzinsuffizienz ist in Deutschland für 23 Prozent aller Todesfälle verantwortlich. Das wird sich in einer alternden Gesellschaft noch zuspitzen. Hoher Blutdruck oder Herzklappenveränderungen, aber auch häufige Herzinfarkte stehen am Anfang. Das Herz wird schwächer, kann nicht mehr so stark pumpen. Der Körper reagiert mit Stresssymptomen, er schüttet Noradrenalin aus, aber auch Hormone wie Aldosteron, Angiotensin und Renin. Alle diese Substanzen erhöhen den Blutdruck. Das Herz schlägt jetzt schneller und bläht sich auf. Risse und Narbengewebe entstehen. Mögliche Langzeitfolgen: Herzrhythmusstörungen und schließlich auch Herzversagen. Bisher setzten Mediziner oft Medikamente ein, die entweder das Stresshormonsystem oder das Renin-Angiotensin-System lahm legen. Sie behandelten also nur die Symptome. „Wir wollen jetzt in einem umfassenden Projekt mit dem Herz-Kreislauf-Zentrum des Klinikums Freiburg einen anderen Weg einschlagen“, sagt Professor Dr. Lutz Hein vom Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Universität Freiburg.
Gesunde (oben) und kranke (unten) Mausherzen: Bei einer Kardiohypertrophie bläht sich das Herz auf (unten links), der Hohlraum vergrößert sich (unten Mitte) und das Muskelgewebe weist Risse und Narben auf (unten rechts).
© AG Hein
Selbst ist das Herz
Die Wissenschaftler um Hein und um den Herzchirurgen Professor Dr. Friedhelm Beyersdorf vom Herz-Kreislauf-Zentrum wollen das kranke Herz aus der Einbahnstraße locken und es wieder ein Stückchen zurückfahren lassen. Wie das geht, sollen ihnen Experimente an Herzen zeigen, die das selbst schaffen. Beobachtungen an Patienten, die zur Behandlung einer chronischen Herzinsuffizienz künstliche Pumpen eingesetzt bekommen haben, zeigen, dass etwa zehn Prozent von ihnen nach einer Weile ein solches Pumpsystem nicht mehr brauchen. Ihre Herzen haben sich von alleine erholt. Wie haben sie das geschafft? „Die Zellen solcher Herzen müssen Mechanismen eingeschaltet haben, die eine Normalisierung einleiten“, sagt Hein. „Diese Mechanismen möchten wir verstehen lernen, um sie eines Tages vielleicht auch gezielt zu unterstützen.“
Um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, untersuchen Hein und seine Mitarbeiter in einem Teilprojekt die Gene, die in menschlichen Herzgewebeproben von gesunden, kranken und spontan erholten Patienten aktiviert oder abgeschaltet werden. Aber menschliche Proben sind rar, außerdem lassen sie sich genetisch nicht beliebig manipulieren. Deshalb wenden die Wissenschaftler noch einen zweiten Trick an. Mit chirurgischem Fingerspitzengefühl manipulieren sie gesunde Mausherzen. Sie legen einen Fadenknoten um den Aortenbogen, der die Blutzufuhr drosselt. Das Mausherz muss daraufhin schneller und kräftiger schlagen – genau die Ausgangssituation bei einer chronischen Herzinsuffizienz. Nachdem sich die typischen Symptome der Hypertrophie (also das Aufblähen des Herzens) eingestellt haben, lösen die Forscher den Faden, sie simulieren also eine künstliche Pumpe, denn jetzt wird das Mausherz wieder entlastet. Während der ganzen Zeit messen sie, welche Gene ein- und welche ausgeschaltet werden.
Künstliche Kardiohypertrophie: Ein Faden um den Aortenbogen eines Mausherzens (Mitte) begrenzt die Blutzufuhr und führt zu einem aufgeblähten Herzen.
© AG Hein
Zellgedächtnis jenseits der DNA
Methylgruppen sowie ein Komplex aus MeCP2 und einem HDAC genannten Protein blockieren die DNA und schalten sie stumm (links). Fehlen sie, kann die DNA wieder abgelesen werden (rechts).
© AG Hein
Eine ganze Batterie solcher Gene haben Hein und sein Team gefunden. Noch ist aber unklar, welche von ihnen wirklich die gewünschte Funktion haben. Viele Experimente müssen jetzt folgen. Einer der Kandidaten ist aber besonders interessant. Es handelt sich um das Gen für das Protein mit dem Kürzel MeCP2. Diese Substanz bindet an die DNA, wenn diese mit so genannten Methylgruppen gespickt ist. DNA-Sequenzen, die solche kleinen Methyl-Moleküle tragen, können in den meisten Fällen nicht mehr für die Proteinbiosynthese Modell stehen. Proteine, die diese Sequenzen ablesen und daraus Boten-RNA herstellen, kommen nicht mehr an sie heran. Die Gene in solchen Regionen sind stumm geschaltet. MeCP2 dirigiert Proteine an die methylierte DNA, die das Stummschalten vermitteln.
„Die Methylierung von DNA ist Teil der so genannten epigenetischen Programmierung in einer Zelle“, sagt Hein. Epigenetische Mechanismen tragen zusätzlich zur DNA-Ebene Information, die bestimmt, welche Proteine in einer Zelle hergestellt werden. Diese Information kann sogar an folgende Zellgenerationen weitergegeben werden, es handelt sich also um eine Art Gedächtnis. „Es ist sehr interessant, dass bei der chronischen Herzinsuffizienz offenbar Moleküle eine Rolle spielen, die das epigenetische Gedächtnis der Herzzellen beeinflussen können“, sagt Hein. „Es könnte sein, dass Zellen in einem hypertrophen Herzen ein epigenetisches Programm aufgedrängt bekommen, das sie zu einem bestimmten Verhalten zwingt.“ Solche Phänomene sind auch bei Krebszellen bekannt. Dort führen epigenetische Markierungen dazu, dass Tumorzellen ihre uneingeschränkte Teilungsaktivität auch an ihre Tochterzellen weitervererben. Forscher versuchen, Tumorzellen wieder zurückzuprogrammieren.
„Wir sind inzwischen der Ansicht, dass die Epigenetik auch bei der chronischen Herzinsuffizienz eine entscheidende Rolle spielt“, sagt Hein. Jetzt muss festgestellt werden, ob die DNA in Zellen von hypertrophen Herzen wirklich anders methyliert ist als diejenige von gesunden Herzen. Wenn das so sein sollte, dann könnten die Wissenschaftler eines Tages das Zellgedächtnis manipulieren lernen. Dann könnten sie kranken Herzen vielleicht auch aus der Einbahnstraße helfen.
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Prof. Dr. Lutz Hein
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie
Universität Freiburg
Albertstraße 25
D-79104 Freiburg i. Br.
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E-Mail: lutz.hein(at)pharmakol.uni-freiburg.de