Das Pferd im Rinderpelz
Kontrolle ist gut, doppelte Kontrolle ist besser. Blindes Vertrauen in die Lebensmittelwirtschaft ist nicht immer gut platziert. Dioxin, EHEC und der Pferdefleischskandal zeigen, wie angreifbar die Sicherheit der Lebensmittelkette in einer globalisierten Welt ist und vor welchen sich stetig wandelnden Herausforderungen Lebensmittelkontrolleure stehen. Das Ziel der Lebensmittelüberwachung ist es, die Verbraucher vor möglichen Gefahren, die von Nahrungsmitteln ausgehen können, sowie vor Täuschung seitens der Industrie zu bewahren. Im Jahr 2011 wurden in Baden-Württemberg knapp 50.000 Lebensmittelproben chemisch, physikalisch und mikrobiologisch untersucht.
Fertiggerichte wie Lasagne werden in der CVUA auf Inhaltsstoffe wie Rind- oder Pferdefleisch getestet
© Hans-Ulrich Waiblinger, Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Freiburg (CVUA)
Gesundheit ist unser kostbarstes Gut. Wir wollen jedoch nicht darauf verzichten, jede erdenkliche Speise zu jeder Zeit, aus sämtlichen Teilen der Welt zu bekommen. Verantwortliche in der Primärproduktion, der Verarbeitung und der Verteilung von Esswaren gehen dabei mitunter Kompromisse ein, die den Produkten nicht zuträglich sind, und der Verbraucher hat dann das Nachsehen.
Von allen im Jahr 2011 in Baden-Württemberg genommenen Proben gab es bei fast 17 Prozent Beanstandungen. Hier geht es um Abweichungen von der Norm in stofflicher Hinsicht und Zusammensetzung, aber auch Verstöße gegen die Kennzeichnungsvorschriften eines Artikels. Als gesundheitsschädlich sind 0,2 Prozent aller Proben eingestuft worden, unter anderem aufgrund pathogener Keime, großer enthaltener Mengen an Histamin sowie scharfkantiger Gegenstände. Bei etwa einem Zehntel der kontrollierten Erzeugnissen gingen die Beanstandungen auf Probleme in der Aufmachung oder Kennzeichnung zurück, was zu einer Irreführung des Verbrauchers führte.*
Hans-Ulrich Waiblinger, Abteilungsleiter im Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Freiburg (CVUA), sieht sich in der Pflicht, Vergehen in der Lebensmittelbranche aufzudecken: „Generell ist unsere Aufgabe die Untersuchung und lebensmittelrechtliche Beurteilung der Proben, die uns die Lebensmittelkontrolleure bringen.“ Untersucht werden die Nahrungsmittel vor allem auf unerwünschte Inhaltsstoffe wie Dioxine, Rückstände, Zusatzstoffe oder Verunreinigungen durch Bakterien. Während Umweltkeime wie Pseudomonas überall vorkommen und weitgehend unbedenklich sind, „haben Fäkalkeime wie E. coli in Lebensmitteln natürlich nichts verloren“, so der Experte.
Gentechnik und Allergene im Gesetz
Gab es Ende März wirklich schon deutschen Spargel?
© Hans-Ulrich Waiblinger, Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Freiburg (CVUA)
Waiblingers Arbeitsschwerpunkte sind gentechnisch veränderte Organismen und Allergene in Lebensmitteln, wobei die von ihm eingesetzten Analysemethoden überwiegend molekularbiologischer Natur sind. „Wir kümmern uns um Methodenoptimierung, bevor diese in die Routine kommen“, erläutert der Lebensmittelchemiker, „manchmal geht es auch darum, eine ganz neue Methode zu etablieren.“
Als es im Mai 2011 zum EHEC-Ausbruch kam, sahen sich die ins Krisenmanagement eingebundenen Untersuchungsämter vor neue Anforderungen gestellt. Zu Beginn des Skandals gab es noch keine Routinemethode für den Nachweis des Erregers in Sprossen und Salaten. Vier Wochen später erstellten bundesweit kooperierende Referenzlabore und wissenschaftliche Institute ein Verfahrensprotokoll zum EHEC-Nachweis, informierten über Verzehrsrisiken und präventive Hygienemaßnahmen.
Insgesamt ist die Gesetzeslage bezüglich Nahrungsmitteln strenger geworden, da laut Waiblinger das Wissen gewachsen sei, sich aber auch die Warenströme im weltweiten Handel in den letzten Jahren verändert hätten. Was beispielsweise Gentechnik in Lebens- und Futtermitteln betrifft, gelten einheitlich in Europa die weltweit striktesten Regelungen. Für zugelassene gentechnisch veränderte Organismen (GVO) wie die Roundup Ready® Sojabohne (RRS) existiert ein relativ niedriger Schwellenwert, der ab 0,9 Prozent kennzeichnungspflichtig ist. Für nicht zugelassene GVO gilt die strikte „absolute Nulltoleranz“. Ebenso verbraucherfreundlich müssen nach der Europäischen Verordnung selbst Spuren bestimmter Allergene in Nahrungsmitteln gekennzeichnet werden - und dieses ab Ende 2014 sogar in losen Waren, wie sie beim Bäcker, Metzger oder in der Gastronomie erhältlich sind.
Stabilisotopenanalyse: Reichenau-Gurken tatsächlich aus der Reichenau?
Immer interessanter wird die Frage nach der Herkunft und Echtheit von Lebensmitteln - ein weiterer Schwerpunkt der CVUA Freiburg. Denn laut Bundeslandwirtschaftsministerium isst jeder Zweite in Baden-Württemberg inzwischen „regional“. Dies ist jedoch kein geschützter Begriff, und er wird oft dort verwendet, wo er nicht angemessen ist. Sind die Äpfel tatsächlich vom Bodensee, die Gurken von der Reichenau, der frühe Spargel bereits aus der Region oder kommt er aus dem fernen Griechenland? Esse ich schon heimische Erdbeeren, obwohl in den letzten Wochen das Wetter miserabel war?
Herkömmliche Untersuchungsmethoden liefern hier kaum einen Nachweis, da die unterschiedliche Herkunft normalerweise keine Auswirkungen auf die stoffliche Zusammensetzung hat. Die erste Kontrolle spielt sich stets auf dem Feld ab, wo kontrolliert wird, ob die Erdbeeren noch grün sind und ob die Lieferpapiere fertig sind. Mit der Stabilisotopenanalyse existiert zusätzlich eine Technik, die letzte Zweifel aus dem Weg räumt.
Alle Lebensmittel sind aus den gleichen chemischen Elementen zusammengesetzt, etwa Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff. Diese liegen in verschiedenen Isotopen vor, haben also eine unterschiedliche Massezahl. „Bestimmte Isotope sind stabil, sie bauen sich nicht ab oder zerfallen, wie andere, die radioaktiv sind“, weiß Waiblinger, „diese Anteile der verschiedenen stabilen Isotope können sich je nach Region unterscheiden und dadurch einen Herkunftsnachweis ermöglichen.“ Täuschung ist ein großes Thema, und die Strategien, diese aufzuspüren, werden zwangsläufig immer kniffliger.
Kuhmilch im Schafskäse
Mit der Real Time PCR der Echtheit auf der Spur
© Hans-Ulrich Waiblinger, Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Freiburg (CVUA)
Feta ist eine geschützte Ursprungsbezeichnung für traditionell, in bestimmten Regionen Griechenlands aus Schafs- und Ziegenmilch hergestellten Käse. So manch ein Schafskäse ist allerdings aus der günstigeren Kuhmilch gefertig.*
Pferdefleisch fand man in Produkten, in denen Rindfleisch sein sollte. Laut Waiblinger ist dies auch ein Problem der ganz großen industriellen Hersteller, denen es auf die Finger zu schauen gilt. Ein probates Hilfsmittel ist dabei die sehr empfindliche Methode der Quantitativen Real Time PCR (Polymerase Chain Reaction). Sie beruht auf der normalen (qualitativen) PCR, bei der charakteristische Genabschnitte vervielfältigt werden. Am Ende liefert die herkömmliche PCR ein Ja- oder Nein-Ergebnis, ob eine bestimmte DNA enthalten ist. Die Real Time PCR bietet die Möglichkeit, eine quantitative Aussage darüber zu treffen, wieviel vom gesuchten genetischen Material in der Probe ist.
„Gerade in der Ursachenforschung ist es hilfreich, auch mengenmäßige Angaben zu erfahren“, sagt Waiblinger. In Echtzeit lässt sich während der Analyse die Zunahme der PCR-Produkte anhand der Fluoreszenz verfolgen. „Je nachdem, wieviel von der gesuchten DNA enthalten war, habe ich eine schnelle oder langsame Zunahme der Fluoreszenz“, erklärt Waiblinger. Besonders interessant ist dies bei Ereignissen wie dem Pferdefleischskandal.
Zukünftig geht nach Waiblingers Ansicht die Analytik in die Richtung des unspezifischen Screenings, etwa kompletter Genome von Lebensmitteln. Der immensen Datenflut wird man verstärkt mit Informatikern beikommen müssen. Die Idee: Fälle abzufangen, bevor sie massiv beim Verbraucher auftreten. Nur eine Methode wird sich wohl kaum verändern: die Sensorik. „Manche Dinge kann ich am besten mit meinem Mund und eigener Erfahrung bewerten“, meint Waiblinger.
Quelle:
*Jahresbericht 2011 - ÜBERWACHUNG LEBENSMITTEL · BEDARFSGEGENSTÄNDE · KOSMETIKA · TRINKWASSER · FUTTERMITTEL, Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz des Landes Baden Württemberg