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Das Spiel muss noch entdeckt werden

Prof. Dr. Michael Reth ist Immunbiologe und Signalforscher. Er ist ein erfahrener, geerdeter Wissenschaftler, der weiß, wie schwierig und mühsam die Entschlüsselung von Signalen und Signalwegen sein kann. Gleichzeitig ist er ein Visionär, der den Mut zu etwas völlig Neuem hatte. Reth ist der geistige Vater, des Freiburger Excellenzclusters bioss, dem Zentrum für Biologische Signalstudien. Mit dem Forscher, der am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und am Institut für Biologie III arbeitet, sprach Karin Bundschuh aus der BioRegio Freiburg.

Die Signalforschung boomt. Wieso?

Prof. Michael Reth, Immunbiologe und Signalforscher aus Leidenschaft (Foto: kb)
Als ich Student war, wusste man noch fast nichts über die Signalleitung in den Zellen von Pflanzen, Tieren oder gar dem Menschen. Diese Situation hat sich fundamental verändert. Wir kennen inzwischen viele Signalproteine und Rezeptoren. Die beteiligten Spieler sind entlarvt. Wir wissen nur noch nicht, welches Spiel sie genau miteinander spielen. Das herauszufinden ist aber wichtig. Denn Signalwege steuern die ganze Entwicklung der Zellen eines Organismus. Sie bestimmen das Wachstum, die Zellteilung, die Differenzierung und den Zelltod.

Welche Erkenntnisse konnten die Signalforscher der Natur bereits entlocken?

Über die Genomforschung, die Sequenzierung des Erbguts und über biochemische Arbeiten hat die Wissenschaft viele Signalkomponenten identifiziert. Dabei hat man herausgefunden, dass viele Krankheiten durch fehlende oder falsch regulierte Signalwege entstehen. Auch das Versagen unseres Abwehrsystems wird oftmals durch fehlende Signalkomponenten hervorgerufen.

Gibt es dafür Beispiele?

Da wäre etwa die X-gebundene Agammaglobulinämie zu nennen. Bei dieser erblichen Erkrankung ist die Bruton-Tyrosinkinase (Btk) defekt. Fehlt dieses Signalmolekül, dann können die Betroffenen - in der Regel sind das Jungs – keine B-Lymphozyten und somit auch keine Antikörper bilden. Wir wissen erst seit kurzer Zeit, dass wir bei diesem und ähnlichen Signalmolekülen ansetzen müssen, wenn wir Krankheiten besser verstehen und behandeln wollen.

Sie sind, wie das von Ihnen gerade gewählte Beispiel unterstreicht, von Haus aus nicht nur Signalforscher, sondern Immunbiologe. Welche Entdeckungen in Ihrem Gebiet haben sie besonders überrascht?

Immunzellen werden normalerweise über die Bindung von Liganden an spezifische Rezeptoren auf ihrer Zelloberfläche aktiviert. Überraschend war, dass B-Lymphozyten sehr schnell absterben, wenn sie ihren Antigen-Rezeptor verlieren. Dies zeigt, dass der Antigen-Rezeptor schon vor einer Bindung eines Liganden permanent Signale ins Zellinnere aussendet und dieses konstitutive Signal das Überleben der B-Zellen steuert. Arbeiten von Sebastian Herzog und Hassan Jumaa in meiner Abteilung konnten erstmalig aufzeigen, dass dieses Signal über den sogenannten PI3-Kinase-Signalweg prozessiert wird.

Spielt dieser Signalweg auch in anderen Zellen eine Rolle oder ist er nur im Immunsystem wichtig?

Auf dem Signalfeld haben wir folgende Situation: Jede Zelle hat zehn bis zwanzig Hauptsignalwege, die von verschiedenen Rezeptoren angesteuert und dann spezifisch moduliert werden. In allen Körperzellen kommen mehrere dieser Signalwege zusammen vor. Auch der PI3-Kinase-Signalweg spielt in sehr vielen anderen Zelltypen, beispielsweise in Nervenzellen, eine wichtige Rolle. Wie diese Signalwege dann aber angesteuert und reguliert werden, ist von Zelltyp zu Zelltyp sehr unterschiedlich. Für die Evolution der Zelle scheint es wichtig gewesen zu sein, dass eine limitierte Anzahl von Signalwegen für sehr unterschiedliche Aufgaben genutzt werden.

Ist es die Aussicht, demnächst das Geheimnis der Feinsteuerung zu entschlüsseln, die die Signalwissenschaftler zurzeit so inspiriert?

Bei der Feinsteuerung sind wir noch gar nicht angelangt. Es geht jetzt noch darum, fundamentale Prinzipien der Signalleitung zu entdecken.
Bleiben wir bei meinem Beispiel und fragen: Wie steuert der PI3-Kinase-Signalweg das Überleben der B-Lymphozyten? Die oben genannten Wissenschaftler haben herausgefunden, dass dieser Signalweg ständig die Phosphorylierung und den daraufhin erfolgenden Abbau des Transkriptionsfaktor FoxO bewirkt. Eine Unterbrechung des Signalweges, beispielsweise durch den Verlust des B-Zell-Rezeptors, führt zur Stabilisierung von FoxO, welches dann im Zellkern ein Differenzierungs- und Todesprogramm aktiviert. Die B-Zellen können dann nur überleben, wenn sie über andere Rezeptoren weitere Signale erfahren, die ein Überlebensprogramm aktivieren.

Welches Wissen und welche Möglichkeiten wird uns die Signalforschung in Zukunft liefern?

Um ein wirkliches Verständnis der intrazellulären Signalprozesse zu bekommen, muss man sieben Fragen beantworten. Erstens: Wer ist an der Signalweiterleitung beteiligt? Zweitens: Welche Funktionen haben die verschiedenen Komponenten genau? Drittens: Mit wem interagieren diese Proteine? Das Signalgeschehen ist abhängig von der Kommunikation zwischen Proteinen, also von Protein-Protein-Wechselwirkungen. Die vierte Frage lautet: Wie genau wird der Signalmechanismus gesteuert? Als fünftes und sechstes müssen wir wissen, wo in der Zelle findet dieses Signal überhaupt statt und wann? Jedes Signal ist nämlich ein Ereignis, das an einem bestimmten Ort mit einer bestimmten zeitlichen Kinetik abläuft. Die letzte schwierige Frage lautet: Wie viel Signal gibt es? Von diesen sieben Fragen bearbeiten wir im Augenblick hauptsächlich die ersten drei. Da haben wir schon viele Antworten gefunden. Die nächste Frage, nämlich das „Wie“, steht aktuell im Fokus der Forschung. Die Lokalisation, die zeitlichen Abläufe und die quantitativen Aspekte der Signalwege sind dagegen noch sehr wenig verstanden. Wir müssen hier vor allem Methoden entwickeln, welche Signale quantifizieren können.

Im Excellenzcluster bioss wollen Sie aber doch genau diese Fragen klären. Wie soll das gehen, wenn es noch an den notwendigen Werkzeugen mangelt?

Die transparente Zelle ist ein Traum. Das Exzellenzcluster bioss will erreichen, dass er irgendwann wahr wird. (Foto: bioss)
Die zentrale Forschungsidee von bioss ist es, die biologische Signalleitung mittels eines dialektischen Prozesses zwischen analytischen und synthetischen Ansätzen zu studieren. Mittels analytischer Methoden sollen weitere Antworten auf die ersten drei Fragen gefunden werden. So wollen wir mit einem sehr teuren aber hochmodernen Ionenfallen-Massenspektrometer - eine sogenannte Orbitrap - neue Signalproteine sowie deren Modifikation und Bindungspartner identifizieren. In unseren synthetischen Arbeiten wollen wir chimäre Proteine herstellen, die als Signalschalter oder Detektoren funktionieren, sowie biologische Signalwege nachbauen.

Wie wollen Sie das machen?

Das wird erstmal auf einer sehr einfachen Ebene geschehen. Wir werden bestimmte Zellen nehmen, denen ein Signalweg fehlt. Das können zum Beispiel Hefezellen oder Fliegenzellen sein, die einen bestimmten Signalweg aus Säugerzellen noch nicht ausgebildet haben. In diesen einfachen Zellen werden wir dann den Säuger-Signalweg nachbauen. Bei diesem synthetischen Ansatz ist man experimentell sehr frei und kann die Komponenten neu mischen und verändern. Dadurch können wir sehen, wie Mutationen von Signalproteinen die Funktion eines Signalsystems verändern. Die Idee dahinter ist, dass ein wirkliches Verständnis von biologischen Prozessen nur dann zustande kommt, wenn man in der Lage ist diese zu rekapitulieren, und zwar durch eine Synthese. Das hat uns die Chemie vorgemacht. Sie hat erst mal chemische Stoffe identifiziert, dann analytisch charakterisiert und später synthetisiert. Wenn man Stoffe neu synthetisieren konnte, dann war auch vollkommen klar, wie sie zusammengesetzt waren. Das wollen wir Biologen in dem begrenzten technischen Maß, das uns zur Verfügung steht, jetzt auch versuchen. Daneben hat die synthetische Biologie, die wir hier anwenden, noch ein zweites Ziel: die Herstellung von Molekülen und Proteinen, die es so in der Natur nicht gibt. Wir wollen durch die Neukombination verschiedener Proteindomänen Schalterproteine entwickeln, die in der Lage sind Signale an bestimmten Orten in der Zelle zu erzeugen. So wollen wir Signalschalter auf einem Mitochondrium - dem Kraftwerk der Zelle - platzieren, gezielt anschalten und beobachten, wie sich das Signal in den Zellen ausbreitet.

Gehören diese Arbeiten primär zur Grundlagenforschung oder denken Sie bereits an gezielte Anwendungen?

Erst mal ist das reine Grundlagenforschung. Diese synthetischen Ansätze sind etwas relativ Neues und die synthetische Biologie ist ein Feld, das sich gerade erst entwickelt. Die Kombination der synthetischen Biologie mit der Signalforschung, wie wir es hier in Freiburg planen, ist außerdem etwas Einmaliges. Da sind wir noch ganz am Anfang. Trotzdem können Schalterproteine, mit denen man bestimmte Signalwege anschalten kann, auch für die klinische Forschung sehr relevant sein. Wir werden zum Beispiel bald versuchen, Modelle für Krebserkrankungen des Menschen zu konstruieren. Es gibt eine ganze Reihe von Tumoren, die durch deregulierte Signalwege hervorgerufen werden, und für einen Teil von ihnen gibt es keine Mausmodelle. Wir wollen deshalb versuchen, bestimmte veränderte Signalproteine, die aus den Tumoren von Patienten isoliert wurden, in Mäusen zur kontrollierten Expression zu bringen. Entwickeln die Mäuse die Tumorerkrankung, kann sie natürlich wesentlich besser studiert werden. Es gibt da also sehr wohl auch klinische Ansätze und konkrete Projekte.

Für bioss haben Sie sich etwas Besonderes erdacht, den Signalingenieur beziehungsweise die Signalingenieurin. Wozu brauchen wir diesen neuen Wissenschaftlertyp?

Wir sind jetzt erst mal bescheiden und wollen nicht gleich einen Studiengang für synthetische Biologie einrichten. Wir wollen erst mal ein innovatives Forschungsprogramm aufstellen und daraus Lehrangebote entwickeln. Ob sich aus all dem nach fünf Jahren ein eigener Ausbildungsgang entwickelt, muss man sehen. Wir wollen aber auf jeden Fall gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern in der 11. Fakultät für angewandte Wissenschaften Ingenieurswissenschaftler mit Biologen und Medizinern zusammenbringen und aus dieser Zusammenarbeit spannende Projekte entwickeln. So wollen wir beispielsweise Signalwege auch in vitro, also außerhalb der Zelle aufbauen und zwar in kleinen Mikro-Fluidik-Systemen. Wichtig für die Arbeit von Signalingenieuren ist das Werkzeug. Wir sind gerade dabei ein Ressourcenzentrum in Freiburg zu etablieren, in dem die benötigten Materialien, vor allem Expressionsplasmide, für den Bau von Signalmolekülen gelagert und sehr effizient verteilt werden können. Wir hoffen, dass wir in den nächsten Monaten die ersten Plasmide entgegen nehmen und dann auch weiterleiten können.

Dürfen sich auch Wissenschaftler außerhalb des bioss-Verbundes an das neue Ressourcenzentrum wenden?

Das Ressourcenzentrum ist sehr wohl auch nach außen offen. Jeder Wissenschaftler in der Welt kann diese Plasmide anfragen. Er muss nur bestimmte Regeln beachten. Ich hoffe, dass uns viele Kolleginnen und Kollegen anschreiben werden. Wenn sie dann die Materialien bekommen, werden sie automatisch auch von unserer Forschung erfahren, und das wird helfen, bioss international sichtbar zu machen. 

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