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Das unbemerkte Bakterium

Die humane granulozytäre Anaplasmose kommt in Deutschland im Gegensatz zu den USA so gut wie nicht vor. Dr. Friederike von Loewenich untersucht mit ihrem Team vom Freiburger Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, warum das so ist. Sind die deutschen Stämme des Bakteriums Anaplasma phagocytophilum etwa weniger gefährlich als die amerikanischen? Oder liegt ein Irrtum vor?

So sieht ein mit Anaplasma phagocytophilum befallener Granulozyt aus. Die Erreger bilden membranumschlossene Agglomerate (die zwei schwach violetten Strukturen unter dem stärker violetten Zellkern). (Abbildung: Dr. Friederike von Loewenich)
Das Bakterium Anaplasma phagocytophilum ist in Europa zum ersten Mal in den 1930ern bei Schafen und Rindern gefunden worden. Der Mensch infiziert sich genauso wie Tiere über einen Zeckenstich. Der Erreger dringt über die Stichstelle ins Blut und befällt die als neutrophile Granulozyten bezeichneten Immunzellen, in denen er membranumschlossene Agglomerate bildet und sich vermehrt. Eine Anaplasmose schwächt das Immunsystem und kann neben grippeähnlichen Zuständen wie Abgeschlagenheit, Fieber sowie Kopf-, Glieder- und Muskelschmerzen auch den Ausfall von Organen zur Folge haben. In den USA gab es seit 1994 etwa 3.000 Erkrankte. „Im Gegensatz dazu sind seit der ersten dokumentierten Erkrankung eines Menschen in Europa im Jahr 1997 nur einige wenige europäische Krankheitsfälle bekannt“, sagt Dr. Friederike von Loewenich, Forschungsgruppenleiterin am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universitätsklinik Freiburg. „Das verwundert zunächst einmal.“

Sind die europäischen Stämme weniger gefährlich?

Diese Diskrepanz kann laut der Medizinerin von Loewenich zwei Gründe haben. Entweder sind die deutschen Erreger-Stämme nicht so pathogen wie die amerikanischen und lösen deshalb weniger Erkrankungen aus. Oder sie sind genauso pathogen und lösen im Prinzip genauso viele Krankheitsfälle aus. Dann liegt das Problem bei der Diagnose der Krankheit durch die europäischen Ärzte.
„Eine solche Fehldiagnostik ist bei Anaplasma phagocytophilum durchaus möglich“, erklärt von Loewenich, die sich schon seit etwa acht Jahren mit dem Bakterium beschäftigt. „Die Erreger kann man in Routinetests nicht nachweisen, weil sie sich auf den gängigen Bakteriennährböden nicht anzüchten lassen. Die Erkrankung kann nur durch eine spezielle Blutuntersuchung nachgewiesen werden, die bei grippeähnlichen Symptomen jedoch in der Regel nicht gemacht wird.“
Spezifische Antikörper des betroffenen Patienten erkennen bakterielle Strukturen in Zellen, die mit Anaplasma phagocytophilum infiziert sind. Die gebundenen Patienten-Antikörper werden unter dem Fluoreszenzmikroskop durch Zweit-Antikörper sichtbar gemacht
Spezifische Antikörper des betroffenen Patienten erkennen bakterielle Strukturen in Zellen, die mit Anaplasma phagocytophilum infiziert sind. Die gebundenen Patienten-Antikörper werden unter dem Fluoreszenzmikroskop durch Zweit-Antikörper sichtbar gemacht, die an fluoreszierende Farbstoffe gekoppelt sind. (Abbildung: Dr. Friederike von Loewenich)
Ob die zweite Erklärungsmöglichkeit im Falle der niedrigen europäischen Anaplasmose-Statistik zutrifft, haben von Loewenich und ihre Mitarbeiter untersucht, indem sie molekulargenetische Vergleiche zwischen amerikanischen und insgesamt 181 europäischen Erreger-Stämmen durchgeführt haben. Dazu überprüften sie zum Beispiel die Gensequenzen der DNA für das Anaplasma-spezifische Gen "ank". Das Ergebnis zeigte, dass die Stämme aus Amerika und Europa genetisch sehr ähnlich sind. Die europäischen Stämme sind also vermutlich nicht weniger pathogen. „Die Erkrankung wird wahrscheinlich einfach nur nicht entdeckt“, sagt von Loewenich.

Ungewöhnliche Kontrollmechanismen

Mit den Verfahren der Polymerasekettenreaktion (PCR) und der Gelelektrophorese lassen sich spezifische Gene des Bakteriums nachweisen. (Abbildung: Dr. Friederike von Loewenich)
Dass Anaplasmen besondere Bakterien sind, zeigen nicht nur die Schwierigkeiten beim Nachweis. Das Immunsystem kontrolliert die Erreger offenbar auch anders als es dies bei anderen Erregern tut. Der Zellwand des Anaplasma-Bakteriums fehlen die üblichen Erkennungsmerkmale wie das sich weitflächig vernetzende Molekül Peptidoglykan oder das Lipopolysaccharid (LPS). LPS wird normalerweise von Strukturen an den Zellmembranen der Immunzellen gebunden und löst in deren Inneren komplexe Signalkaskaden aus, die letztlich ein Abwehrprogramm einleiten. Experimente der von-Loewenich-Gruppe an Mäusen zeigen aber zum Beispiel, dass die übliche Struktur MyD88 in Immunzellen nicht nötig ist, damit die Anaplasma-Bakterien erkannt werden. Entscheidend für die Kontrolle sind hingegen T-Helfer-Zellen, die das Molekül CD4 an ihrer Oberfläche tragen, ohne sie findet keine Erregerelimination statt.

„In zukünftigen Projekten wollen wir das Zusammenspiel dieses T-Zell-Typs mit den befallenen neutrophilen Granulozyten besser verstehen“, sagt von Loewenich. „Wie zum Beispiel gelingt es den T-Zellen, befallene Granulozyten zu eliminieren?“ Außerdem wollen die Freiburger Forscher untersuchen, wie das Bakterium vom Immunsystem erkannt wird, da die üblichen Rezeptoren offenbar keine Rolle spielen. Das oft unbemerkte Bakterium könnte so für die Immunologie also noch ganz neue Erkenntnisse bringen und dann wenigstens bei Wissenschaftlern mehr Beachtung erlangen.
mn – 11.08.08
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen zum Beitrag:
Dr. med. Friederike von Loewenich
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene
Hermann-Herder-Str. 11
79104 Freiburg
Tel.: +49-761/203-5359
Fax: +49-761/203-6651
E-Mail: friederike.loewenich@uniklinik-freiburg.de
Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/das-unbemerkte-bakterium