Das Zellgedächtnis effizienter löschen
Kann aus einer Hautzelle eine Nieren-, Herz- oder Leberzelle entstehen? Regenerationsbiologen gelang es vor rund fünf Jahren zum ersten Mal, ausdifferenziertes Körpergewebe mit dem richtigen Cocktail aus Transkriptionsfaktoren in pluripotente Stammzellen zurückzuverwandeln. Daraus Organgewebe zu gewinnen, ist aber noch reine Zukunftsmusik. Denn noch ist die Ausbeute von Stammzellen viel zu gering. Dr. Maria Manukyan vom Zentrum für Biologische Signalstudien (BIOSS) Freiburg möchte herausfinden, wie das Verfahren der Rückprogrammierung effizienter und sicherer gemacht werden kann. Eine wichtige Rolle spielt hierbei das epigenetische Zellgedächtnis.
Eine Kolonie humaner embryonaler Stammzellen in einer Petrischale
© Dr. Maria Manukyan
Unsere Körperzellen sind ziemlich festgefahren. Im Gegensatz zu Stammzellen, denen noch sehr viele Möglichkeiten offen stehen, sind Neuronen, Hautzellen oder Leberzellen darauf festgelegt, ein Leben lang dieselbe Aufgabe zu erfüllen. Die mangelnde Flexibilität hat damit zu tun, dass das Erbgut von Körperzellen an bestimmten Stellen durch sogenannte Chromatinproteine blockiert ist. Gene, die nichts mit den Aufgaben einer bereits ausdifferenzierten Körperzelle zu tun haben, können nicht mehr abgelesen werden. Zu den Chromatinproteinen gehören zum Beispiel Histone, die die DNA zu einem dichten Knäuel verpacken (dem Chromatin). Es ergibt sich ein sogenannter epigenetischer - der genetischen Ebene aufgelagerter - Code, der festlegt, welche Gene in einer Zelle abgeschaltet bleiben. Teilt sich eine Körperzelle, dann gibt sie diesen Code an die Tochterzellen weiter, sodass auch diese nicht aus ihrer Rolle schlüpfen können.
Bereits 2006 gelang es Wissenschaftlern, Hautzellen durch die Zugabe von nur vier Molekülen in stammzellähnliche induzierte Pluripotente Zellen (iPS-Zellen) zurück zu verwandeln. Sie hatten damit gelernt, das Zellgedächtnis zu löschen. Steht der Weg für Organzucht aus Körperzellen offen? Nicht ganz. „Bisher gelingt die Rückprogrammierung nur bei circa 0,1 Prozent der Zellen“, sagt Dr. Maria Manukyan, unabhängige Forscherin am Zentrum für Biologische Signalstudien (BIOSS) in Freiburg.
Auf der Suche nach einem Goldstandard für die Einstufung von iPS-Zellen
Dr. Maria Manukyan
© privat
Manukyan verfolgt seit September letzten Jahres ein riskantes Projekt. Sie möchte herausfinden, wie man die Ausbeute bei der Rückprogrammierung von menschlichen Körperzellen erhöhen kann. Riskant ist das Projekt nicht zuletzt deshalb, weil die Forscherin nicht in ein Riesenteam eingebunden ist, wie das bei vielen Global Playern auf dem Gebiet der humanen Stammzellforschung der Fall ist. Sie arbeitet als eine von vier jungen Forschenden im sogenannten BIOSS-Inkubator. Dieses neue Laborformat ermöglicht es Juniorwissenschaftlern unabhängig an einem eigenen, kleineren Projekt zu forschen und auf das Know-how von anderen Forschern des BIOSS-Verbundes zuzugreifen.
Kann Manukyan mit den großen Gruppen aus den USA oder anderen Ländern mithalten? Die Chance besteht, gerade weil ihr Projekt vorerst gar nicht hoch hinaus will: Das vorläufige Ziel ist es nicht, so viele Körperzellen wie möglich in iPS-Zellen zu verwandeln. Manukyan will zunächst ein verlässliches Werkzeug finden, mit dem eine iPS-Zelle überhaupt als eine solche eingestuft werden kann. Denn wenn Forscher Körperzellen in der Petrischale mit verschiedenen Substanzen behandeln, um sie in den glücklichen Urzustand zurückzuversetzen, dann erhalten sie ein ganzes Kontinuum an Zellen. Einige weisen mehr Merkmale von echten Stammzellen auf, einige weniger.
Zellkerne, in denen das Nicht-Histon-Chromatinprotein HP1 angefärbt wurde. Das Protein blockiert die DNA und verhindert die Expression bestimmter Gene
© Dr. Maria Manukyan
„Wenn wir nicht wissen, wann eine Rückprogrammierung zu hundert Prozent erfolgreich war, dann können wir kein wirklich verlässliches Verfahren zur Rückprogrammierung entwickeln“, erklärt Manukyan das Problem. „Ich möchte zunächst eine Liste von Merkmalen aufstellen, die in Zukunft als Goldstandard gelten kann für die Einstufung einer iPS-Zelle.“ Der Schlüssel hierzu ist der epigenetische Code einer Zelle. Wie unterscheidet sich der Zustand des Chromatins in einer Stammzelle von dem in einer Körperzelle? Welche Bereiche sind durch Chromatinproteine blockiert und welche sind „offen“? Welches dynamische Profil weist der Code bei einer Stammzelle auf? Um solche Fragen zu beantworten, hat Manukyan humane embryonale Stammzellen aus den USA importiert und untersucht nun mithilfe von molekularbiologischen Methoden deren epigenetisches Profil im Vergleich zu anderen Zelltypen.
Bis zur medizinischen Anwendung wird noch viel Zeit vergehen
Das Projekt steht noch am Anfang. Allein der bürokratische Aufwand, der für eine Einfuhr von humanen Stammzellen nach Deutschland notwendig ist, hat viele Monate in Anspruch genommen. Und auch die Laborarbeit mit Stammzellen ist nicht so einfach wie mit ausdifferenzierten Zellen, denn Stammzellen sind wie Kinder. „Jeden Tag muss man das Nährmedium wechseln“, sagt Manukyan. „Jeden Tag muss man aufpassen, dass sie nicht spontan zu Körperzellen ausdifferenzieren.“
Hat sie das epigenetische Profil einer humanen Stammzelle definiert, dann kann Manukyan das nächste Ziel anvisieren. Wie lassen sich die Strukturen des Chromatins und die Aktivitäten der Chromatinproteine manipulieren? Hilft die genaue Kenntnis des epigenetischen Codes, Körperzellen den Stammzell-Code mit Hilfe von molekularen Eingriffen aufzudrücken?
Damit die Technologie irgendwann für medizinische Anwendungen zur Verfügung stehen kann, werden schließlich auch ganz praktische Probleme zu lösen sein. Bisher haben die iPS-Programmierer ihre Zellen mit eher brachialen Methoden behandelt: zum Beispiel, indem sie die Cocktails aus nötigen Molekülen über Viren einschleusten. Sollte das umprogrammierte Gewebe irgendwann in Menschen eingesetzt werden, dann müssen Mediziner auf Viren verzichten, denn was diese als Nebenwirkungen mit sich bringen, ist nicht zu kontrollieren. „Alles ist in allem hat man hier ein großes Potenzial für medizinische Anwendungen“, sagt Manukyan. „Aber es ist alles eine Frage der Qualität und Quantität. Es wird noch Zeit brauchen.“