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Dem Gleichgewicht in der Zelle auf der Spur

Viele biologische Prozesse, die in unserem Körper ablaufen, werden von Proteinkomplexen vorangetrieben und kontrolliert. Um diese Abläufe besser zu verstehen, entwickelt der Biochemiker Prof. Dr. Florian Stengel von der Universität Konstanz Methoden, die es in Zukunft erlauben sollen, die Architektur, das Zusammenspiel und die generelle Dynamik intakter Proteinkomplexe genauer zu untersuchen. Dafür verbindet er Methoden der strukturellen Massenspektrometrie mit Ansätzen der computergestützten Modellierung.

Schematische Darstellung der Methoden: i) Strukturdaten aus unterschiedlichen Quellen werden gesammelt, wobei insbesondere die strukturelle Massenspektrometrie zum Einsatz kommt, ii) das System wird als Ansammlung rigider Körper repräsentiert, iii) durch extensives Sampling wird ein Ensemble von Modellen gewonnen, die im Einklang mit den experimentellen Daten stehen und iv) das Ensemble wird analysiert und validiert. © Erzberger, Stengel, Pellarin et al., Cell, 2014

Obwohl die Erforschung von Proteinkomplexen und deren Bedeutung im Körper in den letzten Jahren weit vorangeschritten ist, existiert noch immer eine nur sehr ungenaue Vorstellung davon, wie diese Komplexe auf der Ebene der intakten makromolekularen Ansammlung miteinander interagieren. Der Biochemiker Florian Stengel, der an der Universität Konstanz eine Juniorprofessur innehat, verantwortet seit 2015 den Bereich der Zellulären Proteostase und Massenspektrometrie mit einem eigenen Labor. Dabei fokussiert sich seine Arbeitsgruppe auf die Erforschung des Aufbaus und der Dynamik intakter Proteinkomplexe sowie die Anwendung und Entwicklung hybrider Methoden zur Strukturaufklärung in diesem Zusammenhang. „Die dynamische Natur des Miteinanders intakter Proteinkomplexe auf molekularer Ebene ist bisher wenig erforscht. Uns geht es deshalb darum zu begreifen, wie dieses Zusammenspiel funktioniert. Wir wollen verstehen, wie der Proteingehalt einer Zelle reguliert wird, denn dies ist entscheidend für die zelluläre Homöostase“, erklärt Stengel. Die Homöostase bezeichnet die Mechanismen zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts in der Zelle durch interne, regelnde Prozesse.

Neue Nachwuchsgruppe bringt Strukturermittlung von Proteinkomplexen voran

Der Biochemiker Prof. Florian Stengel von der Universität Konstanz erforscht Methoden zur besseren Analyse des dynamischen Gleichgewichts von Proteinen in der Zelle. © Prof. Florian Stengel / Universität Konstanz

Um diesen Forschungsbereich zu fördern, wurden Stengel zum Aufbau einer Nachwuchsgruppe im Rahmen des Emmy Noether-Programms von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) rund 1,2 Mio. Euro bewilligt. In einem Förderzeitraum von fünf Jahren kann der Biochemiker mit seinem Team so Methoden entwickeln, mit denen das dynamische Gleichgewicht von Proteinen in der Zelle besser verständlich gemacht werden kann. „Im Moment ist unsere Forschungsgruppe noch recht klein. Neben meiner eigenen Arbeit sind noch eine wissenschaftliche Hilfskraft sowie meine beiden Doktoranden an dem Projekt beteiligt. Die Gruppe soll aber noch wachsen, weshalb wir auf der Suche nach qualifizierten Doktoranden und Postdocs sind“, so Stengel.

Im Rahmen des Forschungsvorhabens soll das Verständnis für die Struktur von Proteinkomplexen geschärft werden. Ziel ist es, verschiedene Akteure, die für die Proteostase entscheidend sind, auf der Ebene intakter Proteinkomplexe zu analysieren. „Dadurch soll langfristig eine Lücke zwischen hochauflösenden Ansätzen der klassischen Strukturbiologie und systemweiten Ansätzen der Proteomik geschlossen werden“, erläutert der Biochemiker. Bisherige strukturbiologische Methoden wie beispielsweise die Röntgenkristallographie sind in der Lage, einzelne Proteinkomplexe zu untersuchen – wohingegen die systemweite Proteomik, die sich zwar mit der Erforschung der Gesamtheit der Proteine befasst, primär die Ebene des einzelnen Proteins oder Peptids adressiert.

Mit Verknüpfung der Methoden zum Erfolg

„Ich verfolge im Rahmen meiner Forschungstätigkeit also einen hybriden Ansatz, der es ermöglichen soll, den strukturellen Zusammenhalt im Prinzip beliebiger, makromolekularer Ansammlungen von Proteinen und Proteinkomplexen darzustellen und somit unser Verständnis dieser wichtigen Schlüsselmodule der Zellen zu erweitern“, erklärt Stengel. Er verknüpft für die Erforschung der zellulären Proteostase insbesondere klassische Methoden der Biochemie mit neuen Ansätzen in der Proteomik. Neben Methoden der Massenspektrometrie, die mit computergestützter Modellierung verbunden werden, sollen aber auch moderne Sequenziermethoden zum Einsatz kommen.

„Das Forschungsprojekt ist gerade erst gestartet. In fünf Jahren soll unsere Arbeit aber dazu beitragen, die Funktion einiger dieser komplexen Gleichgewichtsmechanismen in der Zelle besser zu verstehen“, sagt der Konstanzer Biochemiker abschließend. Die Ergebnisse werden sicherlich zunächst für die Grundlagenforschung relevant sein. In der Zukunft könnten aber vielleicht auch einige der zu entwickelnden Methoden Anwendung in der angewandten Forschung oder zu diagnostischen Zwecken finden.

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