Den molekularen Ursachen der Evolution auf der Spur
Seit Darwin seine revolutionäre Theorie über die Entstehung der Arten formulierte ist in der Evolutionsforschung viel passiert. Dennoch wissen wir auch viele Jahrzehnte nach Veröffentlichung seiner Schrift „The Origin of species“ noch vergleichsweise wenig über die genaue molekulare Ursache evolutionärer Anpassungsprozesse. Die Biologin Dr. Felicity Jones beschäftigt sich mit ihrer Arbeitsgruppe am Tübinger Friedrich-Miescher-Laboratorium der Max-Planck-Gesellschaft mit der Frage, wie es durch die Rekombination von Genen und Chromosomen zur evolutionären Anpassung an neue Lebensräume oder gar zur Entstehung neuer Arten kommt. Für ihre Forschungsarbeiten erhielt sie vor Kurzem einen der begehrtesten Preise in der europäischen Forschungslandschaft, den „ERC Consolidator Grant“.
Die Biologin Dr. Felicity Jones möchte klären, welche molekulargenetischen Mechanismen für die evolutionäre Anpassung an Lebensräume verantwortlich sind. Für ihre Forschungsarbeiten erhielt Jones den „Consolidator Grant“ des Europäischen Forschungsrates.
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Einmal im Jahr werden mit den „Consolidator Grants“ des Europäischen Forschungsrats Nachwuchsforscher beliebiger Nationalität, die bereits herausragende Forschungsarbeit geleistet haben, für eine Dauer von fünf Jahren unterstützt. Die hochdotierte Forschungsförderung mit einem Projektvolumen von bis zu zwei Millionen Euro erhalten die exzellenten jungen Wissenschaftler, um neue Arbeitsgruppen aufzubauen und innovative Technologien zu entwickeln. So auch die Australierin Dr. Felicity Jones, Forschungsgruppenleiterin am Tübinger Friedrich-Miescher-Laboratorium (FML) der Max-Planck-Gesellschaft, die in diesem Jahr mit einem „Consolidator Grant“ für ihr Projekt „EvolRecombAdapt: Recombination in Adaptive Evolution“ ausgezeichnet wurde: „Mit dem Preisgeld möchte ich die Rolle von Rekombinationsereignissen in Evolutionsprozessen erforschen und mehr über deren molekulare Ursache erfahren“, erklärt Jones.
Der Stichling als Modell für Wirbeltiere
Ihr bevorzugtes Forschungsobjekt zur Beobachtung von Evolutionsvorgängen ist der dreistachlige Stichling Gasterosteus aculeatus. „Dieser Wirbeltier-Modellorganismus verbindet in besonderer Weise genetische und molekularbiologische Studien mit evolutionären Anpassungsprozessen in natürlichen Ökosystemen“, so Jones. „Diese Fischart findet sich in zahlreichen Meer- und Süßwasserlebensräumen überall auf der Nordhalbkugel – auch in baden-württembergischen Seen und Flüssen. Solche natürlichen Populationen mit sich rasch verändernden Phänotypen machen sie für uns so interessant.“
Zudem ist das Genom mit 0,46 GB für das eines Wirbeltiers recht klein und damit überschaubar. Es sind bereits über 250 Genome des Modellorganismus komplett sequenziert. Und es gibt zahlreiche molekularbiologische Methoden, die sich zur Untersuchung von Stichlingsnukleinsäure bereits gut bewährt haben. Beispielsweise können die Biologen auf käufliche Genotypisierungsarrays aus Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs) zurückgreifen. Außerdem existieren bereits cDNA-Bibliotheken, RNA-Sequenzdaten aus verschiedenen Geweben, BAC-Bibliotheken sowie verschiedene transgene Techniken. Dabei sind die Stichlinge leicht zu halten und auch unterschiedliche Ökotypen mit einer großen Zahl an Nachkommen leicht untereinander zu kreuzen.
Der dreistachlige Stichling Gasterosteus aculeatus dient den Tübinger Wissenschaftlern als Modell für Evolutionsvorgänge bei Wirbeltieren. Die Fischart ist leicht zu züchten und findet sich auch in baden-württembergischen Gewässern.
© Ron Offermans / www.wikipedia.de
Die Tübinger Forscher wollen mit Hilfe der Stichlinge herausfinden, welche Schlüsselmechanismen auf Molekülebene verantwortlich sind, dass Lebewesen unter verschiedensten Umweltbedingungen überleben, sich an neue Ökosysteme anpassen oder gar neue Rassen und Arten entstehen. Dabei stehen zunächst die Fragen im Vordergrund, welche und wie viele Gene für solche Anpassungsvorgänge verantwortlich sind, wie die betreffenden Mutationen aussehen und welchen Effekt sie ausüben.
Rekombination als Werkzeug der Evolution
Bisherige Theorien gehen davon aus, dass die evolutionäre Anpassung alleine aus zufälligen Rekombinationsereignissen während der Meiose resultiert. Dabei werden im Zuge der Keimzellenbildung genetische Varianten, die die Eltern an ihre Nachkommen weitergeben, so kombiniert, dass potenzielle neue genetische Varianten entstehen können. Dieser Mischvorgang von Nukleinsäure gilt als eine der Hauptquellen für genetische Diversität und quasi als molekulare Triebkraft der Evolution. Dabei können sich die Neukombinationen für den Organismus als vorteilhaft erweisen, sie können ihm aber auch zum Verhängnis werden: „Das Ergebnis kann auch genauso gut eine unvorteilhafte Kombination von genetischen Varianten und damit Eigenschaften bedeuten – das ist dann für das Lebewesen natürlich nicht so gut“, so die Biologin, die schon in den USA, Neuseeland, Schottland geforscht und in Australien studiert hat.
Beispiel für eine transgene Stichlingslarve, bei der das sich entwickelnde Herz durch Expression des GFP-Proteins grünlich leuchtet.
© Friedrich-Miescher-Laboratorium Tübingen
Wie man bereits weiß, ist die Rekombinationshäufigkeit von verschiedenen Faktoren abhängig, wie beispielsweise der Position im Genom, vom Individuum, Geschlecht, der Population oder auch der Art. Was dabei aber genau auf Nukleinsäure-Ebene passiert, ist jedoch bisher weitgehend unbekannt. Diese Wissenslücke wird Jones gemeinsam mit ihren Mitarbeitern nun in den nächsten Jahren zu schließen versuchen: „Für unser Forschungsvorhaben werden wir modernste molekularbiologische Methoden, Genomik der nächsten Generation und klassische Genetik kombinieren, um verstehen zu können, wie genau molekulare Mechanismen und natürliche Selektion die Rekombination während evolutionärer Anpassungsprozesse beeinflussen“, erklärt die Tübinger Wissenschaftlerin. „Diese Fragestellung ist von fundamentaler biologischer Bedeutung und spielt beispielsweise auch eine Rolle beim Verständnis, wie sich schwere Erkrankungen beim Menschen im Lauf der Zeit entwickeln können – als Anpassung an bestimmte Lebensbedingungen.“
Evolution findet in den nicht-kodierenden Sequenzen statt
Bereits 2012 hat Jones mit ihren Mitarbeitern in der renommierten Zeitschrift Nature eine der bisher am höchsten aufgelösten Genkarten in Bezug auf Evolutionsprozesse für Wirbeltiere veröffentlicht: Aus der Untersuchung kompletter Genome verschiedener Stichlings-Ökotypen ergab sich, dass es sich bei den meisten Loci, die für Anpassung verantwortlich sind, um intergenische – also nicht-kodierende Sequenzen – handelt und sich diese in Regionen mit eher niedriger Rekombinationsfrequenz befinden. „Dies deutet darauf hin, dass für Evolutionsvorgänge Mutationen in den regulatorischen Sequenzen und nicht den Genen wichtig sind“, so Jones, „und außerdem die Unterdrückung von Rekombinationen eine Rolle spielt“.
Wie sich diese Mutationen genau auf Phänotyp und Fitness auswirken und wie solche „Hot & cold spots“ für Rekombinationsereignisse übers Genom verteilt sind, das möchten die Tübinger Max-Planck-Forscher in den nächsten Jahren herausfinden. Dazu wollen die Biologen zunächst solche Mutationen, aus denen Anpassung resultiert, mit Hilfe von genetischen Methoden und transgenen Organismen analysieren und funktionell testen und diese dann kartieren. Außerdem sollen die Mechanismen genauer untersucht werden, die dafür verantwortlich sind, dass Rekombination unterdrückt wird. Zusätzlich ist geplant, hunderte von genomischen Sequenzen mit Hilfe von bioinformatischen Methoden zu analysieren und damit Selektionsvorgänge auf Genomebene aufzuspüren.