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Der Wurm im Mensch

Seine Lebenserwartung beträgt ganze 20 Tage. Er ist klein wie ein Komma und besteht aus nur 959 Zellen. Caenorhabditis elegans, so der komplizierte Name des simplen Fadenwurms, ist eine gänzlich andere Erscheinung als der Homo sapiens, der - zumindest in Deutschland - auf gesegnete 79 Lebensjahre hoffen darf. Trotzdem rühmen die Alternsforscher den kleinen Nematoden als ihren wichtigsten Modellorganismus. An ihm studieren sie besonders gerne die Entstehung von Alterserkrankungen sowie den Prozess des Alterns selbst.

Windet sich unermüdlich für die Wissenschaft: der Fadenwurm Caenorhabditis elegans. (Foto: AG: Baumeister)
Aber wieso eignet sich ein so einfach gebauter Organismus zur Erforschung des komplexen menschlichen Alterns? „Ganz einfach, es gibt erstaunlich viele Gemeinsamkeiten von Mensch und Wurm“, sagt Prof. Dr. Ralf Baumeister, Molekulargenetiker und Bioinformatiker an der Universität Freiburg. Er arbeitet seit mehr als 15 Jahren mit dem Fadenwurm, der sich millionenfach durch jede Handvoll Erde wühlt und seine Laborkarriere in den 60er Jahren auf der Britischen Insel startete. Zwei Nobelpreise hat ihm sein unermüdliches Winden für die Wissenschaft in der Petrischale bereits eingebracht. Ohne die Erkenntnisse, die sie dem Wurm entlocken konnten, wären weder Sydney Brenner, Robert Horvitz und John Sulston 2002 noch Craig Mello und Andrew Fire 2006 in Stockholm geehrt worden.

Als Modellorganismus kaum zu schlagen

Das gesamte Erbgut von C. elegans, wie die Forscher ihren Schützling kurz nennen, war schon 1998 entschlüsselt worden. „Inzwischen wissen wir, dass der Mensch mehr als die Hälfte aller Gene mit dem Wurm gemeinsam hat“, erklärt Baumeister. Außerdem sind fast alle Mechanismen und Wege, die beim Menschen zu Krankheiten führen, auch in dem Nematoden angelegt. Doch auch aus anderen Gründen ist der Wurm als Modellorganismus kaum zu schlagen. „Da er ist sehr klein ist, ist er im Labor sehr einfach und in großen Zahlen zu halten“, erläutert Baumeister. Ethische Probleme fallen für die Forscher dabei weitgehend weg. Der Hauptvorteil von C. elegans aber ist, dass die Forscher sein Erbgut sehr einfach und gezielt manipulieren können. „In 20.000 parallel geführten Experimenten können wir uns genau anschauen, welches Gen was verändert“, schwärmt der Freiburger Biologe. Und da der Wurm nur drei Wochen lebt sind die Resultate der lebensverlängernden Experimente weitaus bequemer zu untersuchen als bei Nagern, die mehr als drei Jahre alt werden.
Roboter helfen bei der automatischen analyse vieler Experimenten mit C. elegans. (Foto: AG Baumeister)
Bereits in den 30er Jahren hatten Forscher an Ratten beobachtet, dass eine strenge Diät – die Forscher nennen das Kalorienreduktion – die Tiere länger als gewöhnlich leben läßt. Doch es dauerte sechs Jahrzehnte, bis die Wissenschaftler in den 90er Jahren anfingen zu verstehen, warum der Verzicht auf üppige Mahlzeiten zumindest Versuchstieren mehr Lebensjahre schenkt. Eine zentrale Rolle beim Altern spielen das Hormon Insulin und sein Rezeptor, also die Andockstelle auf den Zellen, die die Hormonwirkung vermittelt. Cynthia Kenyon hatte 1993 in San Fransisco als erste gezeigt, dass Veränderungen des Insulinrezeptors die Lebenszeit von C. elegans verdoppeln. Baumeister selbst machte 2004 eine spektakuläre Entdeckung. Er fand ein „Altersgen“, das, wie sich zeigte, über Insulin gesteuert wird. Mit molekularbiologischen Kniffen veränderten die Freiburger das Erbgutstück, so dass es seine Insulinempfindlichkeit verlor und der Wurm plötzlich stolze 40, in Kombination mit einer Kombination einer anderen Mutation sogar 80 Tage lebte.

Freie Radikale machen Stress

Insulin sorgt dafür, dass Zucker aus dem Blut in die Zellen hineingeschafft wird und dort in Energie umgesetzt werden kann. Bei diesem Prozess entstehen aber leider auch Stoffe, die dem Organismus schaden: aggressive Sauerstoffmoleküle, so genannte freie Radikale, die für Stress im Gewebe sorgen. „Diese Nebenprodukte des Energiestoffwechsels kann man mit Auspuffgasen vergleichen. Sie stören die Aktivität und das Überleben der Zellen“, beschreibt Baumeister das ungesunde Treiben im Körper.
Im Überfluss ist ein Teufelskreis angelegt: Umso kalorienreicher die Mahlzeiten ausfallen, desto mehr Insulin wird angefordert. Das wiederum treibt den Stoffwechsel an, wodurch immer mehr schädliche Sauerstoffmoleküle entstehen. Je umtriebiger aber das Insulin im Körper agiert, desto stärker werden jene Mechanismen unterdrückt, die die Schäden reparieren könnten, die der aggressive Sauerstoffmüll verursacht. Insulin und der Signalweg, über den es wirkt, regulieren also nicht nur den Stoffwechsel, sondern sie steuern auch die Stressantwort im Körper. Schon das erste von der Baumeister-Gruppe entdeckte „Alters-Gen“ entpuppte sich alsbald als Schüsselstelle, an der Stoffwechselstress erkannt und Schutzmaßnahmen initiiert werden – vorausgesetzt die Insulinbremse ist gelockert. Nun hat das Freiburger Team in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern von der Harvard Medical School einen zweiten insulingesteuerten Schalter gefunden. Er kontrolliert ein ganzes genetisches Netzwerk, das Zellen vor den eigenen „Auspuffgasen“ schützen und damit das Leben verlängern kann. Dass dieser Schalter ganz andere Überlebensmechanismen steuert als die, die bisher mit dem Hormon in Verbindung gebracht wurden, gilt als kleine wissenschaftliche Sensation. Keine Überraschung ist dagegen, dass dieser Hebel in C. elegans entdeckt wurde.
Ein Fadenwurm mit markierten Zellen
Die fluoreszierenden Punkte sind Genschalter. Sie binden in den Zellkernen an die DNA und schalten dabei lebensverlängernde Gene an. (Foto: AG Baumeister) © Baumeister

Wie im Spinnennetz – man zieht am Faden und alles bewegt sich

Leider genügt es nicht, diese zentralen Gene einfach an- oder auszuschalten, um das Altern zu unterbinden. Denn ein komplexes genetisches Programm, von dem bislang etwa 150 Gene bekannt sind, reguliert unsere Lebenserwartung. „Es ist wie bei einem Spinnennetz. Man zieht an einem Faden und alles bewegt sich“, beschreibt Baumeister das diffizile Zusammenspiel. Dieses komplizierte Gefüge in seinen Details untersuchen die Freiburger Wissenschaftler jetzt mit systembiologischen Methoden am Zentrum für Biosystemanalyse (ZBSA). Sicher sind sie sich, dass Hungern ein insulinunabhängiges Schutzprogramm im Körper aktiviert.

Im Gegenzug schaltet eine hohe Insulinaktivität diese Reparaturmechanismen ab, um Energie zu sparen. Denn auch wenn der moderne Geist da anders denkt, ist der menschliche Körper noch immer so programmiert, dass er seine Energie – so weit wie möglich - in Nachkommen steckt. Das macht er selbst auf Kosten der körpereigenen Reparaturmechanismen, die nur im äußersten Notfall aktiviert werden. Ist die Zeit des Kinderkriegens vorüber, sieht die Evolution nicht mehr vor, noch in teuere Instandhaltungsmaßnahmen, wie die Korrektur von Fehlern im Erbgut, zu investieren. Gewöhnlich schreitet die Alterung dann flott voran. Da verhält sich der Mensch wieder nicht anders als der Wurm.

Gesteigerte Lebenserwartung – eine erwünschte Nebenwirkung

Kann man dem Altern also durch ständige Askese ausweichen? Liegt im permanenten Fasten der Schlüssel zu einem endlos gesunden Leben? „So einfach ist das nicht“, wehrt Baumeister ab. Denn was C. elegans ohne Knurren mitmacht, werden nur die allerwenigsten menschlichen Mägen länger aushalten: jeden Tag Sparkost, der 30 Prozent der Kalorien fehlen, die wir gewöhnlich zu uns nehmen, ohne dick und rund zu werden. Da der Mensch nicht derart darben will, sucht die Wissenschaft nach chemischen Substanzen, die unser Reparaturprogramm auch in der zweiten Lebenshälfte in Gang halten.

Als ganz heißer Kandidat wird Resveratrol gehandelt. Der Stoff kommt natürlicherweise in Rotwein vor und hat, wie Tests an Mäusen nahe legen, das Zeug zur Altersbremse. Allerdings bedarf es dafür weit größerer Mengen als jener, die in einer Flasche Spätburgunder oder Merlot vorkommen. „Für die nötige Tagesdosis Resveratrol müsste der Mensch etwa 800 Liter Rotwein trinken“, sagt Baumeister. Auch warnt er vor Resveratrol-Pillen, die ohne irgendeine Arzneimittelzulassung im Internet verkauft werden. Welches Potential die Pharmaindustrie dennoch in dem Rotwein-Elixier vermutet, zeigte sich erneut vor wenigen Wochen. Die stattliche Summe von 720 Millionen Dollar war dem Pharmariesen GlaxoSmithKline eine kleine US-Firma namens Sirtis wert. Das Unternehmen hat ganze zwei Medikamente entwickelt. Ihre Wirksubstanz: Resveratrol, chemisch verändert und viel, viel höher konzentriert als im Wein. Beide Stoffe werden gerade in klinischen Studien getestet, mit ersten positiven Ergebnissen. Nun hoffen alle Beteiligten, dass die Arzneistoffe irgendwann wirklich dazu taugen, Alterserkrankungen wie Diabetes, Krebs, Herzkrankheiten oder Alzheimer zu behandeln. Dass sie auch die Lebenserwartung steigern, wird dann auf dem Beipackzettel unter – erwünschte – Nebenwirkung stehen.

Neue Aufgaben für den Wurm

Baumeister will das Geheimnis des Alterns letztlich mit der Systembiologie ergründen. Mit ihrer Hilfe soll das ganze Netzwerk der Gene beschrieben und ihr Zusammenspiel vorhergesagt werden. Dadurch will er auch die enge Kopplung des Alterns an viele Alterserkrankungen verstehen, um auf dieses Geflecht irgendwann günstig einwirken zu können. Hauptakteur in der Petrischale ist bei diesen Experimenten wieder Caenorhabditis elegans. Damit wird der kleine Wurm eine ganz neue, für die Universität Freiburg wichtige Aufgabe übernehmen: Er wird entscheidend dazu beitragen, dass sich die Grenzen der Forschungsdisziplinen auflösen werden. Denn wer Systembiologie erfolgreich gestalten will, der muss interdisziplinär arbeiten. 

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