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Der Zebrafisch kann sein Herz reparieren

Viele Zellen unseres Körpers können sich ständig erneuern. Aber nicht alle. Beispielsweise haben Nerven- oder Herzmuskelzellen in Erwachsenen ihre Fähigkeit zur Regeneration verloren. Unter anderem ist deshalb auch ein Herzinfarkt so gefährlich: Geschädigte Herzmuskelzellen können nicht ersetzt werden, der Herzmuskel vernarbt. Prof. Dr. Gilbert Weidinger hat mit einem internationalen Forscherteam einen Mechanismus entschlüsselt, der für die Herzregeneration bei Zebrafischen verantwortlich ist. So könnten Medikamente entwickelt werden, die auch die Regeneration menschlichen Herzgewebes ermöglichen.

Über 50.000 Menschen erleiden in Deutschland jährlich einen Myokardinfarkt, auch Herzinfarkt genannt. Infolge einer anhaltenden Durchblutungsstörung des Herzens kommt es zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen und es sterben Herzmuskelzellen ab. Ist diese Akutsituation vom Patienten überstanden, können geschädigte Zellen jedoch nicht mehr ersetzt werden – das Muskelgewebe des Herzens vernarbt, das Organ bleibt dauerhaft geschwächt. Diese Fähigkeit zur Zellerneuerung im Herzgewebe fehlt generell bei allen Säugetieren. Wie Forscher jedoch schon vor Jahren entdeckt haben, besitzen die meisten niederen Tiere, wie beispielsweise Fische oder Molche, die Eigenschaft, Herzmuskelzellen wieder nachzubilden und damit Verletzungen am Herzen vollständig ausheilen zu lassen.

Regenerationsfähigkeit des Zebrafischs ist phänomenal

Zebrabärblinge haben eine außergewöhnliche Eigenschaft: Sie können nicht nur verletzte Flossen regenerieren, sondern auch verletztes Herzgewebe nachwachsen lassen. © Elvira Eberhardt / Universität Ulm

Der Biologe Prof. Dr. Gilbert Weidinger erforscht mit seinem Wissenschaftlerteam am Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Universität Ulm die Regenerationsmechanismen im Herz von Zebrafischen. Zebrafische – biologisch korrekt Zebrabärblinge genannt – sind Aquarienzierfische, die ursprünglich aus den Zuflüssen des Ganges stammen. Sie sind beliebte Modellorganismen für Genetiker und Entwicklungsbiologen. Unter anderem weil die relativ großen Embryonen durchsichtig sind und sich so Entwicklungsvorgänge ohne großen Aufwand beobachten lassen. Für das Ulmer Forscherteam weiterhin von großer Bedeutung ist die Tatsache, dass der Zebrafischorganismus außerordentlich regenerationsfähig ist und dadurch wichtige Organe des Körpers nach Verletzung beliebig nachwachsen lassen kann: Sowohl Herz als auch abgetrennte Flossen können innerhalb kurzer Zeit wieder nachgebildet werden. „Damit sind die Tiere für uns so interessant, und wir wollen herausfinden, warum sie diese Fähigkeit zur Regeneration besitzen, Säuger aber nicht“, fasst Weidinger seinen Forschungsansatz zusammen. „Genauer gesagt suchen wir nach den Genen, die Zellteilungen während der Regeneration regulieren. Wenn man dann irgendwann einmal die Faktoren kennt und sie auch beim Menschen aktivieren könnte, hätte man vielleicht die Chance, auch hier Herzmuskelzellen wieder zu regenerieren. So weit sind wir zwar noch lange nicht, denn wir wissen noch sehr wenig darüber, wie Regeneration funktioniert. Dies ist aber die Grundidee, die hinter unseren Arbeiten steckt.“

Mit Tomo Seq Genaktivitäten in hohem Durchsatz bestimmen

Eine von den Autoren neu entwickelte Sequenziermethode (Tomo Seq) identifiziert Gene, die in bestimmten Regionen des regenerierenden Herzen aktiv sind. Die linke Spalte zeigt Gene, die in der Wunde aktiv sind (blaue Färbung), in der Mitte sind aktive Gene zu sehen, die nur an der Wundgrenze lokalisiert sind, und rechts aktivierte Gene im gesunden Gewebe. © Chi-Chung Wu / Universität Ulm

Um herauszufinden, welche Faktoren für die Regulation der Herzregeneration beim Zebrafisch verantwortlich sind, haben die Ulmer Biologen gemeinsam mit Kollegen vom niederländischen Hubrecht Institute in Utrecht eine ganz neue Methode zur Sequenzierung von RNA angewandt – das sogenannte Tomo-Seq-Verfahren. Mit diesem kann das räumliche Expressionsmuster des gesamten Transkriptoms eines Organismus sehr effizient genomweit analysiert werden. Dabei wird aus Gewebeschnitten isolierte RNA per Next Generation Sequencing analysiert und damit ermöglicht, Genaktivitäten gleichzeitig sowohl räumlich als auch genomweit zu lokalisieren. Mithilfe der Tomo-Seq-Methode untersuchten die Biologen das Aktivitätsmuster von Genen im regenerierenden Zebrafischherzen und erhielten so einen genomweiten Atlas an regional sehr unterschiedlichen Expressions- und Aktivitätsmustern.

Das Tomo-Seq-Verfahren war von den Utrechter Forschern vor Kurzem an Zebrafischembryonen etabliert worden. „Ganz neu bei unseren Untersuchungen war allerdings, dass sich nun in der Praxis erwiesen hat, dass die Methode auch für Organe geeignet ist“, sagt der Ulmer Zebrafischforscher. „Man kann das Verfahren daher in Zukunft auch bei der Untersuchung anderer Organismen anwenden.“ Innovativ am Tomo-Seq-Verfahren ist die Kombination der verschiedenen Untersuchungsdimensionen: „Diese Methode schließt die Lücke zwischen genomweiter und räumlicher Auflösung. Dies war bisher nur in sehr niedrigem Durchsatz zu analysieren“, so Weidinger. „Außerdem ist die Technik an sich eigentlich nicht kompliziert, weil mehr oder weniger schon gut etablierte Standardtechniken miteinander kombiniert werden. Allerdings ist der anschließende Bioinformatik-Teil komplex: Die Genexpressionsprofile der unzähligen, einzelnen Schnitte müssen zur Auswertung miteinander verglichen werden.“

Im Wundbereich werden Signalmoleküle reaktiviert

Herzregeneration: BMP-Signale sind nötig für die Regeneration des Herzens. Diese können die Regeneration beschleunigen, wenn sie experimentell verstärkt werden. Der gestrichelte Bereich markiert die Verletzung, die in Kontrollherzen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig regeneriert ist. In Herzen, in denen BMP-Signale blockiert wurden, ist die Wunde größer (mittleres Bild), während Herzen, in denen BMP-Signale verstärkt wurden, kleinere Wunden aufweisen. © Chi-Chung Wu / Universität Ulm

Mithilfe des Tomo-Seq-Verfahrens konnten die Wissenschaftler nun nachweisen, dass die Teilung der Herzmuskelzellen über besondere Proteine gesteuert wird. „Wir wussten schon, dass es an der Grenze zwischen Wunde und gesundem Gewebe eine Zone gibt, wo sich Herzzellen wieder teilen. Das machen sie normalerweise im gesunden Herzen nicht“, erklärt der Ulmer Zebrafischforscher. „Mithilfe der neuen Technik konnten wir nun Gene identifizieren, die genau in dieser Region, die für die Regeneration so entscheidend ist, aktiviert werden. Insbesondere haben wir gesehen, dass sogenannte BMPs (bone morphogenetic proteins) an der Wundgrenze angeschaltet werden.“ BMPs sind schon lange als wichtige Signalmoleküle in der Kommunikation zwischen den Zellen bekannt. Wie das internationale Forscherteam aber jetzt herausfand, werden diese Signalproteine bei den Zebrafischen insbesondere in den Wundbereichen reaktiviert, wo gesundes und verletztes Gewebe aufeinander treffen. Mithilfe von transgenen Zebrafischlinien, bei denen der BMP-Signalweg entweder blockiert oder aktiviert wurde, konnten die Biologen anschließend den Regenerationsprozess gezielt beeinflussen. Dabei stellte sich heraus, dass, sobald die Signalproteine blockiert waren, keine Herzmuskelzellen mehr regeneriert wurden. Durch Überaktivierungen von BMP dagegen konnte die Regenerationsrate sogar noch gesteigert werden.

„BMPs sind also entscheidend für die Teilung von Herzmuskelzellen während der Herzregeneration. Wir waren allerdings überrascht, dass diese Signalmoleküle keine Rolle bei der Teilung von Herzmuskelzellen während der embryonalen Entwicklung spielen, sondern nur bei verletzungsbedingter Herzregeneration“, sagt Weidinger. Und noch ein Befund ist erstaunlich: BMP-Signale sind auch nach der Schädigung von Säugerherzen nachzuweisen, sie scheinen dort allerdings den gegenteiligen Effekt auszulösen: „Es sterben noch mehr Herzmuskelzellen ab“, so der Ulmer Biologe. Und er fügt hinzu: „Damit können wir wohl ein neues Paradigma aufstellen. Das Signal, das durch Verletzung des Herzens angeschaltet wird, ist bei Fischen und Säugern das gleiche, aber offensichtlich kann die Antwort der Zellen völlig unterschiedlich ausfallen. Auf der Suche nach Erklärungen, warum Säuger nicht regenerieren, müssen wir uns also jetzt der Frage widmen, warum die Herzmuskelzellen so unterschiedlich reagieren.“

Funktion weiterer Kandidaten aufklären

So stehen in Zukunft noch einige Experimente rund um die BMP-Signalmoleküle an. Zum Beispiel wollen die Forscher herausfinden, welche Moleküle der BMP-Familie wann bei Säugern und beim Fisch aktiv sind, und natürlich, wie die Unterschiede zwischen Säugern und Fischen zustande kommen. Außerdem ergaben sich aus den Auswertungen der Tomo-Seq-Experimente auch noch viele andere Kandidaten-Moleküle, die bei der Regulation der Herzmuskelzellen oder auch bei der Entwicklung des Organs im Embryo eine Rolle spielen könnten. Deren Funktion aufzuklären wird die Biologen des Weidinger-Labors in den nächsten Jahren zur Genüge beschäftigen. Wüsste man dann eines Tages über alle Details Bescheid, die zur Regeneration von verletzten Herzmuskelzellen beitragen bzw. diese hemmen, dann könnte man geeignete Therapien entwickeln, mit deren Hilfe verletzte menschliche Herzmuskelzellen ebenso gut repariert werden könnten wie der Zebrafisch das heute schon kann.

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