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Der Zellkulturreaktor - mechanische Lunge als Tierversuchsersatz

Beim Atmen können nicht nur Sauerstoff, sondern auch Schadstoffe in die Lunge aufgenommen werden. Um herauszufinden, welche Auswirkungen diese Luftschadstoffe mit sich bringen, waren bislang Tierversuche nötig. Der Askea Feinmechanik GmbH aus Amtzell ist es nun zusammen mit der Cultex Laboratories GmbH gelungen, einen Zellkulturreaktor zur Untersuchung solcher Schadstoffe ohne Tierversuche zu entwickeln. Dieses Gerät kann die Auswirkung von Luftschadstoffen direkt an menschlichen Zellen oder auch Bakterien testen. Es kann beispielsweise zur Messung der Umwelt- und Arbeitsplatzatmosphäre oder in anderen Bereichen der Toxikologie eingesetzt werden.

Der von Askea entwickelte Zellkulturreaktor ermöglicht die Untersuchung von Luftschadstoffen in vitro. © Askea Feinmechanik GmbH

Welche Auswirkungen luftgetragene Schadstoffe wie beispielsweise Zigarettenrauch, Stäube beim Schweißen oder Dämpfe in Müllverbrennungsanlagen auf die Gesundheit haben können, konnte bislang nur unzureichend geprüft werden. Um die Folgen von Luftschadstoffen zu untersuchen, mussten bisher Tierversuche durchgeführt werden, da herkömmliche alternative Testmethoden nicht für solche Fragestellungen geeignet waren.

Die übliche Vorgehensweise in der In-vitro-Toxikologie wäre zum Beispiel die Zugabe von potenziell giftigen Stoffen, im Fall von Luftschadstoffen beispielsweise Filterextrakte, in das Kulturmedium der Zellen. Dies ist jedoch nicht sinnvoll, wenn man die Auswirkungen giftiger Stoffe auf die Lunge untersuchen will. Denn ein solcher Versuchsansatz spiegelt nicht die natürliche Exposition wider und aufgrund des Zellkulturmediums ist keine exakte Aussage zur Wirkungsweise der vorhandenen Partikel in der Luft möglich.

„Zum einen wird die Partikeloberfläche möglicherweise durch das Zellkulturmedium verändert, zum anderen ist nicht auszuklammern, dass die Dosis für sehr kleine Partikel verfälscht wird, da diese sich in der Lösung im Schwebezustand befinden und die Zellen somit nicht erreichen“, erklärt Herrmann Le Guin, Geschäftsführer der Askea Feinmechanik GmbH. Einen besseren Ansatz verspricht nun der neu entwickelte Zellkulturreaktor CULTEX® RFS (CULTEX Radial Flow System), welcher von der Askea Feinmechanik GmbH und der Cultex Laboratories GmbH entwickelt wurde.

Atemsimulation durch moderne Technik

Der Zellkulturreaktor besteht aus einem Basismodul und einem aufsetzbaren Deckel, der mittels eines Rahmengestells dicht mit dem Basismodul abschließt. Über einen zentralen Einlasskanal im Deckel können die Luftschadstoffe in das Basismodul gelangen. Eine kontrollierte Menge des Luft-Partikel-Gemisches wird von dort über drei strahlenförmig angeordnete Rohre in drei Glaskammern im oberen Teil des Basis-Moduls geleitet. In jeder der Kammern befinden sich während der Exposition Zellen in kleinen Kulturgefäßen. Der Luftstrom durch den Zellkulturreaktor wird mit einer Vakuumpumpe erzeugt, wobei das Volumen der Testatmosphäre durch Massenflussregler gesteuert wird. „Das strahlenförmige Verteilungssystem ermöglicht dabei eine präzise Verteilung der Testsubstanz auf die drei Kammern und gewährleistet somit eine hohe Reproduzierbarkeit“, erklärt Le Guin. Während der Exposition fließt der Hauptstrom über die Zellen hinweg und anschließend aus dem System heraus. „Die genaue Dosis der Atmosphäre, die die Zellen letztlich erreichen, ist von der Länge der Exposition, der Ausgangskonzentration und, wenn vorhanden, von der Größe der Partikel abhängig."

Optimiert wurde der Zellkulturreaktor mit einer Computational Fluid Dynamics Analyse (CFD-Analyse), einer anerkannten Methode zur näherungsweisen Simulation von Strömungsverhältnissen. „Durch diese Analyse lässt sich die natürliche Flugbahn der Partikeln aufgrund ihres Durchmessers durch das CULTEX® RFS simulieren“, erläutert Le Guin. Um selbst kleinste Partikel auftrennen zu können, wurde außerdem ein Zusatzmodul entwickelt, das die Partikel durch Anlagerung von Ionen elektrisch auflädt. Die geladenen Partikel können dann durch das Anlegen eines elektrischen Feldes direkt zu den Zellen gelenkt werden. Auf diese Weise ist es möglich, dass selbst Nanopartikel gleichmäßig verteilt direkt mit den Zellen in Kontakt gebracht werden, um so realistisch ihre biologische Wirkung zu analysieren.

Zellkultur-Tests unter realitätsnahen Bedingungen

Durch Peripheriegeräte wie den Partikelgenerator mit Elutriator wird eine optimale Partikelgrößenverteilung erreicht und zu große Partikel werden bereits vor dem Kontakt mit den Zellen abgetrennt. © Askea Feinmechanik GmbH

Mit dem CULTEX® RFS und seinem flexiblen und modularen Adaptersystem ist es möglich, die Auswirkungen verschiedener Schadstoffe sowohl an Bakterien als auch an menschlichen und tierischen Zellen zu testen. Zudem kann der Zellkulturreaktor Mono- und Ko-Kulturen von isolierten Zellen aus dem menschlichen Atemtrakt unter lebensnahen Bedingungen an der Luft-Flüssigkeits-Grenzschicht direkt mit Luftschadstoffen in Kontakt bringen, um deren Auswirkungen zu untersuchen. Dazu werden Gase, komplexe Gemische oder partikelhaltige Atmosphären, wie beispielsweise staubige Luft, mit den kultivierten Zellen direkt in Kontakt gebracht. „Mit einem modifizierten Ames-Test kann auch die genschädigende Wirkung unterschiedlicher Substanzen mittels Bakterien bestimmt werden“, erklärt Le Guin. Der Ames-Test ist eine etablierte In-vitro-Methode, die oft zur Untersuchung der mutagenen Wirkung von komplexen Substanzgemischen wie Zigarettenrauch oder potenziellen Arzneistoffen angewandt wird.

Nach der Exposition lässt sich die Wirkung der verwendeten Substanzen anhand der Zellvitalität oder der zellulären Reaktionen mittels mikroskopischer, biochemischer und molekularbiologischer Methoden auswerten. Akute oder chronische Effekte können auf diesem Weg auf zellulärer Ebene gezielt im Labor untersucht und mit menschlichen In-vivo-Daten abgeglichen werden. Damit gelingt es, Erkenntnisse über die gesundheitliche Gefährdung durch Feinstaub, Abgase oder Zigarettenrauch und deren Rolle in der Entstehung von Krankheiten des Atemtraktes zu gewinnen.

Gesetzliche Anerkennung der Methode steht noch aus

Der Zellkulturreaktor CULTEX® RFS wurde im Jahr 2013 mit dem Innovationspreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet und in einem BMBF-Projekt bereits weiter auf Reproduzierbarkeit, Stabilität und Aussagekraft der Methode überprüft. Ein erstes Gemeinschaftsprojekt zur Prävalidierung des Zellkulturreaktors zusammen mit dem Institut für Toxikologie und Pharmakologie der Bundeswehr in München und dem Institut für Pathologie des Universitätsklinikums in Mainz unter der Leitung der Cultex Laboratories GmbH wurde im vergangenen Jahr erfolgreich abgeschlossen. „Trotz guter und reproduzierbarer Ergebnisse über alle drei Standorte wird die gesetzliche Anerkennung der Methode als eine Alternative zu Tierversuchen noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Das Problem hierbei ist, neben der scheinbar noch immer geringen Akzeptanz für alternative Methoden, die geringe Bereitschaft zur Förderung der Entwicklung und Etablierung neuer Untersuchungsmethoden, nicht nur durch Bundesförderprogramme, sondern insbesondere auch der Industrie“, bedauert Le Guin.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/der-zellkulturreaktor-mechanische-lunge-als-tierversuchsersatz