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Deutschlandweit gemeinsam gegen Infektionskrankheiten

Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) arbeiten mehr als 150 Wissenschaftler an verschiedenen Standorten in ganz Deutschland gemeinsam daran, neue diagnostische, präventive und therapeutische Verfahren für die Behandlung von Infektionskrankheiten zu entwickeln. Mit von der Partie sind auch Wissenschaftler von Universität, Universitätsklinikum und dem Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Sie engagieren sich vor allem in der Erforschung und Suche nach neuen Wirkstoffen gegen Malaria, gastrointestinale Erkrankungen und Infektionen durch antibiotikaresistente Bakterien. Als Spezialisten für klinische Studien führen die Tübinger Forscher außerdem seit November im Auftrag der WHO die erste klinische Prüfung eines Ebola-Impfstoffs in Afrika durch.

Das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung DZIF ist ein virtuelles Zentrum, in dem sich seit 2012 deutschlandweit insgesamt 32 Forschungseinrichtungen an sieben Standorten zusammengeschlossen haben, um Grundlagen und Therapiemöglichkeiten von schweren Infektionskrankheiten zu erforschen. Dabei gliedert sich das Zentrum in zentrale Bereiche, die von allen Mitgliedern gleichermaßen genutzt werden können - beispielsweise Banken mit Proben, Wirkstoffen und Erregern oder Sicherheitslabore - und thematisch fokussierte Einheiten im Zusammenschluss einzelner Standorte. „Die Idee dabei war es, die deutsche Landschaft der Infektionsforschung zu harmonisieren und zu strukturieren, damit die jeweiligen Spezialisten mehr und besser zusammenarbeiten können“, erklärt PD Dr. Benjamin Mordmüller, stellvertretender Direktor des Instituts für Tropenmedizin am Universitätsklinikum Tübingen, einer der Forschungseinrichtungen des DZIF. Hinzu kommen vier afrikanische Partnerinstitute. Hier können Infektionskrankheiten wie Malaria oder Ebola direkt vor Ort erforscht werden, wo sie endemisch sind.

Durch Translation schneller zu Medikamenten

Im Forschungsschwerpunkt Malaria arbeiten Forscher aus ganz Deutschland gemeinsam daran, neue Medikamente zur Prophylaxe und Therapie der Infektionskrankheit zu entwickeln. Dabei übernimmt der Standort Tübingen innerhalb des DZIF die koordinierende Rolle. © DZIF, scienceRELATIONS

Das DZIF ist in sogenannten thematischen Translations-Einheiten – genannt TTUs (für thematic translation unit) – organisiert. Innerhalb einer solchen Einheit widmen sich spezialisierte Wissenschaftler aus Grundlagenforschung, Epidemiologie und Klinik an verschiedenen Standorten gemeinsam einem spezifischen Erreger beziehungsweise einer Infektionskrankheit. Dies soll einen möglichst schnellen Transfer von Forschungsergebnissen in den klinischen Alltag ermöglichen (Translation). Beispielsweise arbeiten in der „TTU Emerging infections“ über zehn Institute in ganz Deutschland - darunter auch das Tübinger Universitätsklinikum - unter der Leitung der Universität Marburg an der Bekämpfung der Ebola-Seuche zusammen.

Der Standort Tübingen ist im DZIF durch die Universität, das Universitätsklinikum und das Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie vor allem in drei Schwerpunktbereichen vertreten: „TTU Malaria“, „TTU Krankenhauskeime und antibiotikaresistente Bakterien“ und „TTU Gastrointestinale Infektionen“. In den Schwerpunkten Malaria und Infektionen durch antibiotikaresistente Bakterien übernimmt Tübingen innerhalb des DZIF die koordinierende Rolle. Darüber hinaus engagiert sich Tübingen auch in zentralen Querschnittsbereichen des DZIF wie beispielsweise der DZIF-Akademie für die Ausbildung von Nachwuchsforschern.

TTU Malaria: Test eines neuen Impfstoffs am Infektionsmodell

Zur Diagnose von Malariaparasiten im Blut wird dem Patienten Blut entnommen, ausgestrichen und dann mikroskopiert. © DZIF, scienceRELATIONS

Am Tübinger Tropeninstitut des Universitätsklinikums leitet PD Dr. Benjamin Mordmüller die klinische Forschungsplattform, die Teil des Forschungsschwerpunkts Malaria des DZIF ist. Dieser wird durch den Tübinger Professor Dr. Peter G. Kremsner koordiniert. Das Ziel der Wissenschaftler ist es, neue Arzneimittel zur Therapie und Prophylaxe der Malaria zu entwickeln. „In Lambaréné ist es völlig normal, dass die Leute ein- bis zweimal im Jahr Malaria bekommen“, führt der Infektionsforscher an. Die Krankheit gehört nach wie vor zu den häufigsten Infektionskrankheiten mit mehreren hunderttausend Todesfällen pro Jahr, 90 Prozent davon in Afrika. Besonders betroffen sind Kleinkinder. Der einzellige Krankheitserreger Plasmodium wird durch weibliche Stechmücken der Gattung Anopheles übertragen. Gegenwärtig gibt es noch keinen wirksamen Impfschutz. Zudem sind mittlerweile viele der Parasiten gegen die gängigen Medikamente resistent. „Dabei ist für den überwiegenden Teil der Infektionen Plasmodium falciparum verantwortlich, und bei dieser Art muss man auch am ehesten mit Komplikationen rechnen“, so Mordmüller. Er bezeichnet deshalb eine hochwirksame Malariaimpfung gegen diese Art des Parasiten als den „heiligen Gral der Malariaforschung“.

Mit seinen Mitarbeitern in Tübingen und Lambaréné arbeitet der Mediziner daran, Versuche aus Zellkulturen und Modellen in Medikamente umzuwandeln. Aktuell forscht man an einem klinischen Infektionsmodell, bei dem man gesunde Probanden nach langen Vorversuchen kontrolliert mit Malariaerregern infiziert hat, ohne sie zu gefährden. Hierbei werden Personen mit einem speziellen, nach pharmazeutischen Richtlinien hergestellten, lebensfähigen Stamm von Plasmodium falciparum infiziert, der bekannterweise sensitiv auf alle gängigen Therapeutika reagiert.

„In dem gut eingestellten Modell bekommen alle Infizierten Malaria, die sofort therapiert wird, wenn wir Parasiten im Blut nachweisen; in der Regel bevor erste Symptome auftreten“, erklärt Mordmüller. In einer zweiten Phase der Studie wird an diesem Modell dann ein neu entwickelter Impfstoff getestet. Bei dem Impfstoffkandidaten handelt es sich um abgeschwächte Malariaerreger. „Die erste Phase der Studie haben wir jetzt hinter uns, und wir sind sehr hoffnungsvoll, dass die Impfung Erfolg haben wird“, so Mordmüller. Ist dies der Fall, wollen die Forscher die klinische Entwicklung bis zur Anwendung in Afrika vorantreiben.

TTU Krankenhauskeime: Neue Wirkstoffe gegen multiresistente Erreger

Auch in einem zweiten Forschungsschwerpunkt, der „TTU Krankenhauskeime und antibiotikaresistente Bakterien“, sind Tübinger Wissenschaftler des Universitätsklinikums vertreten. Allein in Deutschland infizieren sich jährlich einige hunderttausend Patienten während eines Klinikaufenthaltes mit sogenannten Krankenhauskeimen – Bakterien, die oft multiresistent gegen Antibiotika sind. Solche Erkrankungen durch resistente Erreger gehören mittlerweile zu den größten Problemen unseres Gesundheitswesens, und sie haben in den letzten zehn Jahren massiv zugenommen. „Unter anderem werden diese Infektionen durch Staphylokokken ausgelöst. Diese findet man zwar bei vielen Menschen sowieso in der Nase – zum Teil auch hier mit ausgeprägter Antibiotikaresistenz, aber wenn jemand damit infiziert wird, dann kann das gefährlich und sogar auch lebensbedrohend werden“, sagt Mordmüller. „Hätte man einen Impfstoff und bessere Medikamente zur Hand, wäre das ein gewaltiger Fortschritt.“

Die Entwicklung von Wirkstoffen gegen Staphylokokken und andere antibiotikaresistente Bakterien hat sich deshalb die „TTU Krankenhauskeime“ unter der Koordination von Prof. Dr. Andreas Peschel zum Ziel gesetzt. Zudem engagiert man sich im sogenannten „Antibiotic stewardship“, dem verantwortungsvolleren Umgang mit Antibiotika, in dem Management-Richtlinien erarbeitet und Schulungen durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass Wirkstoffe richtig, vernünftig und spezifisch eingesetzt werden, beziehungsweise man sie reduzieren oder auch ganz auf sie verzichten kann. Mit klinischen Studien soll überprüft werden, ob dies geeignete Maßnahmen sind, um krankenhausbedingte Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien in Zukunft besser unter Kontrolle halten zu können.

TTU Gastrointestinale Infektionen: Behandlungsstrategien für Magen und Darm

Mit der sogenannten "bunten Reihe" lassen sich eine Vielzahl an Darmkeimen nachweisen. Die DZIF-Forscher wollen Methoden entwickeln, mit denen einzelne Keime gezielt bekämpft werden können - ohne dass die natürliche Darmflora in Mitleidenschaft gezogen wird. © CDC / Dr. Edwards

In einer dritten TTU zum Thema „Gastrointestinale Infektionen“ ist das Universitätsklinikum Tübingen an Forschungsarbeiten zur Diagnose, Behandlung und Vorbeugung bakterieller Infektionen des Magens und des Darms beteiligt. Auch solche Infektionen sind mittlerweile sehr häufig: Magen-Darm-Infektionen und Durchfallerkrankungen sind für mehr als fünf Millionen Todesfälle weltweit pro Jahr verantwortlich; von einer Infektion mit dem Magen-Darm-Bakterium Helicobacter pylori ist mittlerweile sogar jeder zweite Mensch betroffen.

Gegen keinen der bedeutendsten Krankheitserreger des Magen-Darm-Traktes gibt es bislang wirksame Impfstoffe, und auch die Behandlungsmöglichkeiten sind vielfach unzureichend. Die TTU arbeitet deshalb an der Entwicklung neuer Behandlungsstrategien, die sich selektiv gegen einen bestimmten Krankheitserreger oder auch Erregergruppen richten. Bei bisherigen Therapien besteht oft zudem das Problem, dass die krankheitsverursachenden und die natürlichen Magen-Darm-Organismen meist gleichermaßen geschädigt werden. Ein weiterer wichtiger Forschungsschwerpunkt ist deshalb die Entwicklung von Therapien, die die natürliche Darmflora während der Behandlung schützen.

Tübinger Experten verantwortlich für Ebolaimpfstoff-Test

Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Ebolavirus-Isolats aus dem aktuellen Ausbruch der hochgefährlichen Infektionskrankheit in Zaire/Gueckedou © DZIF / Dr. Larissa Kolesnikova, Universität Marburg

Zusätzlich zur Beteiligung an den jeweiligen TTUs sind Tübinger Institute außerdem als Experten für klinische Studien seit November vergangenen Jahres im Auftrag der WHO für die erste klinische Prüfung des Ebola-Impfstoffes BPSC1001 in Afrika verantwortlich. Dabei stellt das Tübinger Universitätsklinikum nicht nur einen Teil der Koordination, sondern ist auch Sponsor, das heißt übernimmt sämtliche Verantwortung für die Studiendurchführung, die von der Versicherung bis zur Qualitätskontrolle des Ebolaimpfstoffs reicht. „Unser Partnerinstitut in Lambaréné macht den mit Abstand wichtigsten Teil der Studie“, so Mordmüller.

„In einer Phase-I-Studie werden zunächst einmal Gesunde geimpft, um zu sehen, wie und in welcher Dosis der Impfstoff sicher und verträglich ist und ob man eine gute und messbare Antikörperantwort erhält. Dann soll dieser aber so schnell wie möglich in den Epidemiegebieten eingesetzt werden.“ Der Impfstoffkandidat zeigte in Tierversuchen bereits gute Ergebnisse – die Tiere waren nach der Impfung vor einer Infektion geschützt. Für die Behandlung am Menschen ist der Impfstoff bisher nicht zugelassen. Gleichzeitig führen auch Forschungseinrichtungen in den USA sowie in Hamburg und Genf Prüfungen dieses Impfstoffkandidaten durch. Erste Ergebnisse werden bereits in den nächsten Wochen erwartet.

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