Die Blockchain-Technologie als Chance für mehr Transparenz und Selbstbestimmung
Im Gesundheitswesen befindet sich die Blockchain-Technologie noch im frühen Entwicklungsstadium, obwohl hier große Potenziale bestehen. Vor allem Patienten könnten von der Einführung einer dezentralen Datenbank zur Verwaltung und zum Austausch gesundheitsrelevanter Informationen mit behandelnden Ärzten profitieren. Gesetzliche Krankenversicherungen würden als Intermediär an Bedeutung verlieren. Doch wie funktioniert die Technologie eigentlich genau? Welche Vorteile und Risiken gibt es für den Einsatz im Gesundheitssektor? Und wie ist der Stand der Forschung in Baden-Württemberg, Deutschland und Europa?
Die Blockchain-Technologie ist bisher vor allem aus der Finanzbranche bekannt, wo die Kryptowährung Bitcoin mit großem Erfolg implementiert wurde. Durch die Verwaltung der digitalen Währung auf Basis einer dezentralen Datenbank (der sogenannten Blockchain), werden Intermediäre wie Banken überflüssig und Nutzer (Privatpersonen, Handel) verwalten ihre Transaktionen dezentral via Internet. Auch in der Energiebranche findet die innovative Technologie bereits Anwendung – beispielsweise in dem Pilotprojekt „Brooklyn Microgrid“, bei dem Nutzern zum Beispiel der Verkauf überschüssigen Solarstroms an Nachbarn ermöglicht wird. Zentrale Energieversorger wären bei einem flächendeckenden Einsatz der Technologie nicht mehr nötig (1).
Wie funktioniert die Blockchain-Technologie?
Großansicht: Schematische Darstellung der Funktionsweise einer Blockchain
Die Blockchain-Technologie basiert auf einer dezentralen Datenbank, welche aus kryptografisch verknüpften Datenblöcken besteht. Diese sogenannte Blockchain ist auf dem Endgerät (z.B. Computer) jeden Nutzers gespeichert. Aktive Nutzer (Miner) überprüfen neue Datensätze unabhängig voneinander auf Richtigkeit und bauen sie erst dann in die Blockchain ein. Man unterscheidet zwischen diesen aktiven Nutzern, die sowohl Datensätze validieren als auch speichern, und aktiven Nutzern, welche die Blockchain nur zur Ausübung von Transaktionen und Datenspeicherung nutzen. Transaktionen können die Übertragung von Geld (Finanzsektor), Dienstleistungen (Gesundheitswesen), Strom (Energiesektor) etc. sein.
© Viola Hoffmann
Die Blockchain-Technologie stellt aktuelle Verwaltungsstrukturen für Daten, Informationen und Handel infrage, indem sie statt auf zentrale Institutionen auf dezentrale Datenbanken setzt. Das heißt, es gibt nicht mehr ein zentrales Verwaltungsorgan (wie die Bank im Finanzsektor oder die Krankenkasse im Gesundheitswesen), welches Transaktionen verwaltet und Daten speichert, sondern stattdessen eine sogenannte „blockchain“ – also kryptografisch verkettete Datenblöcke. Kryptografisch bedeutet, die Verbindungen zwischen den Blöcken sind verschlüsselt und nur schwer wieder zu entschlüsseln. Sind zwei Informationsblöcke einmal miteinander verknüpft, ist es sehr unwahrscheinlich, dass diese Verbindung je wieder gelöst wird, da die Entschlüsselung dieser Verbindung nur unter hohem Ressourcenverbrauch (Rechenleistung, Geld) möglich wäre. In den Datenblöcken wiederum sind Informationen gespeichert, beispielsweise über Kontobewegungen oder Energieverbräuche verschiedener Nutzer.
Das eigentlich Innovative dabei: Alle Beteiligten verfügen über alle Daten im System und können diese jederzeit kontrollieren und verifizieren. Neben den passiven Nutzern gibt es sogenannte „Miner“, die die Daten ständig auf ihre Richtigkeit hin überprüfen und dafür in digitaler Währung entlohnt werden. Die Daten werden ständig von verschiedenen Nutzern überprüft und verwaltet. So entsteht ein dezentrales, demokratisiertes und dennoch sicheres Datenverwaltungssystem. Die wichtigsten Vorteile gegenüber dem konventionellen, zentralisierten System: Die Datensätze sind auf den Computern aller Nutzer in identischer Form gespeichert – Datenverlust oder die Veränderung der Blockchain von außen ist nahezu unmöglich. Außerdem kann jeder Nutzer, ob „Miner“ oder nicht, jederzeit auf alle Daten zugreifen, was eine hohe Transparenz gewährleistet (1, 2).
Blockchain-Technologie im Gesundheitssektor: Chancen und Risiken
Mehr Transparenz, Demokratisierung und Datensicherheit wären auch im Gesundheitssystem die Hauptvorteile der dezentralen Technologie. So könnten beteiligte Akteure (Ärzte, Krankenkassen und Patienten) über eine Blockchain verbunden sein, auf der alle relevanten Daten zur Krankengeschichte, zu durchgeführten Behandlungen und Diagnosen gespeichert werden. Ärzte könnten Behandlungen schneller und gezielter durchführen – doppelt durchgeführte Untersuchungen oder Behandlungen würden verhindert, was letztlich zu Effizienzsteigerungen führt (3, 6).
Weiterhin wäre es möglich, Bonusprogramme der Krankenkassen über Blockchains zu organisieren. Fitnessstudios, Vereine oder Gesundheitsapps würden Daten in der Blockchain bereitstellen und Krankenkassen hätten leichteren Zugriff auf gesundheitsrelevante Daten ihrer Versicherten. Für alle Nutzer wäre ein solches Verfahren mit Kosteneinsparungen im Bereich Einreichung, Prüfung und Abrechnung bonusrelevanter Aktivitäten verbunden. Allerdings bleibt es fraglich, ob eine Einigung der verschiedenen Interessengruppen zur gemeinsamen Datenverwaltung in diesem Fall leicht zu erzielen wäre (3).
Ein weiteres Anwendungsfeld wäre die Rezeptabrechnung: Patienten könnten ein vom Arzt digital ausgestelltes Rezept an die von ihnen ausgewählte Apotheke weiterleiten, die dann das Medikament zur Verfügung stellt und abrechnet. Durch die dezentrale Validierung dieser Transaktionen von allen Netzwerk-Nutzern könnte Abrechnungsbetrug (durch mehrfach eingereichte Rezepte) vorgebeugt werden. Ein Schaden von geschätzt rund 2,72 Milliarden Euro, der den Krankenkassen jährlich durch Abrechnungsbetrug entsteht (4), könnte so vermieden und die Beiträge für Versicherte und Arbeitgeber könnten verringert werden (3).
Und schließlich herrscht großes Potenzial im Bereich der Remote-Steuerung von Medizinprodukten wie Herzschrittmacher oder Insulinpumpen, welche derzeit vom Arzt im Notfall per passwortgeschützter Software gesteuert werden können. Ein Hackerangriff auf solch zentralisierte Systeme kann nie ganz ausgeschlossen werden, wäre aber im Falle der Blockchain-Technologie fast unmöglich. Die Remote Steuerung von Medizinprodukten wird von einigen Medizinproduktherstellern bereits anhand von Pilotprojekten erforscht und brächte nicht nur Ärzten, sondern auch Patienten mehr Sicherheit (5).
Trotz potenzieller Einsparungen und Effizienzsteigerungen bringt die Technologie Risiken und Kosten mit sich – so müssen geeignete IT-Infrastrukturen geschaffen werden, die über entsprechende Rechenkapazitäten verfügen, die Berechnungen sind energieintensiv und Nutzer im öffentlichen Sektor müssen geschult werden (6).
Stand der Forschung: Ist der Einsatz der Blockchain-Technologie im Gesundheitswesen realistisch?
In Deutschland befindet sich die Blockchain-Technologie im Gesundheitswesen noch im Anfangsstadium (Beobachtung und Evaluierung), während sie in anderen Branchen, vor allem im Finanzsektor, schon Anwendung findet und sich etabliert hat. Nichtsdestotrotz gibt es überzeugte Verfechter der Technologie auch im Gesundheitswesen und erste Pilotprojekte und Bemühungen in diese Richtungen gibt es bereits – jedoch nur vereinzelt in Deutschland. Europäischer Vorreiter auf diesem Gebiet ist dagegen Estland, wo die Gesundheitsdaten aller Bürger auf einem Blockchain-basierten Patientenportal gespeichert werden. Ärzte und Krankenhäuser können nicht nur mit Patientenerlaubnis darauf zugreifen, sondern auch direkt digitale Rezepte erstellen, die dann wiederum von Apotheken abgerufen werden können (7, 8). In Deutschland beziehungsweise in Baden-Württemberg ist man davon noch weit entfernt – erst kürzlich stellte die LBBW Research eine Studie zu dem Thema vor, in dem die Gesundheitsbranche jedoch kaum Erwähnung findet, sondern vor allem Unternehmen aus der Automobilbranche (z.B. Bosch, Daimler) als potenzielle Anwender genannt werden (9). Somit bleibt die Blockchain-Technologie im Gesundheitswesen in Baden-Württemberg wohl vorerst eine Zukunftsvision.