ITAS – Die Folgen von Biotechnologien abschätzen
Das "Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse" ITAS ist eine der größten und renommiertesten Einrichtungen für die Bewertung neuer Technologien in Deutschland. Analysiert werden neueste Entwicklungen aus den verschiedensten Wissenschaftsgebieten – auch aus den Biowissenschaften. Im Fokus stehen hier beispielsweise kontrovers diskutierte Disziplinen wie die Synthetische Biologie, Genome-Editing oder die Hirnforschung.
Das Forschungsfeld der Technikfolgenabschätzung beschäftigt sich mit den Folgen neuer Technologien für Umwelt und Gesellschaft. Wissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen analysieren hier Chancen und Risiken innovativer Entwicklungen und leisten mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung und zur Entscheidungsfindung politisch Verantwortlicher.
Eines der größten und traditionsreichsten Forschungsinstitute für solche Technikbewertungen in Deutschland ist das "Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse" (ITAS) in Karlsruhe. Hier befassen sich über hundert wissenschaftliche Mitarbeiter aus den verschiedensten Disziplinen mit den neuesten technologischen Entwicklungen und beraten unter anderem das Europäische Parlament und, über das "Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag" (TAB), den Deutschen Bundestag. Einer der Schwerpunkte am ITAS liegt auf den Biowissenschaften.
Die Position der Gesellschaft möglichst real abbilden
Der Politikwissenschaftler Christopher Coenen untersucht am Karlsruher ITAS Chancen und Risiken neuer Entwicklungen in der Biotechnologie.
© KIT, Fotografin: Christin Bamberg
"Für die Bewertung biowissenschaftlicher Techniken betreiben wir nicht nur akademische Forschung, sondern auch besonders viele Dialogmaßnahmen", erklärt Christopher Coenen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ITAS und Experte für die Themen Human-Enhancement und Synthetische Biologie. "Daraus leiten wir dann Optionen für politisches Handeln ab. Ich möchte aber betonen, dass wir keine Akzeptanzbeschaffer sind. Wir haben keinen Überzeugungsauftrag, sondern beleuchten ganz nüchtern Chancen und Risiken der Technologien."
Am Anfang jeder Bewertung steht für die Forscher zuerst einmal zu verstehen, worum es überhaupt geht und wie der Stand der Entwicklung ist. Dafür recherchieren und lesen sie Literatur, befragen Wissenschaftler und andere für das Thema relevante Personen; sie sitzen aber auch schon einmal im Labor dabei, wobei solch teilnehmende Beobachtungen relativ aufwendig seien, wie Coenen sagt. Anschließend besteht die Hauptarbeit in der Analyse der Faktenlage und der unterschiedlichen Ansichten, oft auch in der Schaffung gesellschaftlicher Aufmerksamkeit. "Dazu haben wir meist ein relativ großes Budget um Experten und gesellschaftliche Stakeholder einzuladen oder öffentliche Veranstaltungen zu organisieren, auf denen möglichst verschiedene gesellschaftliche Gruppen abgebildet werden und miteinander diskutieren. So haben wir zum Beispiel Biohacker mit eher biotechnologiekritischen Leuten aus dem grünen oder kirchlichen Milieu in Diskussionsrunden zusammengebracht. Unsere Projektergebnisse werden dann relevanten Entscheidungsträgern und auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt", erklärt der Experte.
Keine grundsätzliche Ablehnung Synthetischer Biologie
Das ITAS-Gebäude in Karlsruhe: Hier arbeitet ein interdisziplinäres Team aus Geistes-, Natur- und Ingenieurwissenschaftlern an der Bewertung der verschiedensten innovativen Entwicklungen – auch von Biotechnologien.
© ITAS, Fotograf: Arnd Weber
So beispielsweise auch bei Synenergene, einem großen Projekt mit internationaler Beteiligung, das sich in vier Jahren bis 2017 umfassend mit dem Thema Synthetische Biologie befasst hat. "Für Synenergene haben wir rund 150 Veranstaltungen auf drei Kontinenten organisiert, darunter auch eher ungewöhnliche Formate wie Theateraufführungen, Filmfestivals oder Workshops mit Rollenspielen", berichtet Coenen. "Und natürlich auch viele andere öffentliche Veranstaltungen, um die Stakeholder zu vernetzen. Zum Beispiel wurden auch beim Evangelischen Kirchentag 2015 in Stuttgart Diskussionsrunden veranstaltet, Fragebögen und Kommentare ausgewertet."
Das Ergebnis von Synenergene sei grob gesagt, dass es keine Hinweise auf eine extreme Ablehnung gegenüber der Synthetischen Biologie gäbe, so der Wissenschaftler, sondern eher ein erhebliches Informationsdefizit in der Bevölkerung über die Entwicklungen in diesem Feld. "Natürlich gibt es auch Gegner, aber generell ist es ja so, dass die Fronten – vor allem was die grüne Gentechnik angeht – seit langem sehr verhärtet sind und ein durchaus einflussreiches Milieu den Widerstand trägt und auch finanziell unterstützt. Die Umfragen zur grünen Gentechnik fallen noch immer desaströs aus. Das bildet aber nicht die Gesellschaft als Ganzes ab, schon gar nicht in anderen Ländern. Deshalb haben wir mit Gruppen wie den Biohackern auch Menschen hinzugeholt, die die Synthetische Biologie grundsätzlich äußerst positiv betrachten."
Akzeptanz bei medizinischen Anwendungen groß
Auch bei den Neurowissenschaften gäbe es begründete Bedenken, so Coenen, aber keine grundsätzlich verhärteten Fronten. Hier sei man aber generell viel zukunftsoffener als in der Gentechnikdebatte, und vor allem die Hirnforschung gelte als faszinierendes Forschungsfeld. "Überhaupt ist die Akzeptanz gleich riesengroß, sobald man sich aus einer Technik medizinische Anwendungen verspricht", berichtet der Experte. "Sogar was die Gentechnik angeht, da stört das dann plötzlich niemanden mehr." Aber man solle generell nicht glauben, dass man die Leute mit mehr Information oder harten Nachweisen umstimmen könne, meint Coenen. Das sei eine Verwechslung von wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit demokratischer politischer Diskussion. Einmal getroffene Wertentscheidungen würden nur selten in Frage gestellt.
Der Biologe Dr. Harald König ist schon seit Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter am ITAS und dort Experte für die Technikfolgenabschätzung von Zukunftstechnologien in den Biowissenschaften.
© privat
Diesen Sachverhalt kennt auch der Biologe Dr. Harald König, ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter am ITAS und dort Experte für biowissenschaftliche Technologien: "Es gibt sehr stark wertebeladene Dinge, bei denen die Meinungen einfach feststehen", sagt er. In der Synthetischen Biologie seien das vor allem bioökonomische Themen wie beispielsweise der zunehmende Einsatz von Biotreibstoffen. Hier gebe es die Befürchtungen, dass immer mehr Natur kommerzialisiert werde.
Im Moment arbeitet König gemeinsam mit Kollegen des TAB an einem Projekt zur Anwendung des Genome-Editing beim Menschen. Der Schwerpunkt des Projekts, das schon im Sommer 2018 abgeschlossen sein soll, liegt auf den neuen Möglichkeiten in der Keimbahntherapie. Dabei können gezielte genetische Veränderungen, zum Beispiel zur "Korrektur" krankheitsauslösender Gene, direkt in befruchteten Eizellen vorgenommen werden, mit der Folge, dass die genetischen Veränderungen auch in allen Nachfolgezellen und -generationen zu finden sein werden. "Das wirft natürlich eine ganze Reihe ethischer Fragen auf", sagt der Experte. "Beispielsweise: Gehört das Genom der ganzen Menschheit? Darf man das grundsätzlich? Oder: Wie ist das mit dem Einverständnis der Folgegenerationen? Hier sehen manche Leute nicht zuletzt auch das Selbstverständnis und die Freiheit des Menschen berührt."
Gerät das Embryonenschutzgesetz unter Druck?
Bislang sind Eingriffe in die Keimbahn in Deutschland aufgrund des Embryonenschutzgesetzes aus dem Jahr 1990 generell verboten. "Damals schienen einem solche Eingriffe zu gefährlich und zu schwer zu kontrollieren", sagt König. "Jetzt könnten die Risiken aber viel geringer gehalten werden, weil Erbgutveränderungen per Genome-Editing besser kontrollierbar werden: Experimente deuten darauf hin, dass nicht beabsichtigte Genomveränderungen zukünftig vermieden werden könnten. Und manche Juristen leiten aus dem Grundgesetz ein Recht auf Therapie ab. Da könnte der Gesetzgeber nun unter Legitimationsdruck geraten und müsste dann beide Seiten gegeneinander abwägen."
Beim Genome-Editing können Nukleinsäuren eines Gens ausgetauscht werden, ähnlich wie Buchstaben mit der Copy-and-paste-Funktion einer Computertastatur.
© ITAS, Fotografen: Natalie Matter-König, Harald König
Neben Recherche und Analyse des technischen Stands und der Möglichkeiten der Genome-Editing-Technologien sind die Experten gerade dabei, auch Gutachten von Klinikern, Rechtswissenschaftlern und Ethikern einzuholen und Gespräche beim Bundestag mit den Gutachtern und Abgeordneten zu initiieren. Alles soll in diesem Monitoringprojekt relativ schnell gehen, um der rasanten Entwicklung des Genome-Editings gerecht zu werden. "Am Ende wird man dann sehen, ob das Embryonenschutzgesetz oder Teile davon tatsächlich unter Druck geraten könnten, und, ob dann Handlungsbedarf besteht bzw. was es für Handlungsoptionen gibt. Das ist das Ziel der Analysen", so König.
Darüber hinaus plant man am ITAS ein Projekt zur Konvergenz von künstlicher Intelligenz und moderner Genomforschung. "Wir wollen das Potenzial dieser technischen Möglichkeiten für das Verständnis des Zusammenhangs von Genen und Merkmalen analysieren und daraus erarbeiten, was es zu beachten gilt, wenn beispielsweise Patientengenome Teile von großen Biobanken werden", erklärt König. "Aus dem Genom kann man vielleicht bald schon das Aussehen einer Person voraussagen, und man kann auch an ganz andere Möglichkeiten denken, wie gezielte genetische Eingriffe zur Bekämpfung von Krankheiten wie Diabetes oder Alzheimer oder sogar die Veränderung von komplexen Merkmalen wie Intelligenz. Hier stellt sich auch die Frage, ob man Therapie von Prävention trennen kann, und wo die Grenze zum genetischen Enhancement ist."