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Die ganz persönliche Krebsbehandlung

Noch immer ist ein Teil der sogenannten Non-Hodgkin-B-Zell-Lymphome unheilbar. Die bisherigen Behandlungsmethoden der Chemotherapie haben unangenehme Nebenwirkungen. Die Forschergruppe um Prof. Dr. Hendrik Veelken von der Universitätsklinik Freiburg hat zusammen mit der Freiburger CellGenix Technologie Transfer GmbH einen neuen und vielversprechenden Therapieansatz entwickelt. Die Ergebnisse der Phase-I- und der gerade abgeschlossenen Phase-II-Studie zeigen eine gute Verträglichkeit bei Patienten. Und langanhaltende Effekte. Das Verfahren stimuliert die körpereigenen Abwehrkräfte. Aus diesem Grund muss es aber auch auf jeden Patienten individuell zugeschnitten werden.

Die Gruppe der Non-Hodgkin-Lymphome umfasst eine Vielzahl verschiedener bösartiger Erkrankungen des Lymphsystems. Weil in befallenen Lymphknoten der Patienten keine sogenannten Sternberg-Reed-Zellen zu finden sind, werden diese Tumorerkrankungen nicht als Morbus Hodgkin klassifiziert. Non-Hodgkin-Lymphome treten auf, weil die B-Zellen des Immunsystems entarten und sich unkontrolliert zu teilen beginnen. Manche von diesen B-Zell-Lymphomen wachsen sehr schnell. Bei diesen schlagen die gängigen Chemotherapien relativ gut an, haben aber toxische Nebenwirkungen. Bei den langsam wachsenden B-Zell-Lymphomen ist die Situation ebenfalls nicht einfach, denn sie sind heute kaum heilbar. Neue Therapieansätze sind deshalb gefragt. Einen solchen haben die Forscher von der Universitätsklinik Freiburg entwickelt.

Extrem variable Zielstrukturen

„Wir haben uns das Ziel gesetzt, eine Therapie zu finden, die kaum Nebenwirkungen hat und die Tumore möglichst langfristig zurückdrängen kann“, sagt Prof. Dr. Hendrik Veelken von der Abteilung für Innere Medizin I an der Medizinischen Universitätsklinik. „Unsere Idee war, das Immunsystem der Patienten so zu programmieren, dass es selbst etwas gegen die Tumorzellen tun kann.“ Es ging den Wissenschaftlern also um eine Impfung, die das Immunsystem gegenüber den Krebszellen sensibilisiert und damit für den Kampf gegen den Krebs stärkt. Das Problem bei diesem Ansatz ist, dass das Immunsystem die entarteten B-Zellen von den gesunden B-Zellen unterscheiden muss, denn sonst würden alle B-Zellen ins Fadenkreuz des Immunsystems geraten und das hätte einen Kollaps des Lymphsystems zur Folge. Hier kam den Medizinern um Veelken eine Besonderheit der B-Zellen zur Hilfe.

So sehen die Oberflächenmoleküle aus, mit denen sich die Krebszellen dem Immunsystem verraten. In Gelb die variablen und für jede B-Zelle spezifischen Molekülteile. © Dr. Hendrik Veelken

Normalerweise erkennen Immunzellen Tumore anhand spezifischer Oberflächenmoleküle, die eine Art molekularen Fingerabdruck darstellen. Auch B-Zellen haben solche Oberflächenmoleküle, diese sind jedoch extrem variabel: Jede B-Zelle sowie die Linie ihrer Nachkommen hat ihren eigenen Fingerabdruck. Insgesamt gibt es Millionen wenn nicht Milliarden verschiedener Fingerabdrücke. Damit aber das Immunsystem gegenüber einer einzigen entarteten B-Zelllinie sensibel werden kann, muss es mit exakt dem gleichen molekularen Fingerabdruck stimuliert werden, der zu dieser einen entarteten Zelllinie passt. Nur so kann es Antikörper gegen die Oberflächenmoleküle bilden. Da bei jedem Patienten eine andere B-Zelllinie entartet ist und zum Krebs führt, muss eine Impfung auf jeden Patienten und auf die betroffene B-Zelllinie individuell zugeschnitten sein.

„Das Verfahren, an dem wir seit etwa 14 Jahren arbeiten, baut auf mehreren molekularbiologischen Schritten auf und ist technisch sehr anspruchsvoll“, sagt Veelken. Im Prinzip müssen die Mediziner einem Patienten zunächst eine Tumorprobe entnehmen. Sie müssen das Oberflächenmolekül isolieren, das die entsprechende B-Zelllinie auf ihrer Membran trägt, und den Teil des Moleküls abschneiden, der für die B-Zelllinie spezifisch ist. Dieses Fitzelchen müssen sie dann im großen Stil vermehren. Aber das reicht nicht. Der Impfstoff muss zusammen mit einem sogenannten Adjuvans verabreicht werden, das ihn im Körper in die richtige Position bringt. Außerdem spritzen Veelken und seine Mitarbeiter vor der eigentlichen Impfung noch eine weitere Substanz in die Haut der Patienten. Diese alarmiert das Immunsystem und bereitet es gewissermaßen vor.

Genau kontrollierte Arbeitsabläufe

Alle Schritte bei der Herstellung der patientenspezifischen Impfung laufen im Labor der CellGenix Technologie Transfer GmbH in Freiburg ab. © CellGenix Technologie Transfer GmbH

Vermehrt wird der Impfstoff in E. coli. „Wir sind derzeit die einzige Gruppe weltweit, die einen patientenspezifischen Impfstoff in Bakterien herstellt“, sagt Veelken. „Das geht viel schneller als mit anderen Verfahren.“ Unterstützung bei der Herstellung dieser größeren Mengen an Impfstoff erhalten die Mediziner um Veelken von der Freiburger Biotech-Firma CellGenix Technologie Transfer GmbH, einer fünfzehn Jahre alten Ausgründung der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg. Für die Entwicklung des Impfstoffs baute die CellGenix vor zehn Jahren ein Labor auf, das den Anforderungen der sogenannten Good Manufacturing Practice (GMP) entspricht. „Die Herstellung einer Vakzine, die für jeden Patienten individuell ist, ist ein sehr aufwendiger Prozess“, sagt Prof. Dr. Felicia Rosenthal, Geschäftsführerin der CellGenix. „Das erfordert eine hervorragende Laborausstattung und genau kontrollierte Arbeitsabläufe.“ Die CellGenix hat die Herstellung der Impfstoffe während der Studien in der klinischen Phase I und Phase II übernommen. Die Phase I wurde 2006 abgeschlossen. Die Ergebnisse der Phase-II-Studie sind gerade zur Veröffentlichung eingereicht.

Wie sehen diese Ergebnisse aus? Die ersten Untersuchungen an Patienten mit weit fortgeschrittenen Tumoren zeigten, dass das Verfahren der individuellen Impfung so gut wie keine Nebenwirkungen hat. Bei den meisten Patienten beobachteten Veelken und Co nach einer Impfung auch tatsächlich eine Immunantwort gegen den Krebs: Das Immunsystem bildete sowohl Antikörper als auch spezifische Immunzellen gegen den Tumor. Die Phase-II-Studie konzentrierte sich dann auf Patienten mit sogenannten indolenten Lymphomen, also mit Tumoren, die zwar stetig wachsen, aber lange Zeit keine Schmerzen verursachen. Zum einen wurden Patienten behandelt, die schon eine Chemotherapie erhalten hatten und bei denen die Tumoren geschrumpft waren. Zwischen siebzig und achtzig Prozent dieser Patienten zeigten eine Immunantwort. Zum anderen untersuchten die Freiburger Mediziner Betroffene, bei denen die Erkrankung kürzlich diagnostiziert worden war, die jedoch noch keine Beschwerden hatten. Bei diesen Patienten setzt man die Chemotherapie normalerweise erst ein, wenn der Tumor Probleme zu verursachen beginnt. Davor sind die negativen Nebenwirkungen der Chemotherapie größer als ihre positiven Effekte. Auch diese Patienten zeigten in bis zu achtzig Prozent der Fälle eine Immunantwort. Bei knapp der Hälfte von ihnen bildeten sich die Lymphome sogar zurück und kamen auch nach fünf Jahren nicht wieder.

Ein Impfstoff mit Zukunft?

„Diesen Patienten erspart unsere Impfung die Chemotherapie und beschert ihnen eine längere krankheitsfreie Zeit“, sagt Veelken. „Ob das allerdings auch wirklich langfristig so ist und ob das für alle Patienten mit diesen Lymphom-Typen gilt, ist unklar, denn unsere Stichprobe war mit 15 Patienten ziemlich klein.“ Weil die Ergebnisse vielversprechend sind, muss jetzt eine große randomisierte Patientenstudie folgen. Ein sehr teures Unterfangen. „Solche großen Mengen an individuellem Impfstoff können wir von CellGenix als kleines Biotech-Unternehmen aus finanziellen Gründen nicht herstellen“, sagt Rosenthal. Ein öffentliches Förderprogramm wäre eine der Alternativen, aber hier sieht es schlecht aus. Obwohl die Zusammenarbeit zwischen der Universitätsklinik und der CellGenix über die üblichen Verträge streng reglementiert ist, sieht das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Interessenskonflikte mit der Begründung, dass die CellGenix eine Ausgründung aus der selben Abteilung sei, mit der sie jetzt zusammenarbeite. „Obwohl wir mit der Ausgründung genau den Technologietransfer in die Industrie geleistet haben, den sich die Regierung wünscht, werden uns jetzt Steine in den Weg gelegt“, sagt Veelken.

Die andere Alternative wäre die Zusammenarbeit mit einem großen Industriepartner. Aber Pharmaunternehmen seien nicht unbedingt daran interessiert, individuelle Impfstoffe herzustellen. „Es ist ein anderes Geschäftsmodell, individuelle Arzneimittel für Patienten herzustellen und nicht für alle Patienten dasselbe Medikament einzusetzen“, sagt Veelken. Es wäre schade, wenn bei den guten klinischen Ergebnissen 14 Jahre Entwicklungsarbeit einfach so im Sande versickern würden. Vielleicht findet sich doch noch ein Investor. Für die Patienten ist dieser Behandlungsansatz jedenfalls hoch attraktiv.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/die-ganz-persoenliche-krebsbehandlung