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Die Kleinen besser rausfischen

Nicht nur für die Forschung, auch für die Biotech- und Pharmaindustrie werden sogenannte kleine RNAs eine immer wichtigere Rolle spielen. Um das Potenzial der Moleküle ganz auszuschöpfen, müssen Wissenschaftler sie jedoch in Reinform und in genügend großen Mengen aus dem Schmelztopf einer Zelle isolieren können. Die heutigen Methoden sind teuer, nur für große Zellmengen konzipiert und kompliziert zu bedienen. Anders der neuartige Chip, den Dr. Paul Vulto am Institut für Mikrosystemtechnik in Freiburg entwickelt hat und der auch schon von einer Pharmafirma eingesetzt wird.

RNAs sind in einer Zelle nicht nur essenziell, damit genetische Information von der DNA kopiert und in Eiweiße übersetzt wird. Immer deutlicher wird auch, dass kurze Vertreter, die sogenannten kleinen RNAs, die Aktivität vieler Gene regulieren. Und das könnte zum Beispiel im Falle von Krebszellen von Interesse sein. Denn lernen Forscher und Pharmaunternehmen, die Funktionen der Moleküle zu manipulieren, dann kriegen sie eines Tages vielleicht auch das Tumorwachstum in den Griff. Allerdings sind die kurzen Nukleinsäuren nicht gerade einfach zu handhaben. Wollen Forscher ihr Potenzial testen, müssen sie diese aus den Zellen isolieren und aufreinigen. Und das ist mit den bisherigen Methoden schwierig. „Der Aufschluss einer Zelle und die Auftrennung des Inhalts sind bei den gängigen Laborkits in viele einzelne Arbeitsschritte aufgeteilt“, sagt Dr. Paul Vulto, der bis vor Kurzem am Lehrstuhl von Prof. Dr. Gerald Urban am Freiburger Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) promoviert hat. “Das dauert bis zu vier Stunden.“

In Minuten ans Ziel

RNA-Extraktion auf einer Fingerkuppe: Auf diesem Biochip trennen sich kleine RNAs ganz automatisch vom Rest des Zellinhalts © Dr. Paul Vulto

Abgesehen von der komplizierten Bedienbarkeit und dem Zeitverlust lassen sich die einzelnen Arbeitsschritte nicht so leicht automatisieren - teure Roboter wären nötig. Eine Automatisierung ist aber essenziell, denn eine Pharmafirma muss in der Lage sein, tausende Substanzen in kurzer Zeit zu testen. Diese Probleme haben Vulto und seine Forscherkollegen vom IMTEK in den letzten Jahren auf eine zukunftsweisende Art gelöst. Vulto, der in den Niederlanden Elektrotechnik studiert hat, entwickelte während seiner Promotion einen Chip von der Größe einer Fingerkuppe, auf dem innerhalb von rund zehn Minuten alles passiert, was vorher vier Stunden gedauert hat. Dieser Chip schaut auf den ersten Blick nicht besonders kompliziert aus. Und auch seine Bedienbarkeit ist kinderleicht: Auf der einen Seite kommen Zellen – zum Beispiel Krebszellen – in eine Mikrokammer hinein, auf der anderen Seite reine RNAs heraus. Aber gerade hinter dieser Einfachheit steckt das Knowhow von jahrelanger Forschungsarbeit.

Das Funktionsprinzip ist einleuchtend. Auf derjenigen Seite des Chips, auf der die Lösung mit den Zellen eingefüllt wird, befinden sich zwei eng aneinander liegende Elektroden. Ein Wechselstrom erhitzt die Lösung und die Zellen platzen auf. Der angrenzende Bereich des Chips besteht aus einem rechteckigen Gel, das zwischen zwei Gleichstromelektroden und damit in einem Spannungsfeld platziert ist. Weil RNAs stark negativ geladen sind, werden sie bei diesem als Elektrophorese bezeichneten Verfahren zur anderen Seite gezogen. Der Rest des Zellinhalts bleibt zurück, so trennt sich die Spreu vom Weizen. Die Schneideenzyme aus der Zellsuppe, die die RNAs normalerweise sehr schnell abbauen, können nichts mehr ausrichten. Auf dem Weg bleiben größere RNAs (wie etwa ribosomale RNAs) in den Poren des Gels stecken, nur die gesuchten kleinen Moleküle schlüpfen hindurch und gelangen ans Ziel. Dort tauchen sie in eine spezielle Lösung ein und liegen in Reinform vor.

Strukturen zum Ableiten der Gasblasen (links) und die sogenannten Phaseguides, die ein gleichmäßiges Befüllen des Chips sicherstellen © Dr. Paul Vulto

Die Entwicklung des Chips stellte Vulto und seine Kollegen vor mehrere Probleme. Ein Problem zum Beispiel waren Gasblasen. Diese entstehen unter anderem bei der Elektrophorese mit Gleichstrom, denn dieser spaltet das Wasser in Wasserstoff und in Sauerstoff. Außerdem lässt sich eine Mikrokammer kaum ohne Blasen befüllen, denn bei den Größenverhältnissen des Chips wirken starke Kapillarkräfte, die immer auch Luft hineinziehen. Ein weiteres Problem: Es ist unmöglich, ein so kleines Gel reproduzierbar in der gewünschten viereckigen Form zu gießen. Um die durch Strom entstehenden Blasen loszuwerden, entwickelte der holländische Elektrotechniker spezielle mikroskopische Ableitstrukturen, die das Gas auf der Basis von Kapillarkräften aus den Zwischenräumen nach draußen ziehen. Um sicher zu stellen, dass sich die Flüssigkeiten und das Gel in den schmalen Kammern gleichmäßig ausbreiten, erfand er spezielle Barrieren (sogenannte Phaseguides), die die Flüssigkeiten leiten.

Alles auf einem Chip?

„Wir haben unseren Chip im Vergleich zu einer heute gängigen Labormethode getestet und konnten zeigen, dass eine rund tausend Mal niedrigere Zellmenge notwendig ist, damit noch RNAs isoliert werden“, sagt Vulto. Diese Effizienz dürfte vor allem Pharmafirmen interessieren, denn Zellmaterial ist teuer. Die Schweizer Firma Ayanda Biosystems GmbH hat bereits eine Lizenz für den Biochip gekauft und versucht gerade, ein automatisiertes Verfahren zu entwickeln, damit sie in Paralleldurchläufen krebswirksame Substanzen testen kann. Eine Automatisierung ist einfach, denn es reicht, einen Pipettierroboter entsprechend zu programmieren, damit er die Chips mit Zelllösungen befüllt - alles andere macht der Chip von alleine.

Prinzipiell sind noch andere Einsatzgebiete der Technologie denkbar. So hat Vulto in Zusammenarbeit mit dem National Diagnostics Center in Galway an einem diagnostischen Test für Bakterien in Krankenhäusern geforscht. Ein von der Bundesregierung finanziertes Projekt versucht zurzeit auch, die Technologie für die Erkennung von Erregern vorzubereiten, die in der Lebensmittelindustrie oder im Bereich des Bioterrorismus relevant werden können. Zusammen mit dem Robert Koch Institut und die Abteilung Virologie and der Universität Göttingen untersuchen Vultos Kollegen vom IMTEK im Moment, ob das System auch für DNA und Proteine einsetzbar ist. Dies könnte speziell beim Nachweis von Viren interessant sein.

In Zukunft werden sich laut Vulto wohl noch weitere Arbeitsschritte auf dem Chip unterbringen lassen, etwa ein PCR-Test, mit dem die isolierten RNAs oder DNAs direkt bestimmt werden können. Damit dürfte die Vision wahr werden, die für die miniaturisierte Technologie schon heute namensstiftend ist: Lab on a chip.

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