Die neuen Herausforderungen der Omics-Technologien
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat Empfehlungen für die Politik erarbeitet, wie die Lebenswissenschaften in Deutschland strukturell auf die rasanten Entwicklungen der Omics-Technologien und die Verarbeitung der damit verbundenen riesigen Datenmengen vorbereitet werden können, um eine zukunfts- und konkurrenzfähige Forschung und Ausbildung zu gewährleisten. Die Potenziale dieser Technologien können nur durch die Schaffung einer neuen, nationalen Omics- und IT-Infrastruktur erschlossen werden.
Prof. Dr. Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
© D. Ausserhofer für die Leopoldina
„Die neuen Möglichkeiten der Lebenswissenschaften stellen neue Anforderungen an die Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern, an die technische und informationstechnische Ausstattung und Vernetzung unserer Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie an eine nachhaltige Infrastrukturförderung“ erklärte Prof. Dr. Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, bei der Vorstellung des ersten Zukunftsreports unter dem Titel „Lebenswissenschaften im Umbruch – Herausforderungen der Omics-Technologien für Deutschlands Infrastrukturen in Forschung und Lehre“.
In dem Report, der von einer sechsköpfigen Kommission führender deutscher Wissenschaftler für die Akademie erarbeitet worden ist, werden der Politik Empfehlungen gegeben, wie der Anschluss an die sehr schnellen und kostenintensiven internationalen Entwicklungen im Bereich der sogenannten Omics-Technologien (Genomics, Transcriptomics, Proteomics, Metabolomics usw.), auf die Deutschland bisher nicht ausreichend vorbereitet ist, erhalten werden kann.
Ein Hilferuf um Nachhaltigkeit
Das neue Format des Zukunftsreports wurde gewählt, weil es in den Empfehlungen um mehr geht als sonst. Eigentlich ist es ein Hilferuf, konstatierte die Sprecherin der Kommission, Prof. Dr. Regine Kahmann, Direktorin am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie und Professorin für Genetik an der Universität Marburg. Mit den vorhandenen Fördersystemen, mit denen Deutschland bisher in der Genomik, der Bioinformatik und Systembiologie hatte mithalten können, geht es in Zukunft nicht weiter: „Fünf oder zehn Jahre wird gefördert, es entwickelt sich etwas, es funktioniert, und dann wird der Geldhahn zugedreht.“ Es fehlt an nachhaltigen Strukturen. Noch gehört Deutschland zur Weltspitze auf diesen Gebieten der modernen Lebenswissenschaften, in die das Bundesforschungsministerium seit Mitte der 1990er Jahre rund 1,5 Milliarden Euro investiert hat, aber viele dieser Förderprogramme sind jetzt ausgelaufen, so das Nationale Humangenomforschungsnetz (NGFN), die Genomforschung an Mikroorganismen (GENOMIK) und die Genomforschungsprogramme für Pflanzen und Tiere (GABI und FUGATO).
Prof. Dr. Roland Eils, Leiter der Abteilung Theoretische Bioinformatik am DKFZ und Professor für Bioinformatik an der Universität Heidelberg.
© DKFZ
Um welche Dimensionen es sich handelt, erläuterte der Mathematiker Prof. Dr. Roland Eils vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Universität Heidelberg am Beispiel der Krebsforschung. Am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg (NCT) werden jährlich 11.000 Neudiagnosen für Krebserkrankungen gestellt. Bis zum Jahr 2015 sollen dort im Rahmen des Heidelberger Zentrums für Personalisierte Onkologie, einem Joint Venture von DKFZ und Universität Heidelberg, für jeden Krebspatienten die Genomsequenz, proteomische, mikroskopische und klinische Daten routinemäßig erfasst und analysiert werden, um die bestmögliche Behandlung zu wählen und rasch in der Klinik einzusetzen.
Für einen einzigen Patienten sind das Daten von etwa drei Terabyte, so viel wie auf einer PC-Festplatte. Das Problem liegt nicht in der Erhebung und auch nicht so sehr in der Speicherung der Datenmengen - Deutschlands größter Datenspeicher in den Lebenswissenschaften steht dafür zur Verfügung - sondern in ihrer Auswertung, die allenfalls ansatzweise gelingt, und in ihrem geschützten Transport.
Die größte Herausforderung, um mit den schnellen Entwicklungen Schritt zu halten, liegt nach den Worten von Roland Eils in den Köpfen. Nicht, dass es an gut ausgebildeten Bioinformatikern fehlen würde, aber die Life Sciences haben nichts davon. Mit schlecht bezahlten Zeitverträgen sind begabte Nachwuchswissenschaftler an den Universitäten nicht zu halten, und so wandern sie in die Privatwirtschaft ab: beispielsweise zur SAP vor den Toren von Heidelberg, in Ingenieurberufe, Beratungstätigkeit oder ins Onlinebanking. Um den Personalbedarf in den Omics-Technologien und der Bioinformatik zu decken, müssen sie in den Curricula stärker berücksichtigt, Zukunftsperspektiven geschaffen und die Karrierewege transparenter und vielfältiger gestaltet werden.
Ein Netzwerk für eine nationale Omics- und IT-Infrastruktur
Computeranlage für Big Data bei der Europäischen Organisation für Kernforschung CERN in Genf.
© CERN
Laut Zukunftsreport sind Ausbau und Erhalt dieses Netzwerkes eine nationale Aufgabe und können nicht durch projektgebundene Mittel finanziert werden. Die Bundesländer können die hohen Kosten nicht allein tragen. Für die Organisation, die mit der langfristigen Aufgabe betraut ist, die Omics- und IT-Infrastrukturen in Deutschland zu koordinieren und weiterzuentwickeln, muss eine nachhaltige Finanzierung aus Bundesmitteln gesichert werden. Die Kommission, die für die Leopoldina den Zukunftsreport „Lebenswissenschaften im Umbruch“ erarbeitet hat, ist davon überzeugt, dass nur durch den strategischen Aufbau einer nationalen Omics-und IT-Infrastruktur die lebenswissenschaftliche Forschung in Deutschland international wettbewerbsfähig bleiben kann.
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina
Die Leopoldina wurde 1652 gegründet und ist damit die älteste ununterbrochen existierende naturwissenschaftlich-medizinische Akademie der Welt. Ihren Namen trägt sie nach dem deutschen Kaiser Leopold I., der sie als unabhängige Akademie des Heiligen Römischen Reiches privilegierte; 2008 wurde sie zur Nationalen Akademie der Wissenschaften des wiedervereinigten Deutschlands ernannt. Heute gehören ihr mehr als 1.400 Wissenschaftler in etwa 30 Ländern als Mitglieder an, darunter viele Nobelpreisträger. Mit der hohen, breit gefächerten Kompetenz ihrer Mitglieder äußert sich die Leopoldina zu grundlegenden Entwicklungen und drängenden Problemen unserer Gesellschaft und berät die Politik mit wissenschaftlich fundierten Stellungnahmen und Empfehlungen.
Originalpublikation:
Zukunftsreport Wissenschaft „Lebenswissenschaften im Umbruch - Herausforderungen der Omics-Technologien für Deutschlands Infrastrukturen in Forschung und Lehre“. Veröffentlichung der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, 42 S., ISBN: 978-3-8047-3283-4