Dirk Linke - Ein Impfstoff für viele Fälle
Ein altbekanntes Sprichwort besagt: Reisen bildet. Doch nicht nur das - der Tübinger Biochemiker Dr. Dirk Linke hat aus seinem Indien-Urlaub auch gleich noch die Idee für ein neues wissenschaftliches Projekt mitgebracht. Sein Ansatz, wie man einen Impfstoff mit einer Breitband-Wirkung gegen einige der häufigsten Durchfallerreger entwickeln kann, wird inzwischen sogar von prominenter Seite finanziell unterstützt.
Bevor sich Dr. rer. nat. Dirk Linke nach Indien aufmachte, um einen alten Studienkollegen zu besuchen, stand erst einmal eine reisemedizinische Beratung auf dem Programm. Neben den klassischen Impfungen gegen Wundstarrkrampf und Kinderlähmung wurde dem Projektleiter am Tübinger Max-Planck-Institut (MPI) für Entwicklungsbiologie auch eine Impfung gegen Cholera angeboten. Letztere lehnte Linke jedoch dankend ab. Zu gering erschien ihm das Risiko, sich als Tourist mit dieser oftmals tödlich verlaufenden bakteriellen Durchfallerkrankung (Diarrhoe) anzustecken.
Dr. rer.nat. Dirk Linke verfolgt neue Strategien bei der Impfstoff-Entwicklung
© Bochum / BioRegio STERN
„Als ich dann in Indien drei Tage unter heftigsten Durchfällen litt, habe ich mich allerdings geärgert, dass ich diesen zusätzlichen Schutz nicht doch in Anspruch genommen habe", berichtet der Biochemiker. Linke hatte zwar keine Cholera, krank im Bett liegend erinnerte er sich aber an das, was der Tropenmediziner bei der Beratung in einem Nebensatz erwähnt hatte: Der Cholera-Impfstoff wirkt in gewissem Umfang auch gegen enterotoxinbildende Escherichia-coli-Stämme (ETEC) - und diese gehören zu den häufigsten Erregern einer akuten Reisediarrhoe.
Der Grund für diese immunologische Kreuzreaktion liegt in der strukturellen Verwandtschaft des Cholera-Toxins mit einem der ETEC-Toxine. „Dass der Cholera-Impfstoff dieses breitere Wirkspektrum besitzt, ist letztlich ein glücklicher Zufall", so Linke, „mit den bisherigen Verfahren lässt sich so etwas noch nicht zielgerichtet entwickeln." Doch der Gedanke an eine solche Möglichkeit brachte den Wissenschaftler ins Grübeln - und schließlich auf eine ganz neue Idee. „Wir drehen den Spieß jetzt einfach um. Anstatt abzuwarten, welche Erkennungsmoleküle man experimentell findet, schauen wir zuerst, welche Strukturen verwandte Bakterien auf ihrer Oberfläche theoretisch gemeinsam haben", so Linke. Gegen diese lässt sich dann gezielt ein Impfstoff mit Breitband-Wirkung entwickeln.
Theorie und Experiment unter einem Dach
Dazu will Linke im Genom von verschiedenen gramnegativen Krankheitserregern mittels bioinformatischer Methoden nun all jene Sequenzen identifizieren, die für potenzielle Oberflächen-Antigene kodieren. „Wir picken uns dann die heraus, die bei möglichst vielen Erregern in möglichst ähnlicher Ausprägung vorkommen“, so der Wissenschaftler. Anschließend soll in einem zweiten Schritt experimentell überprüft werden, ob diese aufgrund theoretischer Vorhersagen ausgewählten Zielmoleküle von den Bakterien auch tatsächlich gebildet werden. „Nur weil diese im Genom als Sequenz vorhanden sind, heißt das noch lange nicht, dass sie im Infektionsprozess tatsächlich eine Rolle spielen“, weiß Linke. Aber nur dann kann das Immunsystem das Antigen nach einer Impfung erkennen.
Elektronenmikroskopische Aufnahme von Escherichia-coli-Zellen, die ein fimbrielles Adhäsin produzieren
© Heinz Schwarz und Dirk Linke / MPI für Entwicklungsbiologie
Die interdisziplinäre Ausrichtung des MPI, an dem der Wissenschaftler seit mehr als fünf Jahren beschäftigt ist, erweist sich bei der Durchführung der Arbeiten jetzt als großer Vorteil. So verfügt die Abteilung für Proteinevolution, wo Linkes Arbeitsgruppe angesiedelt ist, sowohl auf dem Gebiet der Bioinformatik als auch der Biochemie über exzellentes Know-how. „Wir sind dadurch in der glücklichen Lage, unsere theoretischen Analysen unmittelbar im Experiment testen zu können“, berichtet Linke, „das ist für beide Seiten sehr befruchtend und in dieser Konstellation ziemlich einmalig.“ Zudem kann der Wissenschaftler auf die Erfahrungen aus seinen anderen Projekten zurückgreifen. In diesen geht es vor allem um die Erforschung bakterieller Adhäsine, die als Oberflächen-Proteine den Erregern das Andocken zum Beispiel an die Darmschleimhaut des Wirts ermöglichen. „Die Entwicklung eines Impfstoffes ist jetzt zwar eine ganz neue Herausforderung“, so Linke, „aber vom Konzept her ist das nicht so weit weg von dem, was wir bisher bereits gemacht haben.“
Stiftung von Bill Gates unterstützt Forschungsarbeiten
Die Strategie des Tübinger Wissenschaftlers ist dabei so überzeugend, dass Linke von der Bill & Melinda Gates-Foundation kürzlich ein mit 100.000 US-Dollar dotiertes Stipendium gewährt bekam. Die Stiftung des amerikanischen Computer-Genies hat es sich zur Aufgabe gemacht, herausragende Ideen zur Prävention oder Heilung von Infektionskrankheiten zu fördern. Mit dem Geld von Gates finanziert Linke nun zwei Mitarbeiter, die die bioinformatischen und experimentellen Arbeiten durchführen werden. Sind die ersten Ergebnisse erfolgsversprechend, besteht sogar die Chance auf eine längerfristige Förderung.
Der Gates-Foundation dürfte besonders gefallen, dass Linkes Impfstoff in erster Linie der Bevölkerung in der Dritten Welt zugute kommen soll. „In Afrika und Asien sterben jedes Jahr wahrscheinlich mehr Menschen an Durchfall als an Malaria“, vermutet Linke. Ein einzelner, preiswerter Impfstoff, der gleich gegen mehrere dieser Erreger wirksam ist, wäre vor diesem Hintergrund ein immenser Fortschritt. Dabei ist es gar nicht nötig, dass die Erkrankung komplett verhindert wird – bereits ein abgeschwächter Krankheitsverlauf könnte sehr viele Menschenleben retten. Prinzipiell ist es sogar denkbar, dass ein solcher Impfstoff auch gegen bestimmte Lungen- und Hirnhautentzündungen, die durch gramnegative Erreger ausgelöst werden, wirksam ist. Und zudem findet Linke aufgrund seiner eigenen Erfahrung: „Es spricht nichts dagegen, in Zukunft auch einem Urlaubsreisenden solche Erkrankungen zu ersparen.“