DNA-Sequenzierung – Diamanten zur Optimierung
Bei den Möglichkeiten, das Erbgut zu entschlüsseln, wurden in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt: DNA-Sequenzierungstechniken wurden unter Hochdruck nach dem Motto „schneller, weiter, kostengünstiger“ entwickelt. Mit den heutigen Verfahren ist es bereits möglich, auch größere Projekte in kurzer Zeit zu bewältigen. Allerdings ist die Fehlerrate noch sehr hoch, weshalb eine Probe meist mehrere Male sequenziert werden muss, um daraus die korrekte Sequenz ermitteln zu können. Die Juniorprofessorin Dr. Maria Fyta hat nun mit ihrem Forscherteam am Institut für Computerphysik der Universität Stuttgart und Kollegen in Schweden und Brasilien in Simulationsberechnungen herausgefunden, dass spezielle chemische Modifikationen in den Nanoporen von Sequenziergeräten den Vorgang sehr viel fehlerfreier und damit effizienter machen würden.
Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, die im Jahr 2001 abgeschlossen wurde und an der viele Wissenschaftler auf der ganzen Welt beteiligt waren, dauerte rund 13 Jahre und kostete mehr als drei Milliarden Dollar. Heutzutage würde ein solches Projekt wesentlich schneller und günstiger in nur wenigen Tagen zum Ergebnis führen. Vor allem die Methoden des Next Generation Sequencing (NGS) haben die Möglichkeiten, Gene und Genome zu analysieren, auch für kleinere Institute und Biotech-Unternehmen enorm erweitert. Allerdings muss bei den Hightech-Verfahren noch vielfach mit einer hohen Fehlerrate gerechnet werden. Dies kann zwar durch Mehrfachlesen der Sequenzen ausgeglichen werden, reduziert aber verständlicherweise die Effizienz. Zusätzlich werden enorme Datenmengen produziert, die zeitaufwendig und mit hohem Rechenaufwand ausgewertet werden müssen.
Die Juniorprofessorin Dr. Maria Fyta beschäftigt sich gemeinsam mit ihrem internationalen Forscherteam per Simulationsberechnungen mit Möglichkeiten, wie innovative Sequenzierverfahren der dritten Generation genauer und damit fehlerfreier gemacht werden können.
© SFB 716 Universität Stuttgart
An Möglichkeiten, die Fehler bei der Entschlüsselung von Nukleinsäuren zu reduzieren und gleichzeitig die Genauigkeit zu erhöhen, wird deshalb vielerorts geforscht. Auch die Juniorprofessorin Dr. Maria Fyta und ihre Arbeitsgruppe vom Institut für Computerphysik an der Universität Stuttgart beschäftigen sich in einem Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs 716 („Dynamische Simulation von Systemen mit großen Teilchenzahlen“) schon seit einiger Zeit gemeinsam mit ihren Kollegen Prof. Dr. Ralph Schleicher in Schweden und Prof. Dr. Rodrigo Amorim in Brasilien mit Methoden, die den Sequenziervorgang noch effizienter gestalten. In ihren Simulationsberechnungen betrachten die Wissenschaftler die Analyse genetischer Informationen in Nanoporen. „Experimente mit Nanoporen im Hinblick auf Sequenzierverfahren gibt es bereits seit 20 Jahren“, erklärt Fyta. „Dabei werden sehr kleine Löcher im Nanometerbereich in verschiedene Materialien gebohrt. Man verwendet dazu biologische Nanoporen, beispielsweise Transmembranproteine, sowie Festkörper wie Siliciumnitrid oder Graphen. In den Nanoporen findet dann die Elektrophorese statt.“
In Nanoporen haben Nukleotide unterschiedliche elektronische Eigenschaften
Die Analyse genetischer Information mit Hilfe von Nanoporen wird zum sogenannten Third Generation Sequencing gerechnet. Dazu gehören modernste Hightech-Verfahren, bei denen die Basenabfolge durch Detektion einzelner Moleküle bestimmt wird. Mit der Nanoporensequenzierung soll es theoretisch möglich sein, ein komplettes menschliches Genom an einem Tag für einen akzeptablen Preis zu entschlüsseln. Auch Geräte auf Nanoporenbasis werden bereits seit einiger Zeit angeboten. „Beispielsweise bietet die Firma Oxford Nanopore Technologies Sequenzer an, die fast so klein wie ein USB-Stick sind und bereits einige tausend Basenpaare lesen können“, berichtet Fyta. „Allerdings ist das Verfahren noch sehr fehlerbehaftet und kann deshalb derzeit keinesfalls in der Medizin genutzt werden.“
Bei der Nanoporensequenzierung werden ebenso wie bei anderen Sequenziertechniken unterschiedlich große Nukleinsäurefragmente elektrophoretisch aufgetrennt, um die Abfolge der Basenbestandteile bestimmen zu können. Hierfür wird die zu untersuchende DNA in Salzlösung gegeben und dann eine elektrische Spannung in den Nanoporen angelegt. Dabei kommen aktuell bei nahezu allen Techniken, die auf Nanoporen basieren, Elektroden aus Gold zu Einsatz. Es formt sich ein elektrisches Feld in Porennähe, in dem sich die negativ geladenen DNA-Moleküle bewegen und sehr schnell durch die Pore gezogen werden. Dabei kann die Reihenfolge der Nukleotide bestimmt werden, indem Unterschiede zwischen den vier verschiedenen Basen detektiert werden: Obwohl sie chemisch sehr ähnlich sind, unterscheiden sie sich in ihren elektronischen Eigenschaften. „Mit der von uns betrachteten Methode kann man den DNA-Code ablesen, indem man den sogenannten Querstrom durch die Gold-Elektroden misst“, erklärt die Juniorprofessorin. „Und dabei ist es tatsächlich so, dass man unterschiedliche elektrische Signale bekommt, je nachdem, welches Nukleotid durch die Pore tritt.“
Beschichtung aus modifizierten Diamantoiden
Solche Experimente führen die Stuttgarter Wissenschaftler schon seit einiger Zeit durch, indem sie per Simulationsberechnungen vor allem das Verhalten von Nukleinsäure im Querstrom betrachteten. „Dabei haben wir uns dann irgendwann gefragt, ob wir die einzelnen Basen vielleicht besser voneinander unterscheiden könnten, wenn man die Goldelektroden in den Poren mit diamantartigen Molekülen beschichten würde“, so Fyta. Und tatsächlich: Die Wissenschaftler konnten beobachten, dass die Unterschiede zwischen den Nukleotiden im Querstrom noch spezifischer wurden. „Man konnte sie besser unterscheiden, weil die Nukleinsäure in der beschichteten Nanopore Wasserstoffbrücken zwischen Nukleotiden und dem Diamant ausbildet – und zwar jede der vier Nukleotiden auf eine etwas andere Art“, berichtet die Computerphysikerin. „Dabei ist die Spezifität der Wasserstoffbrückenbildung im Querstrom mit den geeigneten Methoden relativ deutlich zu sehen, und die vier Nukleotide sind in unseren Berechnungen sehr viel besser voneinander zu unterscheiden als ohne Diamantbeschichtung.“ 1
Diamantoide können von Chemikern produziert und gezielt modifiziert werden, wie Fyta sagt. „Für die Beschichtung verwendet man winzige Moleküle aus diamantartigen Käfigen“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Diese Diamantmoleküle sind von einer Terminierung aus Wasserstoffmolekülen und anderen funktionellen Atomgruppen umgeben, die für die Ausbildung der Wasserstoffbrücken mit den Nukleotiden wichtig sind.“ Die Technik an sich sollte also funktionieren. Was jedoch bei den Berechnungen der Stuttgarter Wissenschaftler bisher noch fehlte, sind die äußeren Versuchsbedingungen – das Salz und das Wasser, wie Fyta sagt: „Wir müssen noch simulieren, was die Salzlösung dazu beiträgt. Und bisher haben wir bei unseren Berechnungen einzelne Nukleotide vorausgesetzt. Wir müssen aber natürlich auch noch betrachten, was passiert, wenn man mehr Nukleinsäure einsetzt.“
Simulationsberechnungen nun auch für das System als Ganzes
Für die Simulationen wählten die Computerphysiker kein Modell, das das System klassisch betrachtet, sondern einen quantenmechanischen Ansatz, in den das komplette System aus DNA, Nanopore und Elektroden einbezogen wird. „Wir haben uns für diesen Ansatz entschieden, weil die Wechselwirkungen genauer abgeschätzt werden können“, erklärt die Juniorprofessorin. Eine solche Simulation dauert auch auf Hochleistungsrechnern mehrere Tage. Aber in Baden-Württemberg gäbe es viele Supercomputer, an denen Universitätsinstitute Rechenzeit zur Verfügung hätten, sagt Fyta.
In den nächsten Monaten wollen sich die Wissenschaftler außer den bisher nicht berücksichtigten Versuchsbedingungen auch noch das System als Ganzes ansehen: „Denn eine einzige Nukleobase in einer einzigen Nanopore kommt so natürlich in keinem Laborexperiment vor. Deshalb wollen wir demnächst lange Nukleinsäuren in größeren Systemen testen“, so die Wissenschaftlerin. Ganz am Ende der Studien soll – wenn weiterhin alle Tests erfolgreich sind – natürlich die Entwicklung von Geräten mit diamantbeschichteten Goldelektroden in den Nanoporen stehen. Zuvor stünden dann aber natürlich noch die praktischen Tests im Labor an.