Ein Gen zur Regulierung von Körperwärme und Fettspeicherung
Die Balance zwischen Wärmeerzeugung und Energiespeicherung wird im Körper durch das Gen THADA reguliert, wie Heidelberger Forscher nachgewiesen haben. Im Tierversuch führt die Ausschaltung des Gens zu übermäßiger Nahrungsaufnahme, Fettleibigkeit und Kälteempfindlichkeit. Bei der Ausbreitung des Menschen über unterschiedliche Klimazonen wurde THADA einem hohen Selektionsdruck durch evolutionäre Anpassung ausgesetzt, der erklären kann, warum in warmen Ländern die Veranlagung für Fettleibigkeit besonders verbreitet ist.
Die Fruchtfliege Drosophila als Adipositas-Modell. Das Fettgewebe ist durch die Expression von GFP (Green Fluorescent Protein) sichtbar gemacht.
© A. Teleman, DKFZ
Fettleibigkeit (Adipositas, engl. „obesity“) ist eine komplexe chronische Erkrankung, bei der die Nahrungsaufnahme und der Energieverbrauch des Körpers aus dem Gleichgewicht geraten sind. Weltweit sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (2015) über 700 Millionen Menschen davon betroffen. Die gesundheitlichen und ökonomischen Kosten sind gigantisch – vor allem durch die mit Fettleibigkeit verbundenen Komplikationen wie Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zweifellos sind Nahrung und Lebensstil wichtige Faktoren für die Ausbreitung der Adipositas über den Globus – der berühmte australische Diabetologe Paul Zimmet hat für die inzwischen fast weltweit populäre Ernährung durch Fast Food und Zucker-Limonaden sarkastisch den Begriff „Coca-Colonisierung“ geprägt. Zwillingsstudien und epidemiologische Untersuchungen bei vielen Völkern belegen aber, dass die Anfälligkeit für Fettleibigkeit auch in starkem Maße genetisch bedingt ist. Beispielsweise neigen die Bewohner der pazifischen Inseln, australische Aborigines und amerikanische Indios stärker zu Fettleibigkeit als Menschen europäischer oder ostasiatischer Abstammung; bei indigenen Völkern Sibiriens oder Grönlands kommt sie dagegen selten vor.
Fruchtfliegen als Modell für Fettleibigkeit
Die Resistenz gegenüber Fettleibigkeit in Menschenpopulationen kalter Klimazonen im Gegensatz zur erhöhten Anfälligkeit in warmen Ländern wird nach einer gängigen Theorie als evolutionäre Adaption an das Klima erklärt: Gegen Kälte ist ein hoher Energieverbrauch von Vorteil; er wird zur Erzeugung von Körperwärme benötigt (siehe Artikel "Von weißem braunem und braunweißem Fett") . Dagegen stellt ein gedrosselter Stoffwechsel und damit geringere Wärmeproduktion eine Anpassung an die warme Umgebung dar; die überschüssige Energie wird dann in Form von Fettpolstern gespeichert. „Wenn das zutrifft“, sagt Prof. Dr. Aurelio Teleman vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, „müsste es Gene geben, die die Balance zwischen Wärmeproduktion und Fettspeicherung steuern. Und diese Gene sollten sich bei verschiedenen Menschen – abhängig vom Breitengrad – unterscheiden.“
Teleman und seine Mitarbeiter haben jetzt ein Gen namens THADA identifiziert, das die Balance zwischen Körperwärme und Fettablagerung reguliert. Als Modellorganismus diente den Heidelberger Wissenschaftlern die Fruchtfliege. Wenn sie dieses Gen bei den Fliegen durch Knock-out ausschalteten, setzten die Tiere viel Fett an, sie fraßen mehr und zugleich waren sie kälteempfindlicher als normale Fliegen. „Ihr Fett isoliert sie also nicht, und wir konnten nachweisen, dass sie tatsächlich weniger Wärme produzieren“, berichtete Alexandra Moraru, die Erstautorin der in der Zeitschrift „Developmental Cell“ publizierten Studie. Wie die Forscher zeigten, reguliert das von THADA kodierte Protein den Energiestoffwechsel über den Calcium-Signalweg in den Zellen, indem es an dem Membranenzym SERCA (sarco/ER Ca2+ ATPase) angreift, durch das Calcium-Ionen aus dem Zytosol in die Zisternen des endoplasmatischen Retikulums gepumpt werden. Bei THADA-Knock-out-Fliegen ist die Aktivität der Calcium-Pumpe dramatisch erhöht. Durch experimentelle Drosselung der Calcium-Pumpe wurde der Verlust von THADA kompensiert, und die Fliegen waren vor Fettleibigkeit geschützt.
THADA beim Menschen
Teleman und sein Team konnten auch zeigen, dass das THADA-Gen des Menschen offenbar die gleichen Funktionen hat wie das der Fruchtfliege. In THADA-Knock-out-Fliegen ließ sich die durch den Ausfall des Gens bedingte Fettleibigkeit durch Expression des menschlichen THADA-Gens kompensieren. Wenn in HeLa-Zellen (menschliche Tumorzellen in Zellkultur) THADA ausgeschaltet wurde, erhöhte sich – wie bei der Fliege – der Calcium-Spiegel im endoplasmatischen Retikulum.
Entdeckt wurde das Gen THADA („thyroid adenoma associated“) beim Menschen erstmals 2003 in gutartigen Vergrößerungen der Schilddrüse (die bei der Regulation des Energiestoffwechsels und Calciumspiegels im Körper eine entscheidende Rolle spielt). In genetischen Studien wurde es mit einem erhöhten Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, in Verbindung gebracht, was durch die neuen Befunde über seine Funktion bestätigt wird. Der auf dem Chromosom 2 liegende Ort des THADA-Gens gehört nach Analysen der DNA-Sequenz von Menschen unterschiedlicher Herkunft zu den am stärksten durch SNPs („single nucleotide polymorphisms“) veränderten Bereichen des gesamten Genoms.
Auch der Vergleich mit dem Genom des Neandertalers, das inzwischen ebenfalls sequenziert worden ist, zeigt, dass THADA eines der Gene ist, die in der Evolution des modernen Menschen die meisten Unterschiede angehäuft haben. Daraus lässt sich schließen, dass THADA nach der Trennung von Homo sapiens und Neandertaler, unserem nächsten Verwandten, weiterhin einem starken Selektionsdruck ausgesetzt war, der sich bei der Verbreitung des modernen Menschen über den Erdball fortsetzte. Menschen verschiedener Klimazonen unterscheiden sich in diesem Gen besonders stark. In warmen Ländern ist die Veranlagung zu krankhaftem Übergewicht weit verbreitet, und Veränderungen im THADA-Gen bieten eine überzeugende molekulargenetische Erklärung für den Zusammenhang zwischen Klimaadaptation und Fettleibigkeit. Denn ein durch THADA reduzierter Stoffwechsel kann helfen, eine Überhitzung des Körpers zu vermeiden. In Kombination mit unserer modernen Ernährungsweise führt dieser gedrosselte Energieverbrauch jedoch schnell zur Fettleibigkeit.
THADA und Krebs
Prof. Dr. Aurelio Teleman, Leiter der Abteilung Krebs- und stoffwechselassoziierte Signaltransduktion am Deutschen Krebsforschungszentrum.
© A. Teleman, DKFZ
Fettleibigkeit erhöht nicht nur die Gefahr für Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern stellt auch für viele Krebskrankheiten einen wichtigen Risikofaktor dar. Zur Diskussion steht deshalb auch eine mögliche Rolle von THADA bei Krebs. So berichteten Wissenschaftler der Pittsburgh Medical School, USA, kürzlich über spezifische Veränderungen im THADA-Gen bei Schilddrüsenkrebs (was angesichts der namensgebenden Erstbeschreibung von THADA bei Schilddrüsenadenomen nicht so überraschend ist). Defekte des THADA-Gens wurden auch mit akuten Leukämien, Prostata- und Darmkrebs in Verbindung gebracht. Allerdings lässt sich nach Telemans Worten noch nicht sagen, „ob diese Assoziation durch den Einfluss auf THADA auf den Energiestoffwechsel zustande kommt, oder ob sie mit einer bislang noch unbekannten Funktion des Gens in Verbindung steht.“ Möglicherweise ist THADA nicht nur das molekulare Bindeglied zwischen Calcium-Transport, Fettstoffwechsel und Körperwärme, sondern auch ein Ansatzpunkt für zukünftige medizinische Interventionen bei Krebserkrankungen.