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Ein intelligentes Pflaster zur nichtinvasiven Nierenfunktionsprüfung

Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mannheim haben unter Leitung von Prof. Gretz ein optoelektronisches Messgerät zur nichtinvasiven Nierenfunktionsprüfung entwickelt. Es wird wie ein Pflaster auf die Haut aufgetragen. Das Gerät kann als Technologieplattform für andere Anwendungsgebiete weiterentwickelt werden.

Um die exkretorische Leistung der Nieren zu überprüfen, wird normalerweise eine gut nachweisbare, gesundheitlich unbedenkliche und nicht abbaubare Substanz in den Blutkreislauf injiziert. Anschließend wird die Geschwindigkeit ihrer Eliminierung durch Konzentrationsmessungen im Blut und Urin bestimmt. Eine solche Nierenfunktionsprüfung erfordert häufige, den Patienten belastende Blutentnahmen. Wünschenswert sind daher Verfahren, mit denen nichtinvasiv, also ohne weiteren Eingriff in den Körper, die Kinetik der Blutkonzentration der Substanz (zum Beispiel Inulin/Sinistrin, ein aus Fruchtzuckerketten bestehendes Kohlenhydrat) bestimmt werden kann.

Eine optoelektronische Plattformtechnologie

Professor Dr. med. Norbert Gretz © Rinderspacher für UMM

Unter Federführung von Professor Dr. Norbert Gretz, dem Leiter des Zentrums für Medizinische Forschung (ZMF) an der Universitätsmedizin Mannheim, ist eine solche neuartige, nichtinvasive Messapparatur zur Nierenfunktionsprüfung entwickelt worden. Es handelt sich um ein optoelektronisches System, das wie ein Pflaster aufgetragen wird und über Signale durch die Haut hindurch die benötigten Messergebnisse liefert.

Inulin/Sinistrin wird mit einem Fluoreszenzfarbstoff markiert und einmalig in den Blutkreislauf injiziert. Es verteilt sich daraufhin im ganzen Körper. Eine in das „intelligente Pflaster" integrierte Leuchtdiode sendet mit kurzer Frequenz blaue Lichtsignale aus, die von dem Fluoreszenzfarbstoff absorbiert und bei höherer Wellenlänge wieder emittiert werden. Diese grünen Lichtimpulse werden von einer ebenfalls in dem Pflaster angebrachten Fotodiode empfangen und durch den in die Mikroelektronik des Pflasters eingebauten Sender auf einen PC übertragen und auf einer Zeitachse grafisch dargestellt. Die Intensität des empfangenen Lichtsignals ist ein Maß für die Konzentration der Kontrollsubstanz im Gewebe unterhalb des auf die Haut aufgeklebten Pflasters. Je mehr Moleküle der Substanz durch die Nieren aus dem Kreislauf eliminiert werden, umso schwächer fällt das emittierte Lichtsignal aus.

Das „intelligente Pflaster“ © Rinderspacher für UMM

In ersten Untersuchungen hat sich dieses innovative Verfahren sowohl bei gesunden Organen als auch bei eingeschränkter Organfunktion als valide erwiesen; auch hohe kurzzeitige Konzentrationsänderungen, wie etwa kurz nach Gabe der Kontrollsubstanz, werden zuverlässig aufgezeichnet. Entwickelt wird das „intelligente Pflaster" zunächst mit dem Ziel, regelmäßige Nierenfunktionsprüfungen in der Klinik durchführen zu können. Hier besteht ein besonderer Bedarf an dieser nichtinvasiven Messmethode bei Diabetikern, bei denen es besonders häufig zu Nierenschäden kommt, und die oft durch die häufigen Insulininjektionen besonders belastet sind. Das Gerät kann aber prinzipiell auch auf andere Anwendungsgebiete übertragen werden: Es handelt sich um eine optoelektronische Plattformtechnologie, die sich relativ leicht durch die Wahl anderer, organspezifischer Testsubstanzen und gegebenenfalls anderer Fluoreszenzparameter zur Funktionsprüfung weiterer Organe adaptieren ließe.

PLACE-it

Eingebettet ist die Entwicklung dieser Plattformtechnologie in ein durch das 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union gefördertes Projekt, genannt PLACE-it. Der Name steht als Akronym für „Platform for Large Area Conformable Electronics by Integration“. Gegenwärtig umfasst das PLACE-it-Konsortium, das im Februar 2010 sein Kick-off-Meeting hatte, zwölf Forschungsgruppen, darunter fünf aus Deutschland, drei aus den Niederlanden und weitere aus Belgien, Spanien und Dänemark. Aus der Metropolregion Rhein-Neckar ist außer der Gruppe um Prof. Gretz auch das Unternehmen Freudenberg in Weinheim (Freudenberg Forschungsdienste KG) beteiligt. Konsortialführer ist der Konzern Philips in Eindhoven, Niederlande. Die beiden Konzerne, Freudenberg und Philips, engagieren sich in der Entwicklung flexibler, dehnbarer Foliensubstrate und Textilien mit integrierten elektronischen und optischen Schaltkreisen und Sensoren nicht nur wegen ihres Anwendungspotenzials im Gesundheitsbereich „on the body“ (wie im Falle von „intelligenten Pflastern“ für Messungen von Organfunktionen oder dem Blutstrom), sondern auch wegen neuartiger Industrieprodukte wie lichtemittierender Vorhänge oder Lampen (zum Beispiel als Autoscheinwerfer), die in jeder beliebigen Form hergestellt werden können.

Diese Zielsetzungen fügen sich auch in einen Forschungsschwerpunkt ein, mit dem die Metropolregion Rhein-Neckar im Spitzencluster-Wettbewerb des Bundesforschungsministeriums ausgezeichnet worden ist: die Organische Elektronik. Die im „Forum Organic Electronics in der Metropolregion Rhein-Neckar" vertretenen Unternehmen und Forschungsinstitutionen haben sich mit der Innovation Lab GmbH eine gemeinsame Forschungs-und Technologieplattform gegeben, mit der auch Prof. Gretz und sein Team am ZMF kooperieren.

Schwerpunkt Nephrologie

Das Zentrum für Medizinische Forschung (ZMF) auf dem Gelände der Universitätsmedizin Mannheim. © Universität Heidelberg

Der Forschungsschwerpunkt am ZMF liegt auf Nierenerkrankungen. Prof. Gretz erhielt seine Facharztausbildung zum Nephrologen am Universitätsklinikum Mannheim (heute Universitätsmedizin Mannheim). Weitere Vertiefungen in seinem Spezialgebiet und in Medizinischer Informatik erfolgten bei der European Dialysis and Transplant Association am renommierten St. Thomas‘ Hospital in London, UK, sowie am Istituto Nefrológico der Universitá di Pisa, Italien.

Besonders bedeutsam sind seine Arbeiten über die polyzystische Nierenkrankheit, die durch das Wachstum zahlreicher Zysten in beiden Nieren gekennzeichnet ist. Die genetisch bedingte Krankheit, von der etwa eine unter tausend Personen in Deutschland betroffen ist, führt unbehandelt in den meisten Fällen zu Nierenversagen. Die Patienten können nur durch Nierentransplantation oder Dialyse gerettet werden. Bei Ratten, die den gleichen Gendefekt aufweisen, der beim Menschen eine polyzystische Nierenkrankheit hervorruft, fanden Gretz und seine Mitarbeiter durch Microarray-Genexpressionsanalysen ein die Krankheit modifizierendes Gen und darüber hinaus einen Wirkstoff, der das Fortschreiten der Krankheit im Tiermodell erheblich hinauszögert.  

Ein hochschulübergreifendes Institut für Medizintechnologie

Gretz baute seit 1997 das Zentrum für Medizinische Forschung der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg an der Universitätsmedizin Mannheim auf, das er seit 2001 leitet. Er ist außerdem geschäftsführender Direktor des 2008 gegründeten Instituts für Medizintechnologie (IMT), einer hochschulübergreifenden wissenschaftlichen Einrichtung der Universität Heidelberg, zu der die Medizinische Fakultät Mannheim gehört, und der Hochschule Mannheim. Stellvertreter des geschäftsführenden Direktors ist Professor Dr. Mathias Hafner, Leiter des Instituts für Molekular- und Zellbiologie an der Hochschule Mannheim.

Zu den Aufgaben des IMT gehört neben der interdisziplinären (Medizin, Biologie und Technik verbindenden) Forschung auf dem Gebiet der Medizintechnologie auch die Lehre und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Dazu wird das Institut, zusätzlich zu den beteiligten Hochschulen, wesentlich durch das Land Baden-Württemberg und die Universitätsmedizin Mannheim unterstützt. Ein besonderer Arbeitsschwerpunkt am IMT ist die „Computational Bio-Photonics“, die Verwendung elektromagnetischer Strahlung in computergestützten Verfahren zur Diagnostik und Therapie von Krankheiten. Dabei geht es nicht nur um die Verbesserung moderner bildgebender Verfahren, sondern auch um Simulation, Planung und Steuerung von therapeutischen Eingriffen und um Messmethoden zur Überwachung von Organfunktionen, wie sie - exemplarisch - mit dem „intelligenten Pflaster“ durchgeführt werden können.

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