Ein Nasenspray zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen
Heidelberger Neurowissenschaftler haben die wissenschaftlichen Grundlagen für ein Nasenspray geschaffen, mit dem die Dendriten der Nervenzellen stabilisiert und damit Nervenschäden und Funktionsverluste des Gehirns nach einem Schlaganfall abgeschwächt werden. Dafür wurden Prof. Dr. Hilmar Bading und sein Team mit dem Innovationspreis 2016 der BioRegionen ausgezeichnet. Um die Entwicklung eines marktfähigen Medikaments zu beschleunigen, gründeten sie im Frühjahr 2016 die Firma FundaMental Pharma.
Prof. Dr. Hilmar Bading, Geschäftsführender Direktor des Interdisziplinären Zentrums für Neurowissenschaften und Leiter des Instituts für Neurobiologie, Universität Heidelberg.
© privat
Die Nervenzellen (Neurone) des Gehirns besitzen zahlreiche bäumchenartig verzweigte Fortsätze, die Dendriten, mit denen Verbindungen zu anderen Neuronen hergestellt werden. Bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen sind diese Verästelungen vereinfacht und verkürzt. Die Reduktion der dendritischen Bäumchen kann mit dem Verlust der kognitiven Fähigkeiten einhergehen. Eine Forschergruppe unter der Leitung des Neurobiologen Hilmar Bading am Interdisziplinären Zentrum für Neurowissenschaften (IZN) der Universität Heidelberg hat als ein für die Regulation der neuronalen Verzweigungen entscheidendes Molekül das Signalprotein VEGFD („vascular endothelial growth factor D“) identifiziert. Dieses war bereits als Wachstumsfaktor für die Angiogenese – die Entstehung von Blut- und Lymphgefäßen – besonders auch bei der Bildung von Krebsmetastasen bekannt. Im Nervensystem aber ist VEGFD wesentlich daran beteiligt, dass die Dendriten mit ihren komplexen Verzweigungen erhalten bleiben – es dient als „Dendritenstabilisator“.
Calcium als zentraler Schalter im Zellkern von Nervenzellen
Bading und seine Mitarbeiter haben gezeigt, dass Calcium im Zellkern ein zentraler Schalter ist, der sowohl das Überleben der Nervenzellen als auch kognitive Fähigkeiten, wie zum Beispiel die Bildung des Langzeitgedächtnisses, reguliert. An Neuronen in Zellkultur aus dem Hippocampus (einer Gehirnregion, die unter anderem für die Gedächtnisbildung entscheidend ist) konnten die Forscher den komplexen Signalweg für den Kern-Calcium-Schalter aufklären. Der auf einen Nervenimpuls hin freigesetzte Neurotransmitter Glutamat aktiviert an den Synapsen der Neurone die sogenannten NMDA-Rezeptoren, die daraufhin als Kanäle für Calcium durch die Zellmembran dienen. Das einströmende Calcium wird an Calmodulin gebunden und aktiviert im Zellkern über eine Kaskade von Enzymen ein spezielles Genexpressionsprogramm (das CREB/CBP-Transkriptionssystem), wodurch Gene angeschaltet werden, die für die Bildung des Langzeitgedächtnisses und für das Überleben der Neurone notwendig sind. Eines dieser Gene kodiert für VEGFD, der die Aufrechterhaltung der Dendriten gewährleistet.
Ein „green fluorescent protein“-exprimierendes Neuron mit zahlreichen, weit verzweigten Dendriten. Organtypische Gewebeschnittkultur aus dem Hippocampus einer neugeborenen Maus.
© Daniela Mauceri, IZN
Wie die Heidelberger Wissenschaftler auch nachgewiesen haben, wird das von den synaptischen NMDA-Rezeptoren induzierte „Kern-Calcium-Signal“ zur Transkription von VEGFD und anderen Genen bei Schlaganfall und auch bei langsam verlaufenden Neurodegenerationen wie Alzheimer durch einen zweiten Calciumsignalweg gestört, der über die Aktivierung extrasynaptischer NMDA-Rezeptoren verläuft. Er führt zur Abschaltung des CREB/CBP-Transkriptionssystems und zur Reduktion der Expression von Kern-Calcium Zielgenen, insbesondere des Dendritenstabilisators VEGFD. Eine Verkümmerung der Dendriten, der Zelltod und der Verlust vitaler Hirnfunktionen sind die Folge.
Diese Arbeiten bilden die wissenschaftliche Grundlage für einen neuen Weg zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen. Bading und seine Mitarbeiter, darunter Juniorprofessorin Dr. Daniela Mauceri, entwickelten einen von VEGFD abgeleiteten Wirkstoff, ein sogenanntes VEGFD-Peptidmimetikum, dessen Applikation den Verlust von Dendriten verhindert und damit die Überlebenschancen der Neurone zum Beispiel nach einem Schlaganfall erhöht. Das Mimetikum lässt sich auf einfache Weise als Nasenspray verabreichen.
Von der Innovation zum Markt: Die FundaMental Pharma GmbH
Dr. Daniela Mauceri, Juniorprofessorin und Gruppenleiterin am Institut für Neurobiologie, Universität Heidelberg.
© Universität Heidelberg
Die Anwendung von VEGFD als Wirkstoff zur Dendritenstabilisation ist ein radikal neuer Ansatz zur Therapie neurologischer Erkrankungen, die wie der Schlaganfall mit dem Verlust von Nervenzellstrukturen einhergehen. Weitere Möglichkeiten für dieses Therapieprinzip mittels Nervenstruktur-erhaltender Wirkstoffe (sogenannter „Morphoceuticals“) sehen die Wissenschaftler auch bei verschiedenen anderen krankheits- oder alterungsbedingten Degenerationen, die bisher nicht oder nur unzureichend behandelbar waren. Dazu gehören Demenzkrankheiten, aber auch die Amyotrophe Lateralsklerose, bei der es zur Degeneration von Motorneuronen und Lähmungen kommt, sowie das mit einem Verlust von Nervenfasern verbundene Glaukom (Grüner Star).
Die Applikation des Medikaments in Form eines Nasensprays hat den großen Vorteil, dass sie nichtinvasiv ist und den Patienten schont, sodass sie bei Bedarf häufig problemlos wiederholt werden kann. Die Methode ist auch hoch effizient, denn aus der Nasenhöhle können diese Substanzen unter Umgehung der Blut-Hirn-Schranke über den Riechnerv ins Gehirn eindringen. Einen „Geheimgang zum Gehirn“ hat das der Tübinger Pharmakologe Prof. Dr. Christoph Gleiter genannt. So kann das VEGFD-Peptidmimetikum – beispielsweise nach einem Schlaganfall – unmittelbar intranasal verabreicht werden, um die Dendriten aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen, sodass die für den Erhalt kognitiver Eigenschaften erforderliche neuronale Architektur in ihrer Komplexität geschützt wird.
Für ihren innovativen, anwendungsnahen Ansatz sind Hilmar Bading und sein Team anlässlich der Deutschen Biotechnologietage am 26. April 2016 in Leipzig mit dem Innovationspreis 2016 der BioRegionen ausgezeichnet worden. Um die Entwicklung der neuartigen Arzneimittel weiter zu beschleunigen, gründeten die Wissenschaftler zusammen mit dem Münchner Business Development Manager Dr. Thomas Schulze die FundaMental Pharma GmbH. Die Hoffnung ist, dass interessierte Investoren über die Bereitstellung finanzieller Mittel die weitere Entwicklung der neuen Wirkstoffe ermöglichen, damit sie frühestmöglich den Patienten zugutekommen können.