Ein Zentrum der Leberkrebsforschung
Das Pathologische Institut der Universität Heidelberg hat sich unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Schirmacher zu einem Zentrum der Erforschung der Lebertumoren und besonders auch des hepatozellulären Karzinoms entwickelt, an dem neue diagnostische Marker und neue molekulare Angriffspunkte für Medikamente gesucht werden, die darauf hoffen lassen, dass auch dieser Krebs gezielt behandelbar wird.
Das Pathologische Institut der Universität Heidelberg erhält jährlich etwa 62.000 Gewebeproben (Histologie) und Zellpräparationen (Zytologie) aus allen Bereichen der Medizin zur diagnostischen Beurteilung. Die Proben kommen nicht nur vom Universitätsklinikum Heidelberg, sondern auch von zwanzig weiteren Kliniken und mehreren Fachpraxen. Damit ist das Institut das größte seiner Art in Deutschland. Neben seinen vielfältigen Aufgaben in der Krankenversorgung, Forschung, Lehre, Weiterbildung und Qualitätssicherung sowie auch der Durchführung von Obduktionen ist das Institut auch als bundesweites Referenzzentrum in einer ganzen Reihe von Spezialgebieten konsiliarisch (in freiwilliger kollegialer Weise begutachtend) tätig.
Die Heidelberger Referenzpathologie
Die Entscheidung, welche Therapie bei einer Krankheit erfolgversprechend ist, hängt oft von der korrekten Beurteilung der Gewebeprobe ab. So wird zum Beispiel bei einer Tumorerkrankung der Pathologe durch seine Diagnose über die Art des Tumors („Typing"), über seine Aggressivität („Grading") und seine Ausdehnung („Staging") zum ‚Lotsen der Therapie'. In einigen problematischen Fällen (meist weniger als zwei Prozent aller Diagnosen) wird der Pathologe dabei auf die diagnostische Expertise eines Spezialisten auf dem entsprechenden Gebiet oder auf die besondere technische Ausstattung zurückgreifen müssen. Diese Praxis der konsiliarischen Referenzpathologie stellt ein wichtiges Instrument der Qualitätssicherung und damit der verantwortungsvollen Krankenversorgung dar.
Um den häufigen Konsil-Anfrage in ihren diagnostischen Spezialgebieten im vollen Umfang gerecht zu werden und die Kommunikation zu erleichtern, hat die Abteilung für Allgemeine Pathologie der Universitätsklinik Heidelberg unter Prof. Dr. Peter Schirmacher ihre Referenzleistungen organisatorisch in einem Referenzzentrum gebündelt und die Vorgehensweise vereinheitlicht. Referenzbereiche sind: Hepatopathologie; Gastrointestinale Pathologie; Pankreaspathologie; Hämatopathologie; Mammapathologie; Cardiopulmonale Pathologie und die Pathologie des Stützgewebes und der Weichgewebstumoren. Das Referenzzentrum ist auch Anlaufstelle für Anfragen auf Zweitbefundungen bei komplexen Tumorerkrankungen aus dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT); es arbeitet daher eng mit dem NCT zusammen und unterstützt dieses in dem Ziel einer innovativen Versorgung von Tumorerkrankungen auf höchstem Niveau.
Führender Standort der Leberkrebsforschung
Professor Dr. Peter Schirmacher, Direktor des Pathologischen Instituts am Universitätsklinikum Heidelberg und Sprecher des neuen Sonderforschungsbereichs.
© Universitätsklinikum Heidelberg
Über die diagnostische Krankenversorgung und die Referenzpathologie hinaus hat das Heidelberger Institut im Bereich der Leber- und Magen-Darm-Trakt-Erkrankungen (Hepatogastroenterologische Pathologie) einen seiner wissenschaftlichen Schwerpunkte. Unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Schirmacher ist es insbesondere einer der international führenden Standorte zur Erforschung der molekularen Mechanismen und der Behandlungsmöglichkeiten des Leberzellkrebses (hepatozelluläres Karzinom, HCC) geworden. Schirmacher, der 2004 auf den Lehrstuhl für Pathologische Anatomie in Heidelberg berufen wurde, hatte zuvor schon chronische Lebererkrankungen und die molekularen Entstehungsmechanismen des Leberzellkrebses an den Instituten für Pathologie der Universitäten Mainz und Köln sowie am Albert Einstein College, New York, erforscht. Für diese Arbeiten war er unter anderem 1997 mit dem Boehringer Ingelheim-Preis ausgezeichnet worden.
Seit Januar 2010 gibt es einen neuen, von der DFG über vier Jahre mit 12 Millionen Euro geförderten Transregio-Sonderforschungsbereich (SFB/TRR 77) „Leberkrebs - von den molekularen Entstehungsmechanismen bis zur gezielten Therapie". Sprecher des Forschungsverbundes aus 40 Wissenschaftlern der Universität Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums, der Medizinischen Hochschule Hannover und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung, Braunschweig, ist Professor Schirmacher. Im Rahmen des SFB/TRR 77 suchen Deutschlands führende Leberkrebs-Experten Antworten auf die Frage, wie aus einer chronischen Lebererkrankung schließlich ein Krebsleiden mit Metastasen entsteht, und tragen dazu bei, neue präventive, diagnostische und therapeutische Maßnahmen gegen diesen Krebs umzusetzen, gegen den es bisher nur wenige, begrenzte Behandlungsmöglichkeiten gibt.
Suche nach neuen diagnostischen Markern
Die häufigsten bösartigen Tumoren, die man in der Leber findet, sind Metastasen von andernorts entstandenen Krebsformen, aber auch der eigentliche Leberkrebs, das Leberzellkarzinom (HCC), ist mit etwa einer Million Todesfälle jährlich der fünfhäufigste maligne Tumor weltweit. Besonders verbreitet ist das HCC im tropischen Afrika und in Südostasien, einschließlich Südchina. Doch auch in Deutschland und anderen westlichen Industrieländern hat es in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommen und für die nähere Zukunft muss mit einem weiteren Anstieg gerechnet werden.
In etwa 90 Prozent aller Fälle entsteht der Leberkrebs aus einer chronischen Leberschädigung, die ihre Ursache in einer durch Hepatitis-B- oder -C-Virus-Infektion hervorgerufenen chronischen Leberentzündung, in chronischem Alkoholmissbrauch oder einer Reihe anderer Erkrankungen wie zum Beispiel der nicht-alkoholischen Fettleber hat. Leberkrebs hat eine sehr schlechte Prognose. Dazu trägt bei, dass zum Zeitpunkt der Diagnose der Tumor meist schon weit fortgeschritten und das nicht vom Tumor befallene Lebergewebe zirrhotisch vernarbt ist. Heilung kann nur durch vollständige chirurgische Entfernung des Tumors und gegebenenfalls eine Lebertransplantation erzielt werden, und das ist nur bei etwa fünf Prozent der Patienten möglich. Bestrahlung, chemotherapeutische oder immuntherapeutische Maßnahmen haben sich bisher als wenig wirkungsvoll erwiesen. Einer verbesserten Früherkennung des Leberzellkarzinoms steht im Wege, dass sich mit bildgebenden Verfahren frühe Tumorstadien in der Leber nicht zuverlässig diagnostizieren lassen. Auch gibt es bisher keine sensitiven diagnostischen Marker für Blutuntersuchungen.
Die Arbeitsgruppe von Dr. Thomas Longerich im Pathologischen Institut Heidelberg arbeitet daran, molekulare Marker der Entwicklung und Progression des HCC zu identifizieren. Die Wissenschaftler führen, in Kooperation mit der Abteilung für Molekulare Genetik des Deutschen Krebsforschungszentrums unter Leitung von Prof. Dr. Peter Lichter, hochauflösende genomische und epigenomische Profilinganalysen auf Array-Basis an einem klinisch gut definierten HCC-Kollektiv durch. Ziel ist es, zu einer molekularen Klassifikation des Krebses und seiner Vorläuferläsionen zu gelangen und Kandidatengene zu selektionieren, die neue Ansatzpunkte für die Diagnose und Behandlung des Leberzellkarzinoms bieten können.
Neue molekulare Targets zur Therapie des Leberzellkarzinoms
Lokalisation von Polo-like Kinasen in der mitotischen Spindel.
© EMBO
Wie Professor Schirmacher darlegte (cit. Ruperto Carola 2/2007), führt das Pathologische Institut Heidelberg Untersuchungen mit Multi-Tissue-Arrays durch, einer Hochdurchsatztechnik, die es erlaubt, identifizierte genetische Veränderungen bei sehr vielen Tumoren zu untersuchen. Dadurch können relativ rasch potenzielle Markergene ermittelt und für neue therapeutische Ziele getestet werden. Es konnte gezeigt werden, dass die Fehlregulation der Signalwege von Wachstumsfaktoren bei der Entstehung und dem Wachstum von Leberkrebszellen eine wichtige Rolle spielen. An der Regulation sind Proteinkinasen beteiligt; ihre Wirkung ist jedoch sehr vielgestaltig. In einer kürzlich publizierten Arbeit (Pellegrino et. al., Hepatology 51, 857-868, 2010) konnten Schirmacher und seine Mitarbeiter zeigen, dass sogenannte Polo-like Kinasen (PLK-Proteine), die wichtige Regulatoren des Zellzyklus sind, beim menschlichen HCC unterschiedliche Rollen ausüben: PLK1 wirkt als ein Onkogen, dagegen wirken PLK2-4 vermutlich als Tumorsuppressor-Gene.
Die molekularen Veränderungen sind insgesamt äußerst komplex, da die verschiedenen Wachstumsfaktoren-Signalwege nicht getrennt voneinander ablaufen, sondern miteinander vernetzt sind. Die Wachstumsfaktoren-Signalwege stellen für das Leberzellkarzinom geeignete therapeutische Ziele dar. Die Herausforderung besteht aber darin, in dem komplexen Signalgeflecht die entscheidenden Komponenten zu identifizieren und gezielt anzugreifen.
Menschliche Leber mit hepatozellulärem Karzinom
© Charité, Berlin
Die Heidelberger Forscher haben weitere Zielstrukturen ermittelt, die als therapeutische Ziele in Frage kommen. Im Fokus steht dabei neben Faktoren, die den Zellzyklus und die Proteinfaltung regulieren, besonders der Prostaglandin-Stoffwechsel, insbesondere die Hemmung der Cyclooxygenase-2 (COX-2), ein Enzym, das die Umsetzung von Arachidonsäure in Prostaglandine bewirkt. Im Gegensatz zu dem verwandten Enzym COX-1 wird COX-2 kaum in gesundem Gewebe gebildet. Vor allem bei Entzündungskrankheiten und Tumorerkrankungen kann COX-2 dagegen vermehrt nachgewiesen werden. Eine gezielt gegen COX-2 gerichtete Behandlung sollte daher vor allem krankes Gewebe angreifen, gesundes Gewebe aber vergleichsweise wenig schädigen.
Seit langem stehen mit den sogenannten nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAR), die derzeit zur Behandlung von Entzündungen und Schmerzen eingesetzt werden, Medikamente zur Verfügung, die über die Hemmung von COX-2 wirken. Mittlerweile hat sich aber herausgestellt, dass sich die NSAR vermittelte Hemmung des Prostaglandin-Stoffwechsels auch antitumorös und tumorpräventiv auswirkt: So erkranken Patienten, die langfristig nichtsteroidale Antiphlogistika einnehmen, auffallend seltener an bösartigen Tumoren, und bei einer seltenen erblichen, zu Dickdarmkrebs führenden Erkrankung - der familiären Kolonpolypose - verlangsamen COX-2-Hemmstoffe das Krebswachstum.
Man ging lange davon aus, dass die COX-2-Hemmstoffe ihre Anti-Tumor-Wirkung über die Unterdrückung der Tumorangiogenese entfalten, dass also keine neuen Gefäße zur Versorgung des Tumors mit Nährstoffen und Sauerstoff gebildet werden. Die Untersuchungen von Schirmacher und Mitarbeitern haben jedoch gezeigt, dass COX-2-Hemmstoffe das Wachstum der Tumorzellen auch direkt beeinflussen und diese zudem in den programmierten Zelltod, die Apoptose, getrieben werden, und zwar sowohl über den "extrinsischen Signalweg" (der über die Todesrezeptoren auf der Zelloberfläche läuft) und den "intrinsischen Signalweg" (der von den Mitochondrien im Zellinnern ausgeht). Die Anti-Tumor-Wirkung der COX-2-Hemmstoffe konnte nicht nur an Tumorzellkulturen nachgewiesen werden, sondern auch im Tierversuch und in ersten kasuistischen Heilversuchen beim Menschen bestätigt werden. Neue Ansätze sind zunehmend darauf ausgerichtet, diese verschiedenen Eingriffsmöglichkeiten in sinnvoller Weise zu kombinieren.