Eine künstliche Herzklappe, die mitwachsen könnte
In Deutschland werden jährlich etwa 30.000 künstliche Herzklappen implantiert. Ein Problem dabei ist die Haltbarkeit der Klappen, sodass diese vor allem bei jungen Patienten immer wieder ausgetauscht werden müssen. Am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB wurde nun ein neuartiges künstliches Herzklappenmaterial entwickelt. Auf diesem können Zellen aus dem Blutstrom neues Herzklappengewebe formen. Es kann mitwachsen und könnte damit den Patienten Mehrfach-Operationen ersparen. Jetzt wollen die Forscher in einer präklinischen Phase auf die Zulassung hinarbeiten.
Dr. Svenja Hinderer hat eine künstliche Herzklappe entwickelt, die das Potenzial zur Regeneration hat. Die Forscherin gehört mit ihren Arbeiten zu den führenden Nachwuchswissenschaftlern weltweit.
© Fraunhofer IGB
Künstliche Herzklappen, die eine erkrankte körpereigene Herzklappe ersetzen, gehören heute schon zum medizinischen Standard. Dabei werden größtenteils Klappen aus tierischem Gewebe, aber auch mechanische Klappen eingesetzt, die vorwiegend aus Metall bestehen. Die mechanischen Klappen halten zwar lebenslang, erfordern aber eine permanente Einnahme von blutverdünnenden Medikamenten. Biologische Herzklappen dagegen haben nur eine begrenzte Haltbarkeit von etwa 15 Jahren und müssen dann erneuert werden. Sie wachsen außerdem bei Kindern nicht mit und müssen hier deshalb noch viel häufiger ausgetauscht werden – eine aufwendige und belastende Prozedur für die kleinen Patienten.
Am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart forscht man deshalb schon seit Jahren an Implantaten aus Hightech-Fasern, die körpereigene Zellen nutzen, um verletztes Gewebe zu heilen. Nun ist es Dr. Svenja Hinderer, die am IGB die Arbeitsgruppe Kardiovaskuläre Systeme, Biomaterialien und Bioimaging leitet, mit ihrem Team gelungen, ein neuartiges künstliches Herzklappenmaterial zu entwickeln. Dieses lockt Zellen aus dem Blutstrom an, die das künstliche Gerüst mit der Zeit ersetzen sollen. Mit ihren Arbeiten gehört die Chemikerin seit Kurzem laut Wissenschaftsmagazin „MIT Technology Review“1 zu den Top Ten der „Innovatoren unter 35“ weltweit.
In Fasern verarbeitetes Protein lockt Blutzellen an
Die Idee, eine künstliche Herzklappe nach dem Vorbild der Natur zu entwickeln, entstand schon früh, als sich Institutsleiterin Prof. Dr. Katja Schenke-Layland in ihrer Doktorarbeit mit Herzklappen beschäftigte und herausfand, dass die Zusammensetzung der Klappenmatrix ein entscheidendes Kriterium für funktionstüchtiges Gewebe ist. „Die Arbeiten sollten auch weitergeführt werden, allerdings mit dem Fokus auf der extrazellulären Matrix“, berichtet Hinderer, die dann in Zusammenarbeit mit der Professorin vor einigen Jahren damit begann, eine künstliche Herzklappe zu entwickeln. „Parallel dazu wurde in einer anderen Arbeit die Embryonalentwicklung von Herzklappen erforscht. Aus den Ergebnissen übernahm ich die Proteine, die für die Klappenentwicklung wichtig sind, habe diese rekombinant hergestellt, weiter in künstliches Material verarbeitet und untersucht.“
Bei den Tests stellte die Wissenschaftlerin fest, dass sich ein Protein bzw. Proteoglykan als besonders erfolgversprechend erwies: „Hier konnten wir im Reagenzglas sehen, dass es wie ein Lockstoff auf Zellen wirkt und sie sich anziehen lassen“, sagt Hinderer. „Nun mussten wir aber noch eine Methode entwickeln, mit der man die Biomoleküle so in Fasermaterial verarbeiten kann, dass sie stabil bleiben. Für synthetische Polymere war das kein Problem, aber für Proteine war das Verfahren noch nicht etabliert.“
Stabiles Herzklappenmaterial durch Elektrospinnen
Zur Herstellung des Trägermaterials entwickelte die Wissenschaftlerin die Methode des Elektrospinnens weiter. Hierfür war zunächst keinerlei Expertise am Institut vorhanden: „Den ersten Elektrospinner habe ich damals selbst gebaut, sie gab es nur im Großformat, beispielsweise in der Textilindustrie“, erzählt die Chemikerin. „Das Verfahren war zunächst sehr anfällig, beispielsweise für bestimmte Luftfeuchtigkeiten oder Ladungen, sodass ich bei Gewitter teilweise gar nicht damit arbeiten konnte. Heute gibt es dafür super Geräte zu kaufen, in denen alles komplett kontrolliert abläuft.“
Außer den Proteinen, die Zellen anlocken und binden, hat die künstliche Herzklappe immer auch eine synthetische Komponente, die Stabilität verleiht.
© Fraunhofer IGB
So wurden Materialien mit den verschiedensten mechanischen Eigenschaften, Strukturen und Architekturen getestet. „Wir haben nach Materialien gesucht, die bereits zugelassen sind, und sie als Materialblends kombiniert, um die günstigsten Eigenschaften zu bekommen“, erklärt Hinderer. Die Blends werden aus extrem dünnen Fasern im Nanometerbereich hergestellt und vernetzt. So entstand dann im Lauf der Zeit ein außerordentlich stabiles, künstliches Herzklappenmaterial, das der mechanischen Beanspruchung ebenso standhält wie das natürliche Vorbild. Außerdem mussten noch andere Parameter erfüllt werden; beispielsweise sollte das Material viel Wasser aufnehmen können. Und die Blends haben zum Großteil eine synthetische Komponente, weil der Druck in der Aorta so hoch ist, dass Proteine alleine diesem nicht standhalten könnten.
Realitätstest im Bioreaktor bestanden
Auch eine Methodik zur Verarbeitung von Proteinen hat Hinderer mittlerweile entwickelt. „Wichtig ist dabei, das künstliche Material so zu verstecken, dass das Implantat vom Körper nicht gleich als fremd angesehen wird“, so die Chemikerin. Mit Erfolg, denn die Forscherin hat nun ein künstliches Material zur Hand, das Zellen aus dem Blutstrom anziehen und an Protein binden kann. Und noch einen weiteren Vorteil hat die künstliche Herzklappe: Es handelt sich um ein reines bzw. zellfreies Material, das erst nach der Implantation im Körper von Zellen besiedelt wird. Hier hat man am IGB gleich an die mögliche Zulassung gedacht. „Mit einem Zellprodukt im Körper oder einem Stammzellenansatz würde eine Zulassung möglicherweise einmal schwierig“, so Hinderer.
Im Bioreaktor hat die künstliche Herzklappe den Realitätstest bereits bestanden: „Sie schließt wie das natürliche Vorbild und hält einem Blutdruck von 120 zu 80 mmHg stand“, sagt Hinderer. „Es klappt auch mit höherem Druck, aber wir haben hierzu noch keine Langzeitstudie.“ Deshalb will die Wissenschaftlerin nun in einem nächsten Schritt in einer präklinischen Phase im Tier zeigen, dass die neuartige künstliche Herzklappe auch längerfristig funktionstüchtig ist, und nachweisen, dass das Material – sobald im Körper eingesetzt – körpereigene Zellen anlockt, mit der Zeit ersetzt wird und mit dem Körper mitwächst.
Warten auf präklinische Untersuchungen
Momentan ist die künstliche Herzklappe einfach noch „ein Stück Stoff“, wie sie sagt. „Wir können sie aber auch problemlos in Herzklappenform spinnen. Wie die Variante für den Patienten einmal aussehen wird, wird sich noch zeigen. Aber wir haben wunderbare Ergebnisse, was die Matrix angeht. Sie bildet sich zuverlässig und sieht ganz ähnlich aus wie bei einem 18 Wochen alten Embryo. Was uns jedoch noch einen Strich durch die Rechnung machen könnte, ist die Kalzifizierung. Das ist noch komplett unverstanden, und wir können den Vorgang nicht im Reagenzglas abbilden. Deshalb brauchen wir jetzt dringend In-vivo-Untersuchungen.“ Partner mit Expertise auf dem Gebiet gäbe es schon, so Hinderer, Herzchirurgen in England und München.
Ein Antrag für weitere Tests der präklinischen Phase läuft deshalb schon. So lange stagnieren die Arbeiten an der Herzklappe mehr oder weniger. „Es gibt generell in Deutschland und der EU relativ wenige Forschungsgelder, und die Bearbeitung von Anträgen dauert lange“, sagt die Wissenschaftlerin. „Aber wir versuchen, die Technik auch auf andere Organe zu übertragen – Blutgefäße und den Herzmuskel. Diese Ergebnisse sind auch hilfreich und wertvoll für die Weiterentwicklung der Herzklappe.“