Einfach und schnell: Neues optisches Verfahren zur Analyse lebender Zellen
Die Ulmer Nachwuchsforscher Dr. Daniel Geiger, Tobias Neckernuß und Jonas Pfeil haben ein innovatives Verfahren für die berührungslose Echtzeitanalyse von Zellen und anderen Partikeln entwickelt. Die Analyse geht mit geringen Datenraten und entsprechend geringem Aufwand einher. Das macht die Methode so attraktiv für medizinische Anwendungen.
Das Entwicklerteam Jonas Pfeil, Daniel Geiger und Tobias Neckernuß (von links nach rechts) im Optik-Labor
© Daniel Geiger, Universität Ulm
Quasi im Durchmarsch, ohne große Projektförderung oder Firmenbeteiligung haben drei Nachwuchsforscher am Institut für Experimentelle Physik der Universität Ulm ein cleveres optisches Verfahren zur Zellanalyse entwickelt. Unterstützt wurden Daniel Geiger, Tobias Neckernuß und Jonas Pfeil von ihrer eigenen Abteilung um Prof. Dr. sc. nat. Othmar Marti – und vom Institut für Mikroelektronik an der Universität Ulm. „Das Team hat uns mit viel Input für die Hardware-Lösungen geholfen“, sagt Neckernuß. Die Entwicklungsarbeiten für das neue Verfahren hat er wie seine beiden Kollegen im Rahmen seiner Doktorarbeit durchgeführt.
Die zugrundeliegende Technologie ist die optische Deformationszytometrie. Sie ist im Prinzip nichts Neues und wird schon seit Jahren für Analysezwecke eingesetzt. Dabei werden Zellen in wässrigem Medium durch die speziellen Strömungsverhältnisse in einem Mikrokanal deformiert. Genauer gesagt wird die annähernd kugelige Zelle in die Länge gezogen. Dieser Vorgang wird klassischerweise mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgezeichnet. So können die biomechanischen Eigenschaften der Zelle, aber auch andere Parameter wie Größe, Form und Morphologie untersucht werden, ohne die Zelle dabei zu berühren. Neckernuß weiß, warum das beispielsweise in der Krebsdiagnostik relevant ist: „Die Struktur des Cytoskeletts und die Membransteifigkeit sind bei Krebszellen anders als bei gesunden Zellen. Metastasierende Zellen des Pankreaskrebses sind zum Beispiel ‚weicher’ als gesunde Zellen. Analysiert man mit dem Verfahren das Blut von Krebspatienten, kann zukünftig untersucht werden, wie viele Zellen sich tumorspezifisch deformieren lassen. Das wiederum erlaubt Rückschlüsse auf den Krankheits- bzw. Therapieverlauf.“
Die Mikroskopieaufnahme zeigt einen Mikrokanal und eine Zelle zu verschiedenen Zeiten an unterschiedlichen Punkten im Kanal.
© Tobias Neckernuß, Universität Ulm
Hunderte Zellen können pro Sekunde in Echtzeit ausgewertet werden
Der Knackpunkt des Aufwands bei dem Verfahren ist die Erzeugung und Verarbeitung der Bilddaten. Hochgeschwindigkeitskameras sind nicht nur sehr teuer, sondern liefern bei 100.000 Bildern pro Sekunde auch enorme Datenmengen. Schnell kommen Daten im Bereich von einigen Gigabit pro Sekunde zusammen, die gespeichert und ausgewertet werden müssen. Das erfordert eine entsprechend leistungsfähige und teure Hardware. „Unsere Innovation besteht in der Datenverarbeitung auf dem Sensor. Wir arbeiten mit sehr geringen Datenraten und starten bereits während der Aufnahme mit der Bildtransformation, für die wir einen eigenen Algorithmus entwickelt haben“, erklärt Neckernuß. Auch die Algorithmen, mit denen die physikalischen Parameter, also Größe, Form und Geschwindigkeit der Zelle gewonnen werden, haben die Ulmer Forscher selbst entwickelt. Der Sensor liefert Bilder in wahrlich schlechter Auflösung: 30 mal 30 Pixel – das ergibt 900 Pixel pro Bild. Laut Neckernuß ist das jedoch völlig ausreichend, denn bei dem neuen Verfahren kommt es nur auf den Unterschied zwischen zwei Bildern an. „Im Vergleich zur herkömmlichen Methode haben wir die Datenrate um den Faktor Tausend verringert. Sofort nach der Aufnahme werden die Daten direkt auf ein FPGA transferiert. Dabei handelt es sich um einen kleinen Mikrocontroller, ein Standardbauteil aus der Mikroelektronik.“ Das Ganze geht derart schnell vonstatten, dass die Forscher damit eine Echtzeitanalyse liefern können.
Ausgehend von einem funktionsfähigen Prototyp in Form eines Mikrochips mit Sensor will das Team das neue Verfahren für konkrete Anwendungen weiterentwickeln. Im Fokus stehen zunächst wissenschaftliche Fragestellungen. „Das Verfahren eignet sich generell für die Zellzählung und -sortierung. Wir müssen die Zellen nicht fluoreszierend anfärben, also vorbehandeln. Das heißt, man kann mit den Zellen direkt weiterarbeiten und hat trotzdem die zeitliche Auflösung, um die Zelle zu erkennen.“ Prinzipiell spricht nichts dagegen, diese Art der Echtzeit-Analyse zum Beispiel im OP während eines Eingriffs zur Kontrolle anzuwenden. Auch in der Point-of-care-Diagnostik direkt am Krankenbett ist der Einsatz des kleinen und durchaus robusten Systems denkbar.
Neben dem Sockelboard mit dem Sensor und der Steuerungselektronik ist das FPGA-Board zur Bildverarbeitung (grün) mit abgebildet.
© Othmar Marti, Universität Ulm
Der optische Sensor für das neue Verfahren befindet sich in einem selbst
entwickelten Sockelboard mit entsprechender Elektronik zur Steuerung.
© Foto: Othmar Marti, Universität Ulm
Lab-on-a-Chip-Anwendungen mit breitem Einsatzspektrum
Mit der Methode können jedoch nicht nur Zellen, sondern generell Partikel in wässrigen oder sogar in gasförmigen Medien analysiert werden. „Es ist natürlich ein gewisser Engineering-Aufwand, um das System vom Flüssigkeitskanal auf einen Luftkanal umzurüsten. Ein prinzipieller Eingriff in die Technologie ist dafür jedoch nicht nötig“, bekräftigt Neckernuß die Machbarkeit. Langfristig hat das Team zum Beispiel die Detektion von Partikelverunreinigungen in Reinräumen im Blick. Erfolgreich getestet hat das Team bereits die Analyse von Öltröpfchen in Wasser. „Wir können eine große Anzahl von Tropfen in kurzer Zeit und mit hoher Genauigkeit analysieren und sortieren. Daraus könnte zum Beispiel ein Test-Setting für die Pharmaindustrie entwickelt werden“, sagt Neckernuß.
Die Partikelgröße ist insgesamt sehr variabel. „Die Untersuchung von Nanopartikeln funktioniert mit der Methode nicht, aber im Bereich von einem bis mehreren Hundert Mikrometern ist alles möglich“, betont Neckernuß. Im Dialog mit Interessenten wollen die Forscher ihre Technologie auch für spezielle praktische Anforderungen anpassen. Die Bandbreite an Möglichkeiten ist so groß und aussichtsreich, dass sie sich inzwischen entschlossen haben, ein Start-up zu gründen. „Wir arbeiten im Moment an entsprechenden Förderanträgen, suchen Investoren und entwickeln parallel die Technik weiter zur Marktreife“, so Neckernuß.