EMBL - Flaggschiff der europäischen Life Sciences
Als Europas bedeutendstes Forschungsinstitut in der biologischen Grundlagenforschung hat das Europäische Molekularbiologische Laboratorium (EMBL) seit seiner Gründung vor 40 Jahren Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Seine Mutterorganisation EMBO feiert 50-jähriges Jubiläum. Wissenschaftler von EMBL und EMBO haben die modernen Entwicklungen in den Life Sciences in Europa und darüber hinaus geprägt.
EMBL-Campus auf dem Boxberg in Heidelberg. Im Vordergrund das mit finanzieller Unterstützung durch die Klaus Tschira Stiftung 2010 fertiggestellte Advanced Training Centre.
© EMBL
Zum 40-jährigen Jubiläum hatte das Europäische Molekularbiologische Laboratorium (EMBL) in Heidelberg am 18./19. Juli 2014 zu einem Symposium und einer „Anniversary Reunion“ eingeladen, einem Wiedersehenstreffen zwischen ehemaligen und jetzt am EMBL tätigen Wissenschaftlern. Vorträge und Ehrungen fanden im Advanced Training Centre (ATC) statt, dem spektakulären, der DNA-Doppelhelix nachempfundenen Konferenzzentrum auf dem EMBL Campus hoch über Heidelberg.
Für die „Reunion“ der früheren und jetzigen Forschungsgruppen aber traf man sich, außer im ATC, am liebsten in der komfortablen, exzellenten Cafeteria. Für viele EMBL-Wissenschaftler stellt die Cafeteria das eigentliche Herz des Instituts dar. Verabredet oder auch zufällig finden sich hier die Wissenschaftler zusammen, um Forschungsprobleme und Ansätze zu ihrer Lösung zu diskutieren, und hier entstehen Kooperationen über einzelne Fachdisziplinen hinweg. Zahllose Forschungsprojekte sind in der Cafeteria geboren worden.
Erfolgsfaktoren
Im Bereich Molekularbiologie und Genetik steht das EMBL sowohl nach Anzahl der Veröffentlichungen in angesehenen Fachzeitschriften als auch nach der Zahl der Zitierungen pro Publikation in Europa unangefochten an erster Stelle; es befindet sich in einer Liga mit den besten amerikanischen Instituten wie dem Massachusetts Institute of Technology und dem Cold Spring Harbor Laboratory (Thomson Essential Science Indicators 1999-2009).
Professor Iain Mattaj, einer der weltweit führenden RNA-Forscher; 1999-2005 Scientific Director und seit Mai 2005 Director General des EMBL.
© EMBL
Eine Voraussetzung für den Erfolg ist die Interdisziplinarität. EMBL mit seinen heute 1.760 Mitarbeitern aus 60 Nationen hat etwa 85 unabhängige Arbeitsgruppen; zu den Forschern gehören Biologen verschiedenster Ausrichtungen, biomedizinische Wissenschaftler, Chemiker, Physiker, Mathematiker, Computerwissenschaftler und Ingenieure. Weitere Erfolgsfaktoren sind die flachen Hierarchien und der ungezwungene, kollegiale Umgang miteinander. Iain Mattaj, Director General des EMBL seit 2005, hält den Teamgeist für die wichtigste Trumpfkarte des Hauses. In der Regel müssen die Forscher spätestens nach neun Jahren das Institut verlassen; eine Lebensstelle gibt es nur in ganz seltenen Ausnahmen. Daher brauchen sich die Wissenschaftler nicht als Konkurrenten zu betrachten, die ihre Kenntnisse für sich behalten und eine eigene Hausmacht aufbauen wollen.
Entscheidend für die führende Position des EMBL in Europa waren aber die herausragenden Forscherpersönlichkeiten, die das Institut von Anfang an geprägt haben und die besten Nachwuchskräfte nach sich zogen. Iain Mattaj bezeichnet EMBL als eine „Service-Einrichtung“, die für die Mitgliedsstaaten der Institution die „Stars von morgen“ heranbildet. Im „EMBL International PhD Programme“ (EIPP) stehen pro Jahr 40 Doktorandenstellen zur Verfügung; um sie bewerben sich jährlich etwa 800 Nachwuchswissenschaftler aus der ganzen Welt.
Auch das für einen maximalen Aufenthalt von fünf Jahren ausgelegte, generös ausgestattete „EMBL Postdoctoral Programme“ ist heiß begehrt. Kreativität und Selbstständigkeit werden auch durch EIPOD (EMBL Interdisciplinary Postdocs) gefördert; dabei entwickeln die angehenden Spitzenwissenschaftler ihr eigenes interdisziplinäres Forschungsprojekt, das sie in zwei unterschiedlichen Labors an den fünf EMBL-Standorten Heidelberg, Hamburg, Cambridge (UK), Grenoble (Frankreich) oder Monterotondo (Italien) durchführen.
Die Entstehung von EMBO und EMBL
Sir John C. Kendrew (1917 bis 1997), Chemie-Nobelpreisträger 1962; Secretary General EMBO 1964 bis 1974; Director General EMBL 1974 bis 1982.
© EMBL
Das Konzept für ein internationales Laboratorium für Molekularbiologie in Europa entstand 1962 aus einer Diskussion zwischen dem Physiker und Molekularbiologen Leó Szilárd, dem Physiker Victor Weisskopf, damals Direktor des CERN in Genf (der ersten großen supranationalen Wissenschaftseinrichtung in Europa), sowie James Watson und John Kendrew, die beide in demselben Jahr den Nobelpreis erhielten: der eine in Medizin für die Doppelhelix-Struktur der DNA, der andere in Chemie für die dreidimensionale Struktur von Proteinen.
Heute umfasst EMBO ein Netzwerk von mehr als 1.500 der besten Wissenschaftler in Europa und darüber hinaus. Sie befassen sich mit der Erforschung der molekularen Lebensmechanismen auf allen Ebenen - von Einzelmolekülen bis zu Organismen und ganzen Ökosystemen. EMBO veranstaltet hochkarätige Workshops und Konferenzen und gibt renommierte Fachzeitschriften heraus, seine Kurse für junge Wissenschaftler sind berühmt und begehrt. Von EMBO verliehene Preise, wie der „Young Investigator Award“, sind für Nachwuchswissenschaftler die beste Referenz für eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere. Ihren Sitz hat die Organisation auf dem EMBL-Campus in Heidelberg; EMBO-Direktorin ist seit 2010 Maria Leptin (siehe BIOPRO-Artikel vom 14.11.2010: „Maria Leptin – eine Wissenschaftlerin an der europäischen Spitze“, Link oben rechts).
Professor Kenneth Holmes, Emeritus Scientific Member des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung, Heidelberg.
© MPImF
Es ist vor allem Kendrews Verdienst, dass, nach dem Vorbild von CERN, ein Vertrag zwischen neun europäischen Länder sowie Israel zustande kam, ein gemeinsames molekularbiologisches Forschungsinstitut zu betreiben. Außer dem Hauptlaboratorium in Heidelberg sollte es mehrere Außenstationen in anderen Ländern erhalten.
Neben der Grundlagenforschung und der wissenschaftlichen Fortbildung auf höchstem Niveau sollten Schwerpunkte auch auf die Entwicklung neuer Technologien und Instrumente und auf Serviceleistungen für die Mitgliedsstaaten gelegt werden; später kam als fünftes Aufgabengebiet noch der Technologietransfer hinzu. Mit der Ratifizierung durch Frankreich am 4. Juli 1974 wurde der Vertrag rechtskräftig; dieses Datum gilt als eigentlicher Geburtstag von EMBL, dessen 40. Jahrestag jetzt gefeiert wird. Die Zahl der Mitgliedsstaaten ist bis heute auf 21 europäische Länder (nicht nur aus der Europäischen Union) plus Israel gestiegen; hinzu kommen als Assoziierte Mitglieder Australien und Argentinien.
Emeriti und Alumni
Dass die Wahl für den Standort des Hauptlaboratoriums auf Heidelberg fiel, war auch der stolzen Tradition biologischer Grundlagenforschung am Ort geschuldet. Ein besonderes Verdienst daran hatten das Max-Planck-Institut (MPI) für medizinische Forschung und hier vor allem eine Person: Kenneth Holmes, ein Pionier in der Anwendung von Röntgen- und Synchrotronstrahlung für biologische Strukturanalysen, der noch mit Rosalind Franklin in Cambridge zusammengearbeitet hatte (auf deren Daten Watson und Crick ihr DNA-Doppelhelix-Modell begründeten) und der 1971 nach Heidelberg gekommen war.
Professor Giulio Superti-Furga, Mitgründer von Cellzome, Wissenschaftlicher Direktor des CeMM (Research Center for Molecular Medicine), Wien.
© CeMM
Als Zeuge der denkwürdigen Entstehungszeit der Molekularbiologie hielt Holmes, Emeritus Scientific Member des MPI, jetzt beim EMBL Anniversary Symposium einen Festvortrag. Zu Ehren seines Gründervaters verleiht EMBL jährlich den „John Kendrew Award“ an junge ehemalige EMBL-Wissenschaftler mit exzellenten Leistungen nach ihrem Weggang vom Institut.
Der beim Symposium verliehene Preis für dieses Jahr ging an Martin Jinek von der Universität Zürich; den Festakt leitete Giulio Superti-Furga, der Vorsitzende der EMBL Alumni-Association. Der Proteomforscher und Systembiologe Superti-Furga war in den 1990er Jahren Forschungsgruppenleiter am EMBL gewesen. Im Jahr 2000 wurde er Mitgründer und Wissenschaftlicher Direktor von Cellzome, dem erfolgreichsten Spin-off-Unternehmen aus dem EMBL. Heute gehört Cellzome zum Pharmakonzern GlaxoSmithKline. Der gebürtige Italiener Superti-Furga ist seit 2005 Wissenschaftlicher Direktor des Forschungszentrums für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.
Professor Kai Simons, Director Emeritus des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden.
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Die Laudatio zur Verleihung des John Kendrew Award hielt Kai Simons, der selbst - ausgehend von der Erforschung des Semliki-Forest-Virus (einem tropischen RNA-Virus von Nagetieren) - grundlegende Prinzipien der Membranbiologie und der Transportvorgänge in der Zelle entdeckt hatte. Simons war schon 1975 ans EMBL gekommen und hatte dort eine Arbeitsgruppe aufgebaut, deren Mitglieder später über die Welt verstreut als namhafte Forscher tätig wurden. Viele von ihnen trafen sich jetzt bei der Gruppen-Reunion im ATC wieder, darunter Ari Helenius (heute Professor für Biochemie an der ETH Zürich), Gerrit van Meer (jetzt in Utrecht) und Karl Matlin (in Chicago). Als Koordinator des Zellbiologie-Programms prägte Simons das EMBL über viele Jahre. 1998 ging er als Gründungsdirektor des neuen Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik nach Dresden.
Neue Technologien
EMBL hat die biologische Grundlagenforschung und die moderne biomedizinische Anwendung auf vielen Gebieten durch die Entwicklung neuartiger Technologien und Geräte vielfältig befruchtet - so auf den Gebieten der Nukleinsäuresequenzierungen und der Bioinformatik, der Proteomforschung und der Licht- und Elekronenmikroskopie. Über aufregende, aus neuartigen Genomanalysen abgeleitete Befunde zur Entstehung bestimmter Krebsformen berichtete Jan Korbel (s. zum Beispiel BIOPRO-Artikel vom 14.07.2014: „Aktivierung von Krebsgenen durch Fernsteuerung“; s. Link oben rechts).
Am technologischen Fortschritt und den Erfolgen hatte Christian Boulin, der langjährige Direktor der Abteilung „Core Facilities and Services“, wesentlichen Anteil. Schon 1976 war er ans EMBL gekommen und hatte fast die gesamte vierzigjährige Entwicklung des Instituts miterlebt und mitgestaltet. Eng verbunden war er auch mit EMBL-EBI, dem European Bioinformatics Institute in Cambridge (UK), und mit den EMBL-Außenstationen für Strukturbiologie in Hamburg und in Grenoble. Christian Boulin starb am 27. April 2014.
So blieb es Rainer Pepperkok, dem Leiter der „Advanced Light Microscopy Facility“ (s. BIOPRO-Artikel vom 18.03.2013: „Funktionsnachweis von Genen bei der Cholesterin-Regulation“; s. Link oben rechts), sowie Matthias Mann vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, einem ehemaligen EMBL-Mitarbeiter und weltberühmten Proteomforscher, vorbehalten, Boulins Verdienste zu würdigen und die technologischen Möglichkeiten von EMBLs Neuentwicklungen aufzuzeigen.