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Evidenz in der personalisierten Medizin

Für eine personalisierte Medizin, die kranken Menschen die für sie richtigen Medikamente und eine maßgeschneiderte Therapie verspricht, braucht man Biomarker als objektive Messgrößen, um die individuellen Risikoprofile zu ermitteln. Nicht immer ist evident, welche Rolle die durch genetische Tests gefundenen Merkmale im Kausalmechanismus von Krankheiten spielen und ob sie Ansätze für therapeutische Maßnahmen bieten können.

Drugs Don’t Work – Hilft personalisierte Medizin? © The Council on Alcohol and Drugs, Inc.

Die großen Sequenzierprojekte wie das Internationale Krebsgenomprojekt, die gegenwärtig mit atemberaubender Geschwindigkeit und hohen Kosten vorangetrieben werden, sollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass jeder Patient die für ihn am besten geeignete Therapie mit den wirksamsten Medikamenten in der richtigen Dosis erhält. In allen Krankheitsfällen, in denen bisher keine oder nur unzureichende Biomarker für eine Therapieentscheidung zur Verfügung stehen (und das ist die große Mehrheit der Fälle) könnten sich aus der Analyse des Genoms, einschließlich des Epigenoms und Transkriptoms, die Patienten identifizieren lassen, die von dem Medikament profitieren. Den anderen erspart man die Einnahme und die oft unangenehmen Nebenwirkungen des Medikaments - und so spart man auch Kosten. Das gefürchtete Statement „The drugs don't work" wird es dann nicht mehr geben.

Das jedenfalls sind die Verheißungen der individualisierten Medizin – von ihren Befürwortern heute meist etwas bescheidender „personalisierte Medizin“ genannt. Denn es geht weniger darum, für jedes Individuum eine eigene Behandlungsform zu finden als vielmehr eine auf einzelne Personengruppen zugeschnittene Therapie. Nicht nur zur präzisen Diagnose und einer maßgeschneiderten Therapie sollen die Biomarker im Genom verhelfen, durch die Bestimmung von Risikoprofilen könnten sie auch die Prävention von Krankheiten entscheidend voranbringen: Zum Beispiel könnte man den (noch) gesunden Personen vorhersagen, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit an koronarer Herzkrankheit oder Diabetes mellitus erkranken werden; daraufhin veränderten diese ihre Essgewohnheiten, hörten auf zu rauchen und blieben gesund.

Neubewertung der Richtlinien

12. Jahrestagung des DNEbM, 24.-26.03.2011 © DNEbM

Wie hilfreich sind aber für den Betroffenen die „Biomarker-basierten prädiktiv-probabilistischen Gesundheitsinformationen" wirklich? Helfen sie, eine der Gesundheit abträgliche Lebensweise zu ändern, Krankheiten zu verhindern oder ihren Verlauf günstig zu beeinflussen? Sparen sie tatsächlich Kosten oder wird unter dem Etikett der personalisierten Medizin eine Gesundheitswirtschaft gefördert, für die der Umsatz wichtiger ist als der Patient?

Mit derartigen Fragen beschäftigt sich die zwölfte Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (DNEbM), die vom 24. bis 26. März 2011 unter dem Hauptthema „Evidenz und individualisierte Medizin" veranstaltet wird.

Die Evidenzbasierte Medizin (EBM) ist die Grundlage für die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses, des obersten Beschlussgremiums der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern und Krankenkassen in Deutschland. Er bestimmt die Richtlinien für den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung, nach dem diese die Kostenerstattung der medizinischen Versorgung festlegt. Maßgeblich für die Richtlinien der EBM sind die etablierten Methoden des Nachweises der klinischen Wirksamkeit entsprechend den Kriterien „ausreichend - zweckmäßig - wirtschaftlich - notwendig".

Offenkundig müssen diese Kriterien der EBM in der personalisierten Medizin neu durchdacht und bewertet werden; beispielsweise gelten für die Wirtschaftlichkeit neuer wirksamer Therapeutika in der personalisierten Medizin andere Bedingungen als in der herkömmlichen Medizin. Auch die Entscheidung, wie groß die Zahl der Probanden oder Patienten für die klinischen Studien sein sollte - eine der wichtigsten Grundlagen für den Wirksamkeitsnachweis des Medikaments - muss unter neuen Gesichtspunkten geregelt werden. 

Prädiktive Diagnostik bei erblichem Krebs

Lokalisation des BRCA1-Gens auf Chromosom 17 © NIH
Die größten Erfolge für das Konzept der personalisierten Medizin auf der Grundlage von Biomarkern erhofft man sich im Bereich der Onkologie. Um welchen Tumortyp oder -subtyp es sich handelt und ob gewisse Medikamente überhaupt ansprechen können, lässt sich oft nur anhand des genetischen Profils erkennen. Auch heute schon werden in den großen Kliniken Tests auf genetische Marker bei Brustkrebs, bestimmten Formen von Lungen-und Darmkrebs oder Leukämien routinemäßig vorgenommen, bevor man eine „zielgerichtete Therapie“ (targeted therapy) mit neuen Medikamenten wie Trastuzumab (Herceptin), Cetuximab (Erbitux) oder Imatinib (Glivec) durchführt. Die Bestimmung individueller Risikoprofile durch Biomarker ist nicht unproblematisch, wie sich am Beispiel der erblichen Form von Brustkrebs zeigt. Vor zwanzig Jahren hatte die amerikanische Genetikerin Mary-Claire King das auf dem Chromosom 17 lokalisierte BRCA1-Gen identifiziert, dessen Mutation mit einer stark erhöhten Häufigkeit von Brustkrebs assoziiert ist. Es handelt sich ebenso wie bei dem etwas später entdeckten als BRCA2 bezeichneten Gen auf dem Chromosom 13 um ein Tumorsuppressor-Gen. Bei etwa fünf Prozent aller Brustkrebsfälle liegt eine erbliche (familiäre) Form vor; an den meisten dieser Fälle sind BRCA1 oder BRCA2 beteiligt.
Prof. Dr. Claus Bartram, Institut für Humangenetik, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg © Uniklinikum Heidelberg

Trägerinnen der relevanten Mutationen in diesen Genen haben auch ein erhöhtes Risiko, an Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom) zu erkranken. Vor kurzem wurde von einer deutschen Forschergruppe ein weiteres Risikogen (RAD51C) für erblichen Brust- und Eierstockkrebs entdeckt (Meindl et al., Nature Genetics, 18.04.2010). Bei diesen Tests geht es nicht um Heilung oder Therapie der Krankheit, sondern um prädiktive  (voraussagende) Diagnostik, die schwerwiegende Konsequenzen für das weitere Leben haben kann und deswegen nur unter sensitiver fachlicher Betreuung erfolgen sollte. Die Deutsche Krebshilfe hat dazu in Deutschland zwölf „Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs" eingerichtet, an denen Patientinnen und Ratsuchende aus belasteten Familien die Möglichkeit haben, ausführliche Gespräche über die Erkrankungswahrscheinlichkeit, die Aussagekraft der diagnostischen Tests, die klinischen Konsequenzen und die psychologischen Probleme zu führen. An dem Heidelberger Zentrum  für Familiären Brust- und Eierstockkrebs sind neben der Frauenklinik und der Psychosomatischen Klinik der Universität das Institut für Humangenetik (Geschäftsführender Direktor Prof. Dr. Claus Bartram) mit dem Bereich „Molekulare Diagnostik bei familiären Krebserkrankungen" beteiligt.

Kausalitätsbeziehung zwischen Genotyp und Phänotyp

In dem „Zukunftsreport Individualisierte Medizin und Gesundheitssystem“ des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung an den Deutschen Bundestag (Drucksache 16/12000 vom 17. 02. 2009) heißt es, dass Biomarker objektive Messgrößen sind, die zur „Bewertung von normalen biologischen Prozessen, von pathologischen Prozessen, von pharmakologischen Reaktionen auf eine therapeutische Intervention oder von Reaktionen auf präventive oder andere Gesundheitsinterventionen“ erhoben werden können. Diese Bewertung ist bei Gentests zum familiären Brustkrebs nur mit Einschränkungen möglich, denn gegenwärtig lässt sich kaum vorhersagen, wie sich die jeweiligen Mutationen auf das Erkrankungsrisiko oder auf das klinische Bild auswirken können.

Die Beziehungen zwischen Genotyp und Phänotyp sind ein weites und noch weithin unbekanntes Gebiet. Der Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin, Professor Dr. David Klemperer, betont in seinem Grußwort zum EbM-Kongress 2011: „Krankheit und Gesundheit sind Ergebnisse eines jeweils einzigartigen Kausalmechanismus, der aus biologischen, psychischen und sozialen Kausalfaktoren besteht.“ Welche Bedeutung die durch Biomarker bezeichneten Merkmale in diesem Kausalmechanismus spielen, ob es sich dabei um notwendige oder gar hinreichende Kausalfaktoren handelt und ob sie daher Ansatzpunkte für effektive Interventionen bieten können, muss geprüft werden.

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