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Evolution von Lichtsignal-Netzwerken

Je nach Lichtbedingungen entwickeln sich genetisch identische Pflanzen sehr verschieden. Im Dunkel streckt sich die Pflanze in die Länge, um das für die Photosynthese benötigte Sonnenlicht zu erreichen. Gelingt dies, wechselt sie zu einem anderen Entwicklungsprogramm, sie ergrünt und baut den Photosyntheseapparat auf. Prof. Dr. Andreas Hiltbrunner vom Institut für Biologie II der Universität Freiburg möchte wissen, wie der durch Licht ausgelöste Übergang zwischen den beiden Entwicklungsprogrammen reguliert wird. Zusammen mit dem Systembiologen Dr. Christian Fleck von der Universität Wageningen in den Niederlanden und dem Molekularbiologen Dr. Enamul Huq (Universität Texas, USA) will er evolutionäre Schlüsselfaktoren ergründen, wie Lichtwahrnehmung und das daraus resultierende Wachstum in Pflanzen entstanden sind. Für das Projekt, das ab Herbst startet, erhielt er eine HFSP-Forschungsförderung (Human Frontier Science Programm) von über einer Million US-Dollar.

Die Modellorganismen Ackerschmalwand (Arabidopsis) und Kleines Blasenmützenmoos (Physcomitrella) © Prof. Dr. Andreas Hiltbrunner, Universität Freiburg

Je nach Helligkeit und spektraler Zusammensetzung löst Licht in Pflanzen verschiedene Reaktionen aus. Phytochrom A und B sind pflanzliche Proteine, die das Licht wahrnehmen und Reaktionen in Gang bringen, so, wie es beim Menschen die Sehpigmente tun. Prof. Dr. Andreas Hiltbrunner von der Universität Freiburg und seine Kollegen untersuchen, wie die Signaltransduktion nach Lichteinfall in der Modellpflanze Arabidopsis (Ackerschmalwand) abläuft.

„Wir interessieren uns vor allem für die Phytochrome“, sagt der Pflanzenphysiologe, „in letzter Zeit hat man herausgefunden, dass sie in den Kern transportiert werden, nachdem sie durch Licht aktiviert wurden.“ Phytochrom A (PHYA) hat für den Transfer zwei Helferproteine, FHY1 und FHY1-like, die einander sehr ähnlich sind, da sie beide eine Bindestelle für das Pigment sowie eine Kernlokalisierungssequenz aufweisen. Ohne die zwei Transporter gelangt fast kein Phytochrom A in den Kern. Bei Phytochrom B ist der Mechanismus anders: Hier helfen wahrscheinlich Transkriptionsfaktoren, sogenannte PIFs (Phytochrom interagierende Faktoren) dem Photorezepor in den Kern, wo er zum Beispiel die Expression bestimmter Wachstumsgene regulieren kann.

Jeder Photorezeptor hat sein eigenes Absorptionsmaximum. Er absorbiert eine spezifische Wellenlänge des Lichtes und damit Farbe, in welcher er seine maximale Antwort zeigt - theoretisch. Doch die Realität kann anders aussehen: Analysiert man Phytochrom A im Spektrophotometer, so ist seine Absorption im Rotlicht am stärksten, seine Wirkung ist dagegen im Dunkelrotlicht maximal.

Zu sehen ist ein Schema, das die Signaltransduktion nach Lichteinfall darstellt
Signaltransduktion nach Lichteinfall: aktives PHYA (Pfr) wird von FHY1 (F) in den Kern transportiert. PIFs inhibieren durch Licht induzierte Antworten. HY5, HFR1 und LAF1 mit positiver Wirkung auf lichtabhängige Antworten, werden im Dunkel durch einen Komplex aus COP1 und SPA abgebaut. Im Licht interagiert PHYA mit PIFs im Kern und bewirkt so deren Abbau, wodurch Antworten auf Licht nicht mehr inhibiert werden. Gleichzeitig inaktiviert PHYA den COP1-SPA-Komplex, weshalb HY5, HFR1 und LAF1 stabilisiert werden und Antworten auf Licht verstärken. © Prof. Dr. Andreas Hiltbrunner, Universität Freiburg

HIR – Ein Forscher(alb)traum

Ein bereits seit Langem bekanntes Phänomen, das die Forscher jedoch seither rätseln lässt, ist die Hochintensitätsreaktion (HIR für High-irradiance Response). „Vom Photorezeptor her müsste die Antwort im Rotlicht am stärksten sein“, erklärt Hiltbrunner, wenn nämlich das Pflänzchen im Licht angekommen ist und seine Blätter entwickeln kann, „beim PHYA ist es aber so, dass sie im Dunkelrot maximal ist.“ Im Schatten anderer Pflanzen ist der Dunkelrotanteil viel höher als im Sonnenlicht, weil das Rotlicht hier durch das Chlorophyll der Blätter absorbiert wird. Evolutionsbiologisch betrachtet haben höhere Pflanzen mit PHYA die Fähigkeit erworben, auf dunkelrotes Licht zu reagieren und sich an schattigen Orten zu etablieren, was ein enormer Selektionsvorteil sein kann.

Die Frage, warum sie dafür einen Photorezeptor benutzen, der sein Maximum im Hellrot hat, ist Forschungsgegenstand des Teams um Hiltbrunner. Immer ging man davon aus, dass PHYA mit seinem Kerntransport über FHY1 evolutionsgeschichtlich spät entwickelt wurde und nur in Samenpflanzen existiert. Ebenso betrachtete man die PHYB-Wechselwirkung mit den PIFs als recht junge Erfindung der Natur. Als Beweis sah man die Tatsache, dass es in Kryptogamen wie Moosen und Farnen kein Phytochrom A und B gibt. Ganz so einfach ist es jedoch nicht, denn: „Interessanterweise hat man gefunden, dass es auch in dem Moos Physcomitrella ein FHY1-Protein gibt“, eröffnet der Pflanzenexperte, „und von diesem hängt ebenfalls ab, ob die Pytochrome 1 und 3 aus dem Cytosol in den Kern transportiert werden.“

Dass das FHY1 aus Physcomitrella (Kleines Blasenmützenmoos) dieselbe Funktion hat wie in Arabidopsis, zeigt sich unter anderem dadurch, dass es die fhy1-Mutante der Ackerschmalwand zu kompensieren vermag. In Hiltbrunners AG wird derzeit getestet, ob auch die PIFs in dem Modellorganismus Physcomitrella existieren und ob sie hier zudem eine Rolle in der lichtvermittelten Signaltransduktion spielen. Laut Hiltbrunner sieht es stark danach aus.

Jonglieren mit Schlüsselfaktoren

Eine zentrale evolutionäre Frage Hiltbrunners lautet: Was war zuerst da, Phytochrom A oder die HIR? Nun mehren sich die Hinweise, dass es auch die Verschiebung der Pigmentantwort in den Dunkelrotbereich bereits bei Physcomitrella gibt, wo gar kein PHYA vorhanden ist. Es scheint, als hätte sich das System zweimal unabhängig voneinander entwickelt. Es kann aber auch sein, dass es ein Ur-Phytochrom gab, das diese Fähigkeit zur HIR hatte und das über ein FHY1 in den Kern transportiert werden musste. Als sich Moose, Farne und Samenpflanzen dann in der Evolution voneinander trennten, entstanden in den Samenpflanzen wie der Ackerschmalwand Phytochrom A und B, wobei B die Eigenschaften verlor und dafür neue entwickelte. Wäre dies der Fall, hätte sich, wie Hiltbrunner vermutet, die HIR im letzten gemeinsamen Vorfahren von Kryptogamen und Samenpflanzen entwickelt und HIR wäre sehr viel älter als das PHYA.

Im Projekt, das im September startet, möchte Hiltbrunner zusammen mit dem Pflanzenbiologen Dr. Enamul Huq und dem Systembiologen Dr. Christian Fleck diesen Fragen auf den Grund gehen - unter anderem mit mathematischen Modellen. Denn auf der Suche nach Schlüsselfaktoren in der Evolution von Photorezeptoren und ihren Eigenschaften stellt man fest, dass es viele von ihnen nicht nur in der Ackerschmalwand, sondern wohl auch schon im Blasenmützenmoos gab. Hiltbrunner meint dazu: „Ich wäre überrascht, wenn in Arabidopsis und Physcomitrella unterschiedliche Lichtantworten durch Faktoren zustande kämen, die der eine Organismus hat und der andere nicht. Ich glaube eher, dass der Schlüssel die Interaktionen zwischen den Faktoren sind.“

Mit Systembiologie die Evolution verstehen

Für die Computermodelle lassen sich bestimmte Parameter definieren, die Hiltbrunner aus der Pflanzenrealität kennt oder bestimmen will. Sei es die Syntheserate des Phytochroms, wie es in die aktive Form umgewandelt wird, oder wie schnell ein Komplex mit FHY1 zustande kommt und wieder dissoziiert. Bringt man diese Faktoren in virtuelle Netzwerke, können sie potenzielle Signalwege darstellen, die zu spezifischen Lichtantworten führen. „Wir versuchen, einzelne Parameter zu messen, mit denen die Mathematiker Modelle erstellen und testen können“, verdeutlicht Hiltbrunner, „in einem zweiten Schritt können die Theoretiker mit Hilfe der Modelle dann vorhersagen, welche Faktoren und Interaktionen innerhalb des Netzwerks besonders wichtig sind und während der Evolution verändert worden sein könnten.“ Hiltbrunner geht dann zurück an die Pflanze, generiert Mutationen, untersucht diese und sieht, ob das Modell mit der Wirklichkeit konsistent ist. Dabei will er ein ganz besonderes Augenmerk auf die Beziehung der Molekularbiologie und der Ökologie legen, auf der die Selektion stattfindet. „Wenn eine Mutante im Labor überlebt, heißt es noch nicht, dass sie es unter ökologisch relevanten Bedingungen auch tut“, sagt Hiltbrunner.

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