Exotische Erkrankungen aus dem Schatten führen - Teil 1
Es gibt Krankheiten, die so selten sind, dass nur Betroffene oder Spezialisten sie kennen. Patienten, die im Schatten der großen Volksleiden wie Diabetes oder Alzheimer leben und verzweifeln, aber auch Mediziner und Wissenschaftler, kämpfen um das Interesse der Öffentlichkeit, der Pharmaindustrie und der Forschungspolitik. Im Februar fand in Freiburg ein internationaler Kongress zum Thema „Seltene Erkrankungen“ statt. Die BIOPRO Baden-Württemberg sprach am Rande der Veranstaltung mit dem Direktor des Centrums für Chronische Immundefizienz (CCI) Freiburg, Professor Dr. Bodo Grimbacher, und dem Kinderarzt und Humangenetiker Professor Dr. Maximilian Muenke vom National Human Genome Research Institute (NHGRI) in den USA - zwei Experten, die sich unter anderem mit seltenen Erkrankungen beschäftigen. Lesen Sie im ersten Teil des Interviews was seltene Erkrankungen sind und wie die Forschung in diesem Bereich finanziert wird.
Prof. Dr. Bodo Grimbacher
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BIOPRO: Herr Professor Grimbacher, was ist die Definition einer seltenen Erkrankung?
Grimbacher: Der Rare Disease Act von 2002 und der US Orphan Drug Act definieren eine seltene Erkrankung als eine, von der weniger als 200.000 lebende Patienten in den USA betroffen sind. Das entspricht etwa einer Prävalenz von 1/1.500. Nach der in Europa gültigen Definition ist eine Erkrankung "selten", wenn weniger als einer von 2.000 Menschen an einer bestimmten Krankheit leidet. In meinem Labor erforsche ich alle Erkrankungen, die das Immunsystem durcheinanderbringen. Insbesondere suche ich nach Genen, die Immundefizienz verursachen, die Autoimmunität hervorrufen, oder Entzündung dysregulieren. Bei 23.000 menschlichen Genen gibt es somit eine Vielzahl von Krankheiten, die auftreten können. Heute sind rund 6.000 Erkrankungen als sogenannte „Seltene Erkrankungen“ anerkannt.
In Ihrem Vortrag ist deutlich geworden, dass die genetischen Defekte bei den von Ihnen untersuchten Erkrankungen des Immunsystems sehr komplex sein können. Gleichzeitig schien es so, dass Sie händeringend nach Patienten suchen, um die zugrunde liegenden genetischen Defekte untersuchen zu können. Es geht um einzelne Familien aus Algerien, Iran, Südamerika. Welche Probleme stellen sich einem Wissenschaftler, der seltene Erkrankungen erforscht?
Grimbacher: Wenn ich zum Beispiel Diabetes, also eines der Volksleiden, erforsche, dann kann ich hier in Deutschland bleiben, dann habe ich genug Patienten, um diese Krankheit zu untersuchen. Im Falle einer seltenen Erkrankung reicht es nicht aus, nur nationale Netzwerke zu spinnen, sondern man muss tatsächlich weltweit operativ sein. Das ist schwierig, denn man muss ja nicht nur viele Institute begeistern, sondern auch auf unterschiedliche Ethikkommissionen eingehen.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Eine iranische Familie von einem meiner Kollegen am National Institutes of Health (NIH) in den USA untersucht zu bekommen, war zunächst politisch nicht möglich. Er brauchte eine Sondergenehmigung, die er beim NIH erwirkt hat, um mit den iranischen Kollegen kollaborieren zu dürfen. Immerhin gibt es nun Publikationen, in denen amerikanische und iranische Ärzte und Wissenschaftler zusammengearbeitet haben. Und wir arbeiten aktuell an einer Publikation, in der Daten von israelischen und iranischen Familien gemeinsam publiziert werden. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber noch im Jahr 2005 durften amerikanische Wissenschaftler nicht auf Wissenschaftskongresse im Iran reisen. Und dann gibt es natürlich auch logistische Schwierigkeiten. Frische Zellen aus dem Iran nach Deutschland oder nach London zu transportieren, braucht mindestens 72 Stunden, und dann sind die Zellen schon so alt, dass man manche Versuche gar nicht mehr machen kann. Was uns bei der Publikation unserer Entdeckungen außerdem häufig Kopfschmerzen bereitet, ist die Tatsache, dass nicht erkannt wird, dass diese Fälle so selten sind. Die Kollegen stellen dann immer die Frage, warum wir die Versuche nur an zwei Patienten und nicht an allen Patienten mit Mutationen durchgeführt haben.
Prof. Dr. Maximilian Muenke
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Herr Professor Muenke, Sie sind ausgebildeter Kinderarzt und Humangenetiker und untersuchen in den USA Störungen in der Entwicklung des kindlichen Gehirns. Wie sieht es in Ihrem Falle mit der Finanzierung aus?
Muenke: Dadurch dass ich am National Institute of Health arbeite, gibt es neben externen Projektgeldern auch die Möglichkeit einer internen Finanzierung. Das sieht dann so aus, dass man sich alle vier Jahre am NIH für das Geld bewirbt und damit dann ein Budget hat, von dem man die Gehälter und das Labormaterial und die Geräte bezahlen kann. Man muss dann jeweils schauen, welche Projekte man mit diesem Geld finanziert. Ob man einen Teil davon also für die Forschung an einer seltenen Erkrankung ausgibt. Und nach vier Jahren muss man dann wieder neue Anträge stellen. Wenn man in den USA an der Universität arbeitet, dann kann man einen Teil des Geldes beim NIH beantragen, den Rest muss man bei privaten Geldgebern einwerben, wie zum Beispiel dem Howard Hughes Medical Institute.
Wie sieht das in Deutschland und in Europa aus?
Grimbacher: Für Diabetes oder koronare Herzerkrankungen gibt es viele Geldgeber, auch private. Es ist zum Beispiel auch leichter, bei Stiftungen ein Krebsprogramm durchzukriegen als ein Programm für seltene Erkrankungen. Es ist ein Problem, überhaupt Forschungsgelder für Rare Diseases zu aquirieren. Um das zu kompensieren, hat die EU beschlossen, zwar einen Fokus auf häufige Erkrankungen zu legen, aber daneben auch Rare Diseases zu fördern. Und in den letzten Jahren gibt auch das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung mehr Geld für seltene Erkrankungen aus. Ähnlich ist es in anderen europäischen Ländern. Darüber sind wir natürlich sehr dankbar.
zu Teil 2 des Interviews