Experimenteller Nachweis von Metastasen-Stammzellen
Erstmals wurden im Blut von Brustkrebspatientinnen zirkulierende Krebszellen nachgewiesen, die tatsächlich Tochtergeschwülste auslösen können. Dies konnten Heidelberger Wissenschaftler mit einem In-vivo-Xenograft-Modell der Maus zeigen. Die Metastasen-initiierenden Zellen zeigen Merkmale von Krebsstammzellen; sie weisen drei Oberflächenproteine auf, die als Biomarker für den Krankheitsverlauf dienen können.
Hauptursache für die Krebssterblichkeit ist nicht der ursprüngliche Tumor (Primärtumor), sondern das Wachstum seiner Metastasen in anderen Organen. Metastasen entstehen, indem sich Krebszellen vom Primärtumor ablösen, im Blut oder in der Lymphe zirkulieren (engl.: circulating tumor cells; CTCs), sich in anderen Körperteilen festsetzen und nach einer Ruhepause, die Monate oder Jahre dauern kann, aus zunächst winzigen Mikrometastasen heraus große Tochtergeschwülste bilden, die oft nicht mehr behandelbar sind und zum Tod des Patienten führen.
Selbst kleine Primärtumoren können metastasieren; beispielsweise findet man bereits bei jedem fünften Brustkrebs von einem Zentimeter Durchmesser Metastasen. Diese siedeln sich häufig im Knochen an. Warum bestimmte Tumorarten spezifische Organe bevorzugen, ist bisher wenig verstanden.
Zirkulierende Tumorzellen und Krebsstammzellen
Stammzellen im Stickstofflager
© HI-STEM
Im Blut zirkulierende CTCs lassen sich mit bestimmten Biomarkern nachweisen. Studien haben gezeigt, dass Brustkrebspatientinnen, bei denen viele CTCs gefunden wurden, eine schlechte Krankheitsprognose haben. Einen direkten experimentellen Nachweis, dass aus CTCs Metastasen entstehen, gab es bisher aber nicht. So entwickeln auch viele Patientinnen, bei denen man CTCs im peripheren Blut nachweisen kann, keine Metastasen.
Wie Prof. Dr. Andreas Trumpp, Leiter der Abteilung für Krebs und Stammzellen am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Geschäftsführer des Heidelberger Instituts für Stammzelltechnologie und Experimentelle Medizin (HI-STEM gGmbH) am DKFZ, darlegte: „Wir waren davon überzeugt, dass unter den verschiedenen zirkulierenden Tumorzellen nur einige wenige in der Lage sind, eine neue Tochtergeschwulst in anderen Organen zu bilden.“ Diese kleine Subpopulation von Metastasen-initiierenden Zellen (metastasis initiating cells, MICs), für die man die Therapieresistenz und Mobilität von Krebsstammzellen postulierte und die man daher auch als Metastasen-Stammzellen bezeichnet, galt es zu finden.
Ruhende Stammzellen sind therapieresistent
Der international renommierte Stammzellforscher Trumpp hatte in den letzten zehn Jahren wesentlich dazu beigetragen, der Krebsstammzell-Theorie zum Durchbruch zu verhelfen. Diese besagt, dass der Tumor hierarchisch organisiert ist und oft nur wenige Krebsstammzellen für das Wachstum des Tumors verantwortlich sind.
Solche Krebsstammzellen, die man zunächst bei Leukämien, inzwischen aber bei vielen Tumorarten nachgewiesen hat, verstecken sich – ähnlich wie normale Stammzellen – in einer speziellen Mikroumgebung (der sogenannten Stammzellnische - häufig im Knochenmark) und liegen meist im Ruhezustand vor, das heißt, sie teilen sich äußerst selten. Daher sind sie gegen antiproliferative Chemotherapien resistent. Das erklärt auch, warum Chemotherapien anfangs oft erfolgreich verlaufen und Primärtumoren, deren große Zellmasse nicht oder kaum resistent ist, zurückgebildet werden. Wenn es jedoch - oft erst nach Jahren - zu einem von Krebsstammzellen gebildeten Rückfall oder zu Metastasen kommt, versagt die Therapie (siehe Link rechts, Artikel "Metastasen-induzierende Krebsstammzellen" vom 11.05.2009).
Ein Transplantationstest zum Nachweis von MICs
Dr. Irène Baccelli
© HI-STEM
Um zirkulierende Krebszellen im Blut auf ihre Fähigkeit zur Metastasierung zu testen, hatten Trumpp und sein Kollege Klaus Pantel vom Institut für Tumorbiologie des Universitätsklinikums Hamburg ein neuartiges funktionales Xenograft-Modellsystem konzipiert. Mit diesem können speziell markierte Krebszellen aus dem Blut von Brustkrebspatientinnen direkt ins Knochenmark von immundefizienten Mäusen transplantiert werden. Später gebildete humane Metastasen können dann durch ein nicht-invasives Monitoring in diesem In-vivo-Tiermodell nachgewiesen werden.
Zuvor aber mussten die CTCs mit den potenziellen MICs aus dem Blut der Patientinnen gewonnen werden. Dr. Irène Baccelli aus Trumpps Forschungsgruppe am HI-STEM isolierte Tumorzellen anhand bestimmter Oberflächenmarker aus dem Blut von über 350 Patientinnen mit Brustkrebs und transplantierte sie in das Oberschenkelknochenmark der Mäuse. Die Patientenproben und klinischen Daten wurden von Professor Dr. Andreas Schneeweiss und seinen Mitarbeitern am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg zur Verfügung gestellt. Histologische Analysen wurden von Wilko Weichert am Pathologischen Institut des Universitätsklinikums Heidelberg durchgeführt.
Tatsächlich entwickelten einige wenige Tiere nach der Transplantation Metastasen in Knochen, Lunge und Leber. Durch Immunhistochemie mit humanspezifischen Antikörpern wurde nachgewiesen, dass sie von den Tumorzellen der Frauen abstammten. Damit war der Nachweis erbracht, dass sich unter den im Blut zirkulierenden Tumorzellen auch Metastasen-initiierende Zellen befinden. Im weiteren Verlauf der Arbeiten analysierten Baccelli und ihre Kollegen die Moleküle der Zelloberfläche bei dieser MIC-Population.
Prognostische Biomarker
Zirkulierende Tumorzellen aus dem Blut von Brustkrebspatientinnen, die eine Metastase im Knochenmark der Mäuse bilden. Der Stammzellmarker CD44 ist rot gefärbt.
© Irène Baccelli, DKFZ
Ein charakteristisches Protein von Brustkrebs-Stammzellen ist das Oberflächenantigen CD44. Mit seiner Hilfe setzen sich die Zellen im Knochenmark fest. Baccelli fischte zunächst aus den CTCs der Patientinnen die CD44-positive Zellpopulation heraus, die dann auf weitere Oberflächenmarker durchsucht wurde. Dazu gehörten unter anderem das Signalprotein CD47, das für die Abwehr von Immunzellen verantwortlich ist, sowie MET, ein Membranrezeptor, der am invasiven Wachstum von Tumoren und ihrer Ausbreitung im Körper beteiligt ist.
Mit modernsten Fluoreszenz-aktivierten Zellsortern (FACS®) konnten die Forscher CTC-Subpopulationen isolieren, die gleichzeitig alle drei Merkmale – CD44, CD47, MET – exprimierten. Die erneute Prüfung im Xenograft-Test auf ihre Metastasierungsfähigkeit zeigte, dass es sich bei diesen dreifach positiven Zellen tatsächlich um MICs, die gesuchten Metastasen-Stammzellen, handelt.
Neue therapeutische Ansätze
Prof. Dr. Andreas Trumpp
© HI-STEM
Klinische Daten bestätigen das Ergebnis. Bei einer kleinen Kohorte von Brustkrebspatientinnen beobachteten die Forscher, dass mit dem Fortschreiten der Erkrankung die Zahl der dreifach-positiven CTCs, nicht aber die Gesamtzahl an CTCs anstieg. Patientinnen mit besonders vielen dieser dreifach-positiven Zellen hatten auch besonders viele Metastasen und eine sehr ungünstige Prognose.
Die durch CD44+CD47+MET+ charakterisierten MICs besitzen demnach „eine wesentlich höhere biologische Relevanz für das Fortschreiten der Erkrankung als die bisher untersuchten CTCs“, erklärte Andreas Schneeweiss. Ihre mögliche Verwendung als prognostischer Biomarker soll in einer großen klinischen Studie bestätigt werden.
Aber auch für die Suche nach wirksamen Therapien sind die neuen Ergebnisse ermutigend. Therapeutische Antikörper, welche die Aktivität von CD47 blockieren, befinden sich in Entwicklung. Ein Inhibitor des MET-Rezeptors ist bereits zugelassen und zeigt bei fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs gute Wirkungen; er könnte möglicherweise auch Brustkrebspatientinnen helfen, bei denen MICs nachgewiesen wurden.
Andreas Trumpp zog aus der von ihm geleiteten großen Arbeit über Metastasen-initiierende Zellen, die im April 2013 in der international renommierten Zeitschrift Nature Biotechnology veröffentlicht wurde, das Résumé: „Wir haben mit den dreifach-positiven Zellen nicht nur einen vielversprechenden Biomarker für den Verlauf von metasierendem Brustkrebs gefunden, sondern gleichzeitig auch neue mögliche therapeutische Ansätze für fortgeschrittenen Brustkrebs aufgezeigt.“
Publikation:
Baccelli I, Schneeweiss A, Riethdorf S, Stenzinger A, Schillert A, Vogel V, Klein C, Saini M, Bäuerle T, Wallwiener M, Holland-Letz T, Höfner T, Sprick M, Scharpff M, Marmé F, Sinn HP, Pantel K, Weichert W, Trumpp A: Identification of a population of blood circulating tumor cells from breast cancer patients that initiates metastasis in a xenograph assay (2013). Nature Biotechnology 2013, Jun; 31(6):539-44.