Experteninterview - KKS Heidelberg
Klinische Studien sind für die Zulassung von Arzneimitteln und die Zertifizierung von Klasse-IIb- sowie Klasse-III-Medizinprodukten unerlässlich, denn sie sollen die Verträglichkeit und Wirksamkeit der Produkte belegen. Da es bei diesen Studien nicht zuletzt um den Schutz des Patienten geht, sind diese gesetzlich reguliert und kontrolliert. Das Ausmaß der Reglementierung macht es gerade für kleinere Unternehmen unerlässlich, sogenannte Auftragsforschungsinstitute oder Contract Research Organisationen (CRO) mit in die Konzeption, Durchführung und Auswertung solcher Studien einzubinden. Dr. med. Steffen P. Luntz, ausgebildeter Facharzt für Anästhesiologie, ist Leiter des Koordinierungszentrums für Klinische Studien am Universitätsklinikum Heidelberg (KKS HD). Er und sein Mitarbeiter Hans-Heinrich Otter, Klinischer Monitor am KKS HD, berichten im Interview mit Dr. Claudia Luther (BIOPRO) über die Arbeit des KKS HD und die täglichen Herausforderungen im Studienalltag.
Dr. med. Steffen P. Luntz, Leiter der KKS Heidelberg
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Warum gibt es am Universitätsklinikum Heidelberg ein Koordinierungszentrum für Klinische Studien? Was sind die Aufgaben des KKS HD?
Luntz: Um die Jahrtausendwende stand es um die klinische Forschung in Deutschland (Qualität und Quantität) nicht besonders gut, und das wurde auch allgemein hin anerkannt. Der forschende medizinisch tätige Wissenschaftler war nicht so vertraut mit den Voraussetzungen und Anforderungen an eine klinische Studie. Spezielle Ausbildungsprogramme wurden zudem kaum angeboten. Das Prinzip der Good Clinical Practice (GCP; deutsch: gute klinische Praxis), einem international gültigen Qualitätsstandard speziell für die klinische Forschung am Patienten, war zwar in Deutschland seit 1996 existent, aber in der Klinik noch nicht verinnerlicht. Deshalb forderte unter anderem die pharmazeutische Industrie eine Qualitätsoffensive. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiierte eine dazu passende Ausschreibung für sogenannte Koordinierungszentren klinischer Studien (KKS) an den Universitätskliniken. Daraufhin wurden an 13 Standorten bundesweit derartige Dienstleistungsstrukturen etabliert.
Das KKS HD hat am 1. Juni 2000 mit dem operativen Geschäft begonnen, die Förderung durch das BMBF lief insgesamt fünf Jahre. Unser primärer Auftrag war es, alle Aspekte der klinischen akademischen Forschung am Universitätsklinikum zu unterstützen, von der Konzeptionsphase, der Durchführung und Qualitätssicherung bis hin zur Auswertung mit Datenmanagement und Biometrie. Wir sollten aber auch Wissen um klinische Forschung vermitteln, weshalb wir auch heute noch zahlreiche Fortbildungsprogramme im Angebot haben. Wir verstehen uns als Dienstleister – in erster Linie für Wissenschaftler – ohne selbst primär einen akademischen Auftrag zu haben. Das ist eine echte vertrauensbildende Maßnahme, da wir am Ende eines Projekts nicht mit dem Wissenschaftler um Publikationsplätze feilschen müssen. Aber mittlerweile richtet sich unser Angebot nicht mehr nur an die Fakultät vor Ort, sondern auch an andere Kliniken, die nicht auf ein KKS vor Ort zurückgreifen können. Zudem sind wir ein attraktiver Partner für meist kleinere Unternehmen, zum Beispiel Spin-offs von Universitäten.
Hans-Heinrich Otter, stellvertretender Leiter Klinisches Monitoring am KKS HD
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Was sind die Vorteile eines KKS HD gegenüber den klassischen Auftragsforschungsinstituten (CRO, clinical research organisation)?
Luntz: Als Partner, unmittelbar angebunden an eins der größten Universitätsklinika in Deutschland, sind wir in der Lage, sehr individuell auf die Bedürfnisse kleinerer Unternehmen, die keine klinische Forschung inhouse haben, einzugehen. Dabei begleiten wir unter Umständen Entwicklungen mehr beobachtend zunächst über längere Zeit, bis das Produkt geeignet erscheint, in eine klinische Studie einzumünden.
Otter: Wir sind häufig im Bereich der wissenschaftsgetriebenen Studien, sogenannten Investigator Initiated Trials (IITs) unterwegs. Dabei haben wir in oft sehr unterschiedlichen Projekten gelernt, besonders gut zu wirtschaften, um eine Kostendeckung zu erreichen. Wir können alle Unterstützungsleistungen anbieten, die im Rahmen einer klinischen Studie meist eine Rolle spielen. Dafür sind wir mit ca. 50 Mitarbeitern recht nachhaltig aufgestellt.
Luntz: CROs müssen in erster Linie wirtschaftlich und gewinnorientiert arbeiten. Wir als universitäre Einrichtung haben gelernt, ganz individuell den Fragenden da abzuholen, wo er steht, und genau das zu ergänzen, was er an eigener Kompetenz in seinen eigenen Reihen nicht hat. Zum Beispiel sind Biotech- oder Medizintechnik-Unternehmen häufig nur fünf bis zehn Personen groß, haben eine hohe Sachkompetenz in Nischen, aber sie haben möglicherweise noch nie den Transfer in die Klinik vollzogen. Da können wir gut beraten und auch mit weiteren klinischen Partnern begleiten. Dies erfolgt bis zu einem gewissen Grad auch unentgeltlich.
Das KKS HD ist, wie jedes andere Auftragsforschungsinstitut auch, das Bindeglied zwischen dem Sponsor (Wirkstoffhersteller bzw. wissenschaftlicher Studienleiter), den zuständigen Behörden und der Ethikkommission. Wie lebt es sich in diesem Spannungsfeld?
Otter: Wir müssen in der Regel mit einem geringeren, weil zum Beispiel öffentlich geförderten Budget auskommen und dennoch garantieren, dass die Anforderungen an eine klinische Studie, Patientenschutz und valide Daten uneingeschränkt erfüllt werden können. Diesbezüglich verfolgen wir die gleichen Interessen wie Ethikkommissionen oder Behörden. Und das ist manchmal auch für einen Klinischen Monitor vor Ort am Studienzentrum nicht ganz so einfach. Dann agiert man zwischen dem, was wünschenswert und notwendig wäre, und dem, was finanziert bzw. vom Studienzentrum geleistet werden kann. Da steht man schon in einem Spannungsfeld.
Luntz: Der Wissenschaftler, der vom Labor oder aus der die Patienten versorgenden Klinik kommt, hat mit klinischen Studien methodisch häufig bisher keinerlei Berührung gehabt. Viele unserer Auftraggeber sind deshalb Akademiker, die in ihrem ganzen Berufsleben nur ein oder zwei klinische Studien veranlassen. Zu unseren Vertragspartnern zählen aber auch kleinere Unternehmen, die mit ihrem Produkt erste klinische Studien planen und bei Erfolg die Rechte an größere Unternehmen verkaufen, weil sie sich die weiteren Phase-III-Studien zur Zulassung und damit auch die verbundenen finanziellen Risiken gar nicht leisten können. Das heißt, wir haben es häufig mit sehr besonderen Partnern zu tun und müssen darauf auch in besonderer Weise reagieren. Entsprechend sind wir es, die dann die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und Regularien in besonderer Form beachten und sicherstellen müssen.
Wie viele Studien begleiten Sie im Jahr, wer sind die Auftraggeber und wie viele Mitarbeiter (Qualifikation) stehen Ihnen dafür zur Verfügung?
Otter: Wir kümmern uns um alle Arten von klinischen Studien – Arzneimittel- und Medizinprodukteforschung. Wir bearbeiten zudem Studien mit psychotherapeutischen Interventionen und chirurgischen Operationsverfahren, die nicht unter die klassischen Rechtsnormen des Arzneimittel- oder Medizinprodukterechts fallen. Auch hier muss Evidenz erlangt werden, um gegebenenfalls sogar längst in der Klinik eingeführte Verfahren vergleichend zu bewerten.
Luntz: Das KKS beschäftigt derzeit ca. 50 Mitarbeiter in den unterschiedlichen Funktionsbereichen wie Projektmanagement, Biometrie, Datenmanagement oder Vigilanz. Dabei sind im Bereich des klinischen Monitorings die meisten unserer Mitarbeiter, nämlich 14 in Voll- oder Teilzeit tätig. Im Jahr 2013 betreuten wir genau 100 aktive Projekte, davon 64 mit Fragestellungen zu Arzneimitteln. Hier geht es auch um die Off-label-Nutzung längst etablierter Präparate für neue Einsatzgebiete. Solche Studien finden häufig im akademischen Umfeld statt, manchmal auch mit Unterstützung aus der Industrie. Wir betreuen zudem Studien mit hochinnovativen Substanzen, die erstmals am Menschen getestet werden. Für solche Projekte begrüßen wir die Möglichkeit, unter Leitung eines klinischen Partners Zugriff auf eine hoch qualifizierte Probandenstation zu haben.
Von einem Projekt sprechen wir erst dann, wenn es vertragliche Vereinbarungen für eine Teilleistung gibt. Im Durchschnitt haben wir etwa drei Funktionen oder Aufgaben, wie Monitoring, Datenmanagement oder Pharmakovigilanz, pro Projekt übernommen. Vor Vertragsabschluss wird dann ganz individuell auch je nach Eigenleistung und Kompetenz des Auftraggebers festgelegt, welche das sein sollen. Mehr als die Hälfte unserer Projekte sind wissenschaftsgetriebene Studien (ITTs), ein knappes weiteres Viertel sind ITTs mit Industriebeteiligung. Die restlichen 19 Prozent der Studien kommen verantwortlich aus Unternehmen.
Neben dem Wirkstoff/Medizinprodukt an sich und den formellen Anforderungen an eine klinische Studie ist die Zusammenarbeit mit der Klinik ein weiterer wichtiger Faktor, der den Erfolg einer Studie beeinflusst. Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit der Klinik aus?
Luntz: Natürlich nutzen wir von Beginn an in einem Studienprojekt die Nähe und den guten Draht in die Klinik. Sponsor, Kliniker und KKS bilden die drei Säulen, um realistisch durchführbare Studien zu planen.
Otter: Der klinische Monitor ist während der klinisch aktiven Studie ein zentrales kommunikatives und vermittelndes Glied in der Kette zwischen Sponsor, Apotheke, Labor, Prüfarzt und Studienassistent, Pharmakovigilanz und Datenmanagement. Er muss eben auch und gerade dann kommunizieren und gegebenenfalls trainieren, wenn ein Prüfzentrum nicht gut arbeitet, denn er ist der Einzige, der als Vertreter des Sponsors vor Ort ist. Deshalb ist das ein sehr wichtiger Baustein im Gefüge, und je mehr Erfahrung man hat, umso besser kann schon bei der Konzeption eines Prüfplans erkannt werden, ob eine Studie praktikabel für ein Zentrum ist oder eher nicht.
Was sind die größten Herausforderungen im Studienprozess, wo kommt es immer wieder zu Problemen?
Luntz: Probleme gibt es immer wieder bei der Fokussierung auf das Wesentliche bei der Studienkonzeption. Man muss sowohl die Fragestellung eingrenzen und klar formulieren, als auch die eigentliche Datenmenge, die man den Studienzentren zumutet, erheben. Wenn man viel misst, findet man auch viel, und Sie wissen am Ende nicht, was ist Zufall und was ist wirklich durch die Therapie verändert worden.
Otter: Komplizierte Studienprojekte überfordern möglicherweise auch hoch motivierte Prüfzentren. Man muss sich klar machen, was im klinischen Alltag für ein Studienzentrum zusätzlich zur Patientenversorgung noch machbar ist und was eben nicht. Bevor also zu viele Dinge, die vom Studienzentrum nicht zu leisten sind, mit aufgenommen werden, ist es sinnvoll zu prüfen, ob das für die Aussage der Studie wirklich nötig ist. Gerade deshalb ist es wünschenswert, dass schon recht früh, also bei der Konzeption einer klinischen Studie, die CRO beteiligt wird, auch um zu prüfen, ob das Studienzentrum das wirklich leisten kann. Grundsätzlich gilt: Keine Studie gleicht der anderen. Und: Schon die Nicht-Berücksichtigung bzw. Nicht-Klärung scheinbar einfacher bzw. profaner Aspekte kann das gesamte Projekt gefährden. Ein gutes Beispiel wäre die Frage, wie ambulante Patienten motiviert werden, für die sehr wichtige Abschlussvisite extra ins Klinikum zu kommen.
Die individualisierte Onkologie und Immuntherapie gehören neben anderen zu den Forschungsschwerpunkten der Medizinischen Fakultät in Heidelberg. Welche Auswirkungen hat die „personalisierte Medizin“ auf das Design klinischer Studien?
Luntz: Beim Thema individualisierte Medizin hat man vor Augen, dass jeder Patient individuell behandelt wird. So ist es ja nicht. Es geht um die Behandlung kleinerer Patientenkohorten. Das führt dazu, dass ich im Prinzip in der klinischen Forschung einen zweizeitigen Studieneinschluss habe. Zunächst frage ich die Patienten, ob wir sie daraufhin testen dürfen, ob sie für bestimmte Therapien besser geeignet sind als für andere. Die Klärung erfolgt z.B. anhand eines genetisches Profilings. Wurden die Patienten dann über diesen ersten Trichter selektiert, kann ich die Patienten spezifisch der für sie geeigneten Studie (A oder B) zuführen. Das heißt, weniger Patienten kommen in die einzelne Studie. Dafür erwarte ich trotz kleinerer Fallzahlen möglicherweise einen deutlicheren therapeutischen Nutzen. Weniger geeignete Patienten bedeutet aber auch, dass mehrere Studienzentren benötigt werden, um die entsprechende Anzahl Patienten zu rekrutieren.
Otter: Auch die Zentren müssen sich besonders gut organisieren, um die wenigen Patienten optimal zu betreuen. Stellen Sie sich vor, sie initiieren eine Studie und erst ein halbes Jahr später können sie den ersten Patienten einschließen. Zu diesem Zeitpunkt weiß das Prüfteam, bestehend aus Prüfarzt und Studienassistenz möglicherweise schon nicht mehr, was sie genau für die Studie tun müssen.
Das Koordinierungszentrum für klinische Studien an der Medizinischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (KKS HD) ist ein akademisches Auftragsforschungsinstitut. Es wurde im Jahr 2000 mit dem Ziel gegründet, wissenschaftlich initiierte Arzneimittel-, Medizinprodukte- und sogenannte freie Studien umfassend zu unterstützen. Mittlerweile hat sich das KKS HD als ein wichtiger Partner zur Planung, Durchführung und Auswertung klinischer Studien aus der Wissenschaft, aber auch der freien Wirtschaft etabliert. Das zusätzlich angebotene umfangreiche Fort- und Weiterbildungsangebot macht das KKS Heidelberg zur idealen Anlaufstelle für all diejenigen, die sich in den Bereichen klinische Forschung, Arzneimittel- und Medizinproduktestudien, Studienassistenz, GCP-Anforderungen und vielem mehr aus- bzw. weiterbilden lassen möchten. Mehr Informationen zum KKS und dem Trainingsangebot finden Sie über den Link oben rechts.