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Frank Allgöwer: Ein Ingenieur für die wilden Ideen

Im Alter von 19 Jahren hätte sich Professor Dr.-Ing. Frank Allgöwer nicht träumen lassen, dass er einmal den Lehrstuhl für Technische Kybernetik innehaben wird. Wie auch – von dem Studiengang an der Universität Stuttgart hatte der frischgebackene Abiturient noch nie zuvor gehört. Dass mit den dort entwickelten Methoden nicht nur Roboterarme gesteuert, sondern auch biologische Prozesse analysiert werden können, war für den Ingenieur dann die nächste Überraschung. Mittlerweile zählt Allgöwer in dem noch jungen Forschungszweig Systembiologie zu den weltweit führenden Köpfen.

Prof. Dr.-Ing. Frank Allgöwer © SimTech, Uni Stuttgart

Nach dem Abitur ging es Frank Allgöwer so wie vielen anderen Schülern auch – er hatte vom Lernen die Nase gestrichen voll. Kurzerhand packte der Freudenstädter seinen Rucksack und flog mit einem Freund in die USA. „Ein ganzes Jahr wollten wir in Kalifornien bleiben“, erinnert sich Allgöwer schmunzelnd. Doch die beiden hatten nicht die Absicht, sich dort auf die faule Haut zu legen. Stattdessen folgten sie - ausgerüstet mit Schaufeln und anderen schweren Werkzeugen - den Spuren des Goldrausches von 1849. Nach der Rückkehr, soviel war Allgöwer klar, wollte er unbedingt studieren: „Deshalb beauftragte ich meinen Vater, mich fürs nächste Jahr sowohl in Mathematik als auch Architektur und Jura einzuschreiben.“ Die endgültige Entscheidung wollte sich der Abenteurer bis kurz vor Semesterbeginn aufheben.

Allgöwers Vater, Beamter von Beruf, hatte jedoch Sorge, dass ihm dabei ein Fehler unterlaufen könnte. Der Senior entschloss sich deshalb zu einem Probelauf unter realen Bedingungen. Ein Fach mit einem exotischen Namen, von dem er glaubte, dass es den Sohn nie und nimmer interessieren würde, diente als Versuchsobjekt. Als der Filius sechs Monate später völlig überraschend und halb verhungert wieder vor der Haustür stand, präsentierte ihm der Vater quasi als Weihnachtsgeschenk einen Studienplatz in Technischer Kybernetik.

Vom Goldsucher zum Systembiologen

„Ich hatte damals nicht die geringste Ahnung, was es mit diesem Fach auf sich hat“, lacht Allgöwer. Mangels Alternativen – die Goldsuche war nur mäßig erfolgreich gewesen - schnupperte er in die Vorlesungen an der Universität Stuttgart und blieb hängen. Die Regelungstechnik, wie Kybernetik übersetzt heißt, stellte sich für Allgöwer als Volltreffer heraus. Nach Diplom und Promotion folgten Forschungsaufenthalte in den USA und der Schweiz, ehe er 1999 im Alter von 37 Jahren in Stuttgart auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Systemtheorie technischer Prozesse berufen wurde.

„Ich sollte regelungstechnische Methoden entwickeln, die sowohl in der Mechanik, in der Verfahrenstechnik wie auch in vielen anderen technischen Gebieten zur Anwendung kommen können“, erzählt Allgöwer. Als ihn aber kurz nach Amtsantritt der damalige Institutsdirektor Professor Dieter Gilles, der den Studiengang Technische Kybernetik in Stuttgart begründet hatte, zu einem Gespräch bittet, erhält Allgöwers Karriere eine unverhoffte Wendung. Denn Gilles empfiehlt seinem ehemaligen Doktoranden, sich zusätzlich noch um einen völlig neuen Forschungszweig zu kümmern – die Systembiologie.

Die Natur ist meistens nicht linear

„Um meinem Mentor einen Gefallen zu tun, habe ich letztlich zugestimmt, obwohl ich überhaupt keinen biologischen Background hatte“, so Allgöwer. Es dauerte aber nicht lange, dann war auch er Feuer und Flamme: „Ich habe schnell gemerkt, dass die Verbindung von systemtheoretischen Methoden und der Biologie unglaublich fruchtbar ist.“ Auch weil sie absolutes Neuland darstellte. Als der passionierte Klavierspieler an seinem Stuttgarter Institut die ersten biologischen Fragestellungen in Angriff nahm, tummelten sich weltweit lediglich eine Handvoll Arbeitsgruppen auf diesem Feld. „Vor acht Jahren war die Systembiologie noch eine ziemlich wilde Idee“, erinnert sich Allgöwer, „heute ist sie ein etabliertes Wissenschaftsgebiet.“

Systembiologen integrieren biologisches Wissen in mathematische Modelle – hier am Beispiel einer Untersuchung zur Bistabilität beim programmierten Zelltod.
Systembiologen integrieren biologisches Wissen in mathematische Modelle – hier am Beispiel einer Untersuchung zur Bistabilität beim programmierten Zelltod. © Prof. Allgöwer

An Allgöwers Lehrstuhl spielen die biologischen Themen inzwischen eine zentrale Rolle. Eingebunden in das Zentrum für Systembiologie der Universität Stuttgart versteht sich der Wissenschaftler dabei als wichtiges Bindeglied zwischen Biologen und Ingenieuren. Gemeinsam mit einem interdisziplinären Mitarbeiterteam entwickelt er Methoden und Modelle für die Analyse nichtlinearer Systeme. Diese sind im Vergleich zu linearen Systemen, aufgrund der fehlenden Proportionalität, mathematisch sehr viel schwieriger zu beschreiben - doch Allgöwer weiß: "Die meisten Vorgänge in der Biologie sind nun mal nichtlinearer Natur."

So beschäftigt sich eines der aktuellen Forschungsprojekte mit grundlegenden Mechanismen des programmierten Zelltods (Apoptose). „Wir wollen beispielsweise herausfinden, wie der Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) an Krebszellen bindet und diese zum Absterben bringt“, berichtet Allgöwer. Bei Mäusen funktioniert diese Form der Therapie bereits ausgesprochen erfolgreich, beim Menschen jedoch ist die benötigte Dosis noch viel zu hoch – und damit für den Organismus zu giftig. Die Systembiologen entwickeln jetzt Modelle, die klären sollen, wie sich die TNF-Moleküle gezielter an die Krebszellen herantransportieren lassen, damit auch geringere Konzentrationen eine Wirkung erzielen.

USA locken mit traumhaften Arbeitsbedingungen

Für dieses Ziel scheut sich Allgöwer nicht, gelegentlich selbst wieder die Hörsaalbank zu drücken. Während seiner Gastprofessur an der University of California in Santa Barbara saß der Ingenieur oft bereits frühmorgens in den Vorlesungen der Biologen. Und in der südkalifornischen Kleinstadt erreichte ihn 2004 schließlich auch der bislang wichtigste Telefonanruf seiner wissenschaftlichen Karriere. Kurz nach Mitternacht Ortszeit informierte ihn der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft damals über die Verleihung des renommierten Leibniz-Preises. „Zuerst glaubte ich, es hätte sich jemand einen Scherz erlaubt“, erzählt Allgöwer lachend. Doch als kurz darauf die ersten Interviewanfragen eintrafen, wusste er, dass er tatsächlich zu den Preisträgern gehörte.

Allgöwers Erfolge sind auch international nicht verborgen geblieben. Bereits während der Promotion hatte der Ingenieur einen Ruf in die USA erhalten. „Das war eine große Motivation, endlich mit der Doktorarbeit fertig zu werden“, erinnert sich Allgöwer schmunzelnd. Statt nach Berkeley wechselte er dann aber doch lieber an die ETH in Zürich. „Fachliche Gründe haben damals den Ausschlag gegeben“, so Allgöwer, „auch wenn meine Frau lieber in die Staaten gegangen wäre.“ Doch die nächste Chance ließ nicht lange auf sich warten. Vergangenes Jahr erhielt der Familienvater einen Ruf an die UC Santa Barbara. „Da habe ich lange mit mir gerungen“, bekennt Allgöwer freimütig. Sogar ein Büro mit Blick auf den Pazifik hatten ihm die Kalifornier in Aussicht gestellt – und natürlich sehr viel Geld.

Nachhaltige Forschung wichtiger als kurzfristige Erfolge

Dass Allgöwer letztlich doch in Stuttgart geblieben ist, hat auch mit dem Forschungsstandort Deutschland zu tun. „Bei uns hat man die Möglichkeit, sehr lange an einem bestimmten Thema zu arbeiten. In den USA wird da sehr viel schneller mal die komplette Richtung gewechselt, weil der Geldgeber plötzlich kein Interesse mehr hat“, weiß der Ingenieur aus eigener Erfahrung. Ein nachhaltiger Wissensaufbau sei mit dieser Strategie allerdings nicht möglich – und dazu hatte Allgöwer keine Lust.

Gefreut über Allgöwers Entscheidung haben sich auch die Stuttgarter Studenten. Vor zwei Jahren wurde dem engagierten Hochschullehrer der Landeslehrpreis verliehen. Allgöwers Zauberformel heißt Motivation, und dazu greift er gelegentlich sogar in die psychologische Trickkiste. Der Ingenieur entwickelt nämlich nicht nur didaktisch hervorragende Online-Module zum Selbststudium, sondern lockt die Studierenden auch mit raffinierten Lernspielen und dem einen oder anderen Kniff in seine Veranstaltungen. „Dieses Semester zeigen wir im Hörsaal in der Pause vor der Vorlesung die Trailer der aktuellen Kinofilme“, berichtet Allgöwer. Doch nicht nur seine Studenten dürfen gespannt sein, was dem findigen Ingenieur in Zukunft noch alles einfallen wird.

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