zum Inhalt springen
Powered by

Frank Kirchhoff bringt die Aids-Forschung mit richtigen Fragen voran

Wesentliche Fragen zu stellen, die man möglichst beantworten kann, das hat der Ulmer Aids-Forscher Frank Kirchhoff in seiner Postgraduiertenzeit gelernt. Dieses Rezept beschert ihm und seiner Arbeitsgruppe international stark beachtete Erfolge und hat ihn in die erste Reihe der Aids-Forscher gerückt. Hochrangige Veröffentlichungen in kurzer Abfolge, zahlreiche Preise und eine soeben angelaufene klinische Studie für einen HIV-Hemmstoff belegen dies. Noch mehr erhofft sich der Forscher von einem im menschlichen Samen entdeckten Peptid.

Prof. Dr. Frank Kirchhoff. (Foto: Uniklinikum Ulm)
Kirchhoffs Erfolgsrezept der richtigen Fragen scheint nur auf den ersten Blick trivial. Wieder einmal haben sich die Hoffnungen auf einen Aids-Impfstoff zerschlagen. Anlässlich des 25. Jahrestages der Entdeckung des HIV-1 im Pariser Pasteur-Institut im Mai beschworen die Aids-Forscher die Rückkehr zu den Grundlagen (Nature, Vol. 9, August 2008, S. 823ff.). Ende Juli verwies das US-Institut für Infektionskrankheiten, das rund 80 Prozent der weltweiten Ausgaben für HIV-Impfstoffforschung stellt, die Aids-Forscher wieder in die Labore. Indirekt geben diese Appelle dem deutschen Aidsforscher Kirchhoff Recht, der die grundlegenden Fragen längst noch nicht beantwortet sieht.

Im Göttinger Primatenzentrum, an dem der Praktikant Kirchhoff später studierte und promovierte, war die Immunschwächekrankheit Aids durchaus ein Thema, erinnert sich der 47-jährige Virologe, der ursprünglich mit Botanik und Ökologie liebäugelte, dann aber bei Mikrobiologie und Virologie landete. In seiner Diplom- und Doktorarbeit analysierte Kirchhoff Genom und biologische Eigenschaften des damals noch wenig bekannten, 1986 entdeckten HIV-2.

Postdoc an Harvard Medical School

In der Arbeitsgruppe von Ronald Desrosiers lernte der Nachwuchswissenschaftler, wie man wichtige Fragen stellt, auf die man auch Antworten bekommt. Damit spielt Kirchhoff auf die gelegentlich abgehobene Molekularbiologie an, die den Patienten aus den Augen verliert. Anfang der 90er Jahre glaubten die begeisterten Mitglieder dieser AG, dass sie ein Rezept für einen Aids-Impfstoff gefunden hatten. Diese Euphorie teilte Kirchhoff schon damals nicht, was seine Habilitation später erhärtete. Zwar gab es Ansatzpunkte zum Eingriff, aber die klinische Nutzung war schwierig und riskant.

2001 erhielt Kirchhoff, der inzwischen an der Erlanger Universität gelandet war, einen Ruf als C3-Professor an das Institut für Virologie der Universität Ulm. Er entschied sich für die deutsche Universitäts-Freiheit und gegen die gut ausgestattete, aber teilweise vorgeschriebene Forschung einer US-Bundesbehörde (National Cancer Institute).

Warum erkrankt der Mensch, nicht aber der Affe?

Von der teuren Impfstoffforschung („Von einer Vakzine sind wir meilenweit entfernt“) hatte sich Kirchhoff da schon verabschiedet. Denn eine solche ließ sich auf Grund der unglaublich geringen Mittel (früher ein halbes, heute allenfalls fünf Prozent der US-Mittel) in Deutschland nicht finanzieren.

Stattdessen verlegte sich der Virologe auf die Pathogenese und suchte Antworten auf die Frage: Warum macht der Haupterreger HIV-1 den Menschen krank, nicht aber ähnliche Viren ihren natürlichen Wirt, den Affen? Einige Antworten darauf hat Kirchhoff bereits gefunden. Unter anderem die, dass sich ähnliche Viren (SIV) bei über 40 Affenarten finden, die in der Regel kein Aids entwickeln. Zwei Gründe geben nach Kirchhoff dafür den Ausschlag: Zum einen haben sich die Affen mit diesen Erregern schon vor langen Zeiten infiziert und sich daran angepasst. Und zum zweiten hat das humane Aids-Virus im Lauf seiner Evolution eine Funktion verloren, die dazu dient, die Aktivierung der infizierten T-Helferzellen zu blockieren.

Lässt fehlender Rezeptor Körperabwehr heiß laufen?

Die meisten SIV (genauer: das virale nef-Protein) entfernen an der Oberfläche der T-Helferzellen einen für die Immunantwort wichtigen Rezeptor (CD3), so dass dieser für die Körperabwehr nicht mehr erkennbar, aber auch nicht mehr zu gebrauchen ist. Genau diese Funktion ging nur in der Viren-Linie verloren, die vom Schimpansen an den Menschen überging. Kürzlich gelang der Nachweis (PlosPathogene, 10.1371/journal.ppat.1000107), dass diese Funktion den natürlichen Wirt vor dem Verlust von CD4positiven T-Helferzellen schützt, was wiederum die Annahme stützt, warum HIV beim Menschen so aggressiv ist.

Bei HIV sterben viele infizierte T-Zellen durch Apoptose ab, aber auch Nachbarzellen werden durch Ausschüttung von Zytokinen in den programmierten Selbstmord getrieben. Was in Zellkultur klappt, will Kirchhoff heuer zusammen mit dem Göttinger Primatenzentrum in Versuchen an afrikanischen grünen Meerkatzen testen, indem er bei den SIV diese Funktion (wie bei HIV) ausschaltet, in der Hoffnung, dass dieses Virus im natürlichen Wirt pathogen wird.

Schatzsuche in Körperflüssigkeiten

NMR-Struktur des VIRIP-FP Komplexes als Oberflächen Plot (links) oder Stäbchenmodell (rechts). Weiß: HIV-1 gp41 Fusionspeptid; farbig: VIRIP Derivat 165. (Abbildung: Kirchhofff)
NMR-Struktur des VIRIP-FP Komplexes als Oberflächen Plot (links) oder Stäbchenmodell (rechts). Weiß: HIV-1 gp41 Fusionspeptid; farbig: VIRIP Derivat 165. (Abbildung: Kirchhofff)
Folgenreich war ein Treffen Kirchhoffs noch zu Erlanger Zeiten mit dem Hannoveraner Forscher Wolf-Georg Forssmann. Dieser hatte sich darauf spezialisiert, Peptid-Eiweißbibliotheken aus natürlichen Körperflüssigkeiten oder Geweben mit neuen Methoden zu gewinnen. Seit langem war bekannt, dass im Körper Verbindungen existieren, die Viren kontrollieren können. Aus einem Gemisch von rund einer Million Eiweißen, Botenstoffen und allerlei Bruchstücken größerer Verbindungen fischte Kirchhoff mit dem Ulmer Kollegen Jan Münch einen Hemmstoff: 20 Aminosäuren groß, der HIV über einen neuen Wirkmechanismus blockiert, indem das Peptid das (gp41) Fusionspeptid des Virus bindet, verhindert es das ansonsten sehr rasche Eindringen in die Zellmembran.
Optimierte VIRIP Derivate. P4-CCR5 Zellen wurden in Gegenwart von VIRIP (schwarzes Quadrat) oder VIRIP Derivaten (blau) und T20 (rot) infiziert. Drei Tage nach Infektion wurde die Infektion in einem Lumineszenztest bestimmt. (Abbildung: Kirchhoff)
Optimierte VIRIP Derivate. P4-CCR5 Zellen wurden in Gegenwart von VIRIP (schwarzes Quadrat) oder VIRIP Derivaten (blau) und T20 (rot) infiziert. Drei Tage nach Infektion wurde die Infektion in einem Lumineszenztest bestimmt. (Abbildung: Kirchhoff)
Durch systematische Analysen von rund 600 Derivaten gelang es die Aktivität des Originals um das 200fache zu erhöhen. Mittlerweile ist eines der Derivate (Virip) für eine klinische Phase I/II-Studie zugelassen, die gerade in Hannover startet. Finanziert wird diese mit Mitteln der Industrie und von Privatleuten. Gerade in Industrieländern ist die Bildung von Resistenzen ein Problem. Vor diesem Hintergrund stimmt es Kirchhoff zuversichtlich, dass infizierte Zellkulturen, die mit dem Verankerungs-Inhibitor behandelt wurden, keine Resistenz entwickelten.

Suche im Naheliegenden

Wenn Kirchhoff feststellt, dass weltweit momentan mehr Menschen an Aids sterben als bei der Entdeckung der ersten Aids-Arznei vor 20 Jahren, heiße das, schlussfolgert Kirchhoff, dass die Medikamente der Mehrheit der Infizierten nichts nützen. Und es erklärt die Hoffnung, die er mit einer jüngst gemachten Entdeckung verbindet.

Auf seiner Suche nach Hemmstoffen stieß er im menschlichen Sperma auf aggregierende Peptide (Sevi, für semen enhancer of viral infection), die kleine Fibrillen ausbilden und die HIV-Infektion um das 100.000fache verstärken können. Das könnte eine wichtige Rolle bei der sexuellen Übertragung spielen, die in neun von zehn Fällen für Aids verantwortlich ist. Dies könnte auch ein Ansatzpunkt zur Verhinderung dieser Übertragung sein. Jetzt muss geklärt werden, wie relevant diese Verstärkung in vivo ist und wie sie sich blockieren lässt.
HIV beladene SEVI Fibrillen binden Zellen. Zellen sind blau, SEVI Fibrillen grün und HIV-1 Partikel rot eingefärbt. Fast alle Viruspartikel sind mit SEVI assoziiert. (Foto: zur Verfügung gestellt von Walther Mothes, Joseph Luna and Pradeep Uchil; Yale, Ne
HIV beladene SEVI Fibrillen binden Zellen. Zellen sind blau, SEVI Fibrillen grün und HIV-1 Partikel rot eingefärbt. Fast alle Viruspartikel sind mit SEVI assoziiert. (Foto: zur Verfügung gestellt von Walther Mothes, Joseph Luna and Pradeep Uchil; Yale, New Haven, USA)
Selbst wenn diese Verstärkung in vivo geringer ausfiele, wäre ein Mittel zur Hand, was die Übertragung wirksamer verringerte als alle bisherigen Impfstoffe und Mikrobizide. Kirchhoffs Entdeckung würde erklären, warum viele Aids-Mittel in Gegenwart von Sperma wenig wirken, und alle Mikrobizide versagten. Viele Millionen Euro seien in Mikrobizid-Studien gesteckt worden, obwohl unklar war, ob das Virus in einer Flüssigkeit wirke, die eine so entscheidende Rolle bei der Übertragung spielt, merkt Kirchhoff dazu an.

Kausalitäten statt Korrelationen

Spannende Ziele verfolgt der Ulmer Virologe in naher Zukunft. Auf dem Feld der Pathogenese will er jetzt Kausalitäten und nicht bloß Korrelationen aufdecken. Auf den Primaten-Versuch bezogen lautet die Frage: Führt der Verlust der viralen Fähigkeit, die Andockstelle CD3 von der Zelloberfläche zu entfernen und damit die T-Zell-Aktivierung zu blockieren, tatsächlich zur Immundefizienz, selbst in natürlichen Primaten-Wirten?

Kirchhoff und seine Arbeitsgruppe werden nach weiteren Hemmstoffen in menschlichen Flüssigkeiten suchen, nicht nur im humanen Hämofiltrat, auch in der Muttermilch und im Speichel, wozu Kirchhoff mit dem Ulmer Bundeswehrkrankenhaus (Prof. Heinz Maier) zusammenarbeitet. Zielt dieser Untersuchungen ist es, die Übertragungswege und –flüssigkeiten verschiedener Viren zu verfolgen.

Im Fall der Peptid-Fibrillen will Kirchhoff klären, ob sich dahinter nicht ein generelles Prinzip zur Übertragung sexuell übertragener Krankheiten verbirgt, das auch für Hepatitis C oder Herpes Simplex-Viren gilt. Und dann gilt es Strategien zu entwickeln, wie sich Sevi blockieren lässt.

Die Kernfragen bleiben dieselben

Kirchhoff wird sich wieder auf die hohe Kunst des wichtigen Fragens verlassen können. Nach einem Vierteljahrhundert Aids-Forschung wisse man immer noch nicht genau, warum HIV Aids macht, ob das HI-Virus die Zellen direkt zerstört oder dies über den Tod nichtinfizierter Zellen passiert. Stattdessen versenke man sich vielerorts in molekulare Details. Für Kirchhoff bleibt die Kernfrage: Kann man den Infizierten helfen oder die Ausbreitung verhindern.

Sorgen um Drittmittel muss sich Kirchhoffs Gruppe kaum machen. Unlängst stellte er aus Frust über die wissenschaftsfremde EU-Forschungsförderung beim NIH (National Institute of Health) erfolgreich einen Antrag, obwohl die Förderquote für US-Forscher bei acht Prozent liegt. Zu lange wird es wohl nicht dauern, bis Kirchhoffs Gruppe erneut prominent publiziert. Ihr Ruf in der Fachwelt ist exzellent. Bei der 15. Conference on Retroviruses and opportunistic infections 2008 in Boston hielt der Ulmer Virologe einen Plenarvortrag.

Literatur:
Schindler, Michael; Münch, Jan, et al.: Nef-Mediated Suppression of T Cell Activation Was Lost in a Lentiviral Lineage that Gave Rise to HIV-1, in: Cell 125, 1055-1067, June 16, 2006

Münch, Jan; Ständker, Ludger et al: Discovery and Optimization of a Natural HIV-1 Entry Inhibitor Targeting the gp41 Fusion Peptide, in: Cell 129, 263-275, April 20, 2007.

Münch, Jan; Rücker, Elke et al.: Semen-Derived Amyloid Fibrils
Drastically Enhance HIV Infection, in: Cell 131, 1059-1071, December 14, 2007.

Schindler M., Schmökel J., Specht A., Li H, München J. et al (2008): Inefficient Nef-Mediated Downmodulation of CD3 and MHC-I-Correlates with Loss of CD4+T Cells in natural SIV Infection. PLoS Pathog 4(7): e100107. doi : 10.1371/journal.ppat.1000107.

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/frank-kirchhoff-bringt-die-aids-forschung-mit-richtigen-fragen-voran