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Georg Sprenger und der virtuose Umgang mit dem bakteriellen Stoffwechsel

Was Mikroorganismen nicht von selbst können, das kann man ihnen häufig beibringen. Der bakterielle Stoffwechsel kann so verändert werden, dass neue Produkte entstehen, neue Substrate umgesetzt werden oder bereits existierende Umsetzungen für den biotechnologischen Einsatz optimiert werden. Prof. Dr. Georg Sprenger leitet das Institut für Mikrobiologie der Universität Stuttgart und ist ein Experte auf diesem Gebiet.

Seit rund sieben Jahren leitet Prof. Dr. Georg Sprenger das Institut für Mikrobiologie der Universität Stuttgart. © Christoph Bächtle, BIOPRO

Die Faszination, dass man biologische Vorgänge bewusst ändern kann, hat Prof. Dr. Georg Sprenger bei seiner gesamten Laufbahn begleitet und ist eine der stärksten Triebfedern des Mikrobiologen. Dabei wollte er ursprünglich eine ganz andere Richtung einschlagen: „Eigentlich habe ich Biologie studiert, um Zoologe zu werden. Ich habe mich dann jedoch schon während des Studiums umorientiert in Richtung Gentechnik und Biotechnologie mit Mikroorganismen“, so Sprenger. Er studierte bis 1981 an der Universität Regensburg, zu einer Zeit also, als man gerade erst begann, die immensen Potenziale biologischer Systeme zur Produktion von Wertstoffen zu entdecken. Sprenger befasste sich bereits in seiner Diplomarbeit mit Bakteriengenetik und führte seine Arbeiten auf dem Weg zur Promotion 1985 an der Universität Osnabrück weiter. „Wir haben Gene zum Abbau von Saccharose aus dem Bakterium Klebsiella pneumoniae in E. coli transferiert“, sagt Sprenger – was damals allein schon labortechnisch noch eine echte Herausforderung war.

Das Ziel seiner Arbeiten war im Grunde das gleiche wie heute: „Mir ging und geht es um ein besseres Verständnis von Stoffwechselwegen und wie es generell zu ihrer Vielfalt kommt“, so Sprenger. Während seiner Postdoc-Zeit an der Harvard Medical School befasste er sich mit bakteriellen Stoffwechselwegen zum Abbau von Glycerin. Das Thema hat ihn heute, ein Vierteljahrhundert später, ganz aktuell wieder eingeholt. Der Boom in der Biodiesel-Produktion führt zu großen Mengen an Rohglycerin, das als Abfallstoff anfällt. „In den Rapsmühlen wird das Rapsöl aufgespalten in Fettsäuren und etwa zehn Gewichtsprozent Glycerin. 500.000 Tonnen Glycerin fallen allein in Deutschland pro Jahr an“, erzählt Sprenger. Er hat die Herausforderung angenommen, das Rohglycerin ohne weitere, womöglich teure Aufarbeitungen mithilfe von Bakterien in nützliche Grundstoffe umzusetzen.

Aminosäureproduktion im großen Maßstab

Dafür setzen Sprenger und sein Team einmal mehr auf das bakterielle Allround-Talent E. coli. „Das Bakterium enthält bereits von Natur aus Gene zur Produktion von wertvollen Aminosäuren wie L-Phenylalanin, die unter anderem zur Herstellung des Süßstoffes Aspartam benötigt wird. Wir überexprimieren nun die Gene und modellieren die Stoffwechselwege so, dass die Produktion der Aminosäure noch effizienter vonstatten geht“, erklärt Sprenger. Unterstützt wird die Arbeit der Stuttgarter Gruppe von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt DBU. „Die Stiftung ist generell daran interessiert, geschlossene Stoffkreisläufe einzuführen, in denen es keine nichtverwertbaren Abfallstoffe mehr gibt“, so Sprenger zur Motivation des Engagements. Auch die Biotech-Industrie ist an effizienteren Bioproduktionen natürlich höchst interessiert.

Dr. Sarah Schneider mit einem der wichtigsten Arbeitsgeräte am Institut für Mikrobiologie: Eine Agarplatte zur Kultivierung von Bakterien. © Christoph Bächtle, BIOPRO

Nicht immer liegen passende Forschungsergebnisse jedoch genau dann vor, wenn sie von der Industrie nachgefragt werden – eine Erfahrung, die Sprenger Mitte der 90er-Jahre machte. Nach seinem USA-Aufenthalt kehrte er nach Deutschland zurück und ging als Assistent zunächst an die Uni Osnabrück, zu Prof. Dr. Lengeler, seinem ehemaligen Doktorvater. Nach einem Jahr wechselte er an das heutige Forschungszentrum Jülich, an dem er bis zu seinem Ruf nach Stuttgart 2003 arbeitete. „Jülich hatte damals bereits eine sehr anerkannte Biotechnologie, die von Hermann Sahm geleitet wurde“, so Sprenger. Er teilte Sahms Interesse daran, Bakterien neue Eigenschaften „beizubringen“ und arbeitete mit Zymomonas mobilis, einem Bakterium, das unter anderem zur Herstellung von Palmwein und dem mexikanischen Pulque, einem Gärprodukt aus Agavensaft, eingesetzt wird. „Die Bakterien setzen Zucker zu Alkohol um, haben aber den Nachteil, nur wenige Zuckerarten wie Saccharose, Glucose und Fructose als Substrat nutzen zu können. Wir versuchten über Eingriffe in den bakteriellen Stoffwechsel die Bakterien dazu zu bringen, auch C5- Zucker aus Hemizellulosen zu verwerten. Diese Zucker kommen in großen Mengen in Holz und Stroh vor“, so Sprenger. Mitte der 90-er Jahre war das Ziel erreicht. Zu der Zeit interessierte sich die Industrie jedoch nicht dafür. Das hat sich heute gravierend geändert, und Sprengers Ansatz ist im Rahmen der industriellen Nutzung natürlicher Rohstoffe hoch aktuell.

Für ihn persönlich bedeuteten die Arbeiten den Einstieg in ein Forschungsthema, das bis heute sein zweites wissenschaftliches Standbein bildet. Sprenger begann, mit bakteriellen Stoffwechselenzymen zu arbeiten, speziell mit Transaldolasen und Transketolasen aus E. coli, deren Gene er unter anderem in Zymomonas exprimierte und charakterisierte. Heute ist er mit seinem Team neuen Reaktionen auf der Spur, die man mithilfe der Enzyme ablaufen lassen kann. Das ist noch ein relativ neuer Ansatz, der das Tor zu einer Fülle neuer Anwendungen öffnet. „Wir wollen zum Beispiel Zuckeranaloga herstellen, an deren Resten wir mithilfe der bakteriellen Transaldolasen chemische Gruppen einbauen, die Chemiker herstellen können, Sulfo-, Amino- oder Desoxygruppen etwa“, sagt Sprenger.

Optisch reine Bausteine für die Pharmaindustrie

Besonders interessant ist die Option, stereospezifische Substanzen für eine Verwendung in der Pharmaindustrie zu produzieren. Mit bakteriellen Enzymen kann selektiv nur eine von mehreren optischen Formen einer Verbindung gewonnen werden. „Bei einer chemischen Produktion erhält man oft ein Gemisch, Racemate im Verhältnis 50:50. Das war zum Beispiel der Fall bei Contergan in den 50ern. In der Produktion entstand ein Gemisch aus dem gesuchten Stoff und seinem Spiegelbild, das für die Missbildungen verantwortlich war. Inzwischen ist es natürlich gesetzlich geregelt, dass genau getestet werden muss, welche Stereoform wie wirkt und nur die wirksame, sichere Form einzusetzen“, erklärt Sprenger. Das macht eindrucksvoll klar, wie nützlich die Produktion nur einer Stereoform sein kann, wie Bakterien sie leisten können.

Sprenger hat ein Screening-System für Mutanten-Enzyme entwickelt, das auf einer Farbreaktion basiert. © Prof. Dr. Georg Sprenger

Um Stoffwechselwege beziehungsweise daran beteiligte Enzyme zu verändern und dann sinnvolle und nutzbringende Veränderungen herauszufiltern, setzt Sprenger auch auf Mutagenese, die jedoch nicht immer die gewünschten Effekte bringt. „Die Bakterien sind evolutionär schließlich gut angepasst, das heißt, wir erhalten oft auch Verschlechterungen. Wir haben jedoch effiziente Screening-Methoden, um Enzyme mit interessanten veränderten Eigenschaften zu Substrataffinität, Aktivität beziehungsweise Substratspezifität zu identifizieren. Für die Bioproduktion ist es zum Beispiel häufig günstiger, wenn das veränderte Enzym nicht nur ein Substrat, sondern verschiedene akzeptiert“, so Sprenger.

Er hat mit seinem Team eine Screening-Methode auf der Basis von Farbreaktionen entwickelt. “Wir können inzwischen ein paar Tausend Klone in ein paar Tagen screenen“, sagt Sprenger. Ein verändertes Enzym aus seinem Labor ist bereits auf dem Weg zum praktischen Einsatz. Es handelt sich um einen Glukosidase-Inhibitor. Er verlangsamt die Verarbeitung von Glucose im Verdauungstrakt, was zum Beispiel bei Diabetes-II-Patienten erwünscht ist. Das Spin-off-Unternehmen eines spanischen Forschungspartners will das enzymatische Produkt nun als Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt bringen.

Optimierungen bakterieller Produktion nach dem Baukastenprinzip

Manchmal muss Sprenger den passenden Stoffwechselweg zur Produktion eines bestimmten Stoffes erst noch mit dem für die Produktion optimalen Bakterienstamm zusammenbringen. In einem neuen BMBF-Projekt, an dem mit der BASF auch ein Großkonzern beteiligt ist, soll der Stoffwechsel des Bakteriums Pseudomonas putida unter anderem zur Produktion bestimmter Wertstoffe optimiert werden. Dazu wiederum wollen Sprenger und seine Mitarbeiter Stoffwechselwege aus E. coli einsetzen, deren Gene in Pseudomonas tranferiert werden. „E. coli ist deutlich empfindlicher gegenüber Lösungsmitteln, die bei der Bioproduktion eingesetzt werden“, begründet Sprenger den Wechsel.

Angesichts der breiten Palette an Projekten verwundert es nicht, dass Sprenger und sein Team eine ganze Reihe von Kooperationspartnern haben. Die Gruppe ist sowohl an der Uni Stuttgart als auch mit externen Forschungsgruppen und Unternehmen gut vernetzt. Generell versucht Sprenger stets ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Grundlagen- und angewandten Projekten an seinem Institut zu verfolgen. „Ich möchte auch in Zukunft beides beibehalten, allein schon, weil man in der angewandten Forschung irgendwann an einen Punkt kommt, an dem neue Inspirationen aus der Grundlagenforschung benötigt werden“, so Sprenger. Den Wert von beidem will er auch in der Lehre vermitteln. Sprenger ist mit seinen Vorlesungen und den Praktika an seinem Institut in allen Phasen des Studiums präsent. Ihm ist besonders daran gelegen, dass die Studierenden begreifen, wie viele gemeinsame Prinzipien in den so unterschiedlichen biologischen Systemen zu finden sind. Das soll den Blick schärfen für das Besondere, das es jeweils zu entdecken gilt. „Wir wollen ein übergreifendes Verständnis vermitteln und legen viel Wert auf vergleichende Betrachtungen. Im Detail zeigen wir den Studierenden den gesamten Weg vom Stoffwechsel eines Mikroorganismus bis zum Produkt auf“, sagt Sprenger.

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