Gundram Jung – ein Pionier der Antikörper-vermittelten Krebstherapie
Physiker, Mediziner, Forscher und jetzt auch noch Firmengründer. Der Karriereweg von Professor Dr. Gundram Jung glich nie einer Einbahnstraße - und hatte doch immer nur ein einziges Ziel: die Entwicklung neuartiger Immuntherapien für den Kampf gegen Krebs. Mit seinen gentechnisch modifizierten Antitumor-Antikörpern steht der Tübinger Immunologe jetzt vor dem Durchbruch in die klinische Anwendung.
Prof. Dr.med. Gundram Jung
© privat
Eigentlich wollte der Tübinger Immunologe Professor Dr. med. Gundram Jung unbedingt Physiker werden „und das Universum verstehen“, wie er mit einem Schmunzeln bemerkt. Um sich sein naturwissenschaftliches Studium finanzieren zu können, arbeitete er nebenher als Pflegehelfer im Krankenhaus - und fand irgendwann auch an medizinischen Fragestellungen Gefallen. Vor allem die enormen Fähigkeiten des menschlichen Immunsystems bei der Erkennung von Krankheitserregern und entarteten Krebszellen faszinierten den jungen Studenten. Seine Diplomarbeit schrieb Jung deshalb auch nicht in Astrophysik, sondern im Biophysikalischen Institut der Universität Münster – und zwar über die Wechselwirkungen eines toxischen Antitumor-Proteins mit der DNA.
„Wir hatten damals schon die Idee, dieses Eiweiß an einen monoklonalen Antikörper zu koppeln“, erinnert sich Jung, „am Ende hatten wir das wahrscheinlich erste in Deutschland hergestellte Immunotoxin in Händen.“ Die Kopplung eines Toxins an einen gegen spezifische Tumorantigene gerichteten Antikörper stellte Anfang der 80er-Jahre ein vollkommen neues Forschungsfeld dar, dem großes Potenzial in der Behandlung verschiedener Krebsarten bescheinigt wurde. Und auch wenn den Immunotoxinen der große medizinische Durchbruch bislang noch nicht gelungen ist, das schier unerschöpfliche therapeutische Potenzial monoklonaler Antikörper ist Jungs zentrales Forschungsthema geblieben.
Innovative Therapien als Zielvorgabe
Um sich das notwendige Grundlagenwissen anzueignen, studierte Jung parallel zur Physik noch Medizin - zuerst in Münster, später in Tübingen. Mit beiden Abschlüssen in der Tasche und ausgestattet mit einem Stipendium der Mildred-Scheel-Stiftung für Krebsforschung wechselte er 1984 schließlich als Postdoktorand in die Forschungslaboratorien am renommierten Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla. Drei Jahre lang beschäftigte sich Jung dort am Department of Immunology intensiv mit den therapeutischen Einsatzmöglichkeiten von Antikörpern und konnte ein Arbeitsgebiet mitbegründen, das ihn seither nicht mehr losgelassen hat: die bispezifischen „Doppelantikörper“, die Immunzellen gezielt gegen Tumorzellen aktivieren.
Zurück in Deutschland entschied sich Jung, neben seiner Forschungstätigkeit am Universitätsklinikum der LMU München, auch noch eine Facharztausbildung in Innerer Medizin zu absolvieren. Der direkte Kontakt zu den Patienten war dem Arzt und Wissenschaftler - trotz der Doppelbelastung - immer enorm wichtig. „Ich wollte nie ein reiner Forschungsmediziner sein“, so Jung, „zumal die Erfahrungen am Krankenbett mir immer geholfen haben, mein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren“ - nämlich neuartige Immuntherapien gegen Krebs zu entwickeln.
Translationale Ausrichtung
Seit 2002 leitet Jung nun an der Universität Tübingen in der Abteilung für Immunologie die Sektion für Experimentelle Antikörpertherapie. „Die Sektion ist sehr translational ausgerichtet“, berichtet Jung, der nicht nur hervorragende immunologische Grundlagenforschung betreibt, sondern auch großen Wert darauf legt, die neuen Erkenntnisse rasch in die klinische Anwendung zu bekommen. Bestes Beispiel hierfür ist ein gentechnisch modifizierter Antikörper gegen Leukämie, den Jung in den letzten Jahren zusammen mit seinen Mitarbeitern Dr. Ludger Große-Hovest und Dr. Steffen Aulwurm entwickelt hat. Die ersten klinischen Ergebnisse mit diesem Antikörper, der mit bestimmten Oberflächenmerkmalen von Leukämiezellen reagiert und diese für das Immunsystem sichtbar macht, stimmen die Wissenschaftler sehr hoffnungsvoll. „Wir konnten zeigen, dass die Krebszellen für einen begrenzten Zeitraum tatsächlich zurückgedrängt werden“, so Jung.
In einem frühen Erkrankungsstadium rechnen sich die Tübinger Immunologen deshalb gute Chancen aus, mithilfe des Antikörpers die Zahl der Rückfälle nach einer chemotherapeutisch induzierten Remission halbieren zu können. Eine größere klinische Studie ist für Anfang 2012 geplant. „Dass es uns gelungen ist, diesen Antitumor-Antikörper in relativ kurzer Zeit aus dem Labor in die Klinik zu bringen, macht uns mächtig stolz“, so der Wissenschaftler.
Aussichtsreiches Portfolio
Bispezifische Antikörper induzieren die Lyse von Tumorzellen durch aktivierte T-Zellen.
© Gundram Jung & John Chiu
Weil das Projekt vom GO-Bio-Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt wird, das in der zweiten Förderphase die Gründung eines Start-up-Unternehmens vorsieht, findet sich Jung neben seiner Rolle als Wissenschaftler und Arzt jetzt auch noch in der Position eines Firmengründers wieder. „Mir ging das etwas zu schnell“, bekennt Jung freimütig, „ich hätte unser Projekt lieber noch drei Jahre an der Uni gesehen - bis zum Abschuss der ersten größeren klinischen Studie.“ Doch er sieht auch die finanziellen Zwänge, mit denen die universitäre Forschung zu kämpfen hat. „Mit unserem Institutsetat könnten wir die Antikörper-Produktion für eine derart große Patientenzahl nicht finanzieren“, so Jung, „dafür benötigen wir in der Tat auch externe Investoren.“
Von diesen konnte die Synimmune GmbH – dank ihres Portfolios – inzwischen gleich mehrere gewinnen. Denn das nächste Produkt haben Jung und seine Mitstreiter bereits in der Pipeline. Die von ihnen entwickelten bispezifischen Antikörper, Jungs „alte Liebe“, könnten schon bald einen neuen Meilenstein in der Krebsbehandlung darstellen. Diese binden nämlich nicht nur an die Tumorzellen, sondern aktivieren – im Gegensatz zu den monospezifischen Antikörpern – gleichzeitig auch die T-Zellen des Immunsystems. „Bei diesen handelt es sich um die wichtigsten und potentesten Zellen des spezifischen Immunsystems, die auf diese Weise zielgerichtet mit den Krebszellen in Kontakt kommen“, so Jung. Dank dieser Strategie erhoffen sich die Wissenschaftler jetzt eine sehr viel stärkere Mobilisierung der körpereigenen Immunabwehr gegen den Tumor als es bisher möglich ist.
Bispezifische Antikörper als Hoffnungsträger
„Wir erwarten, dass die bispezifischen Antikörper nochmals deutlich effektiver sind als die monospezifischen“, so Jung. Möglicherweise sind sie aufgrund ihres neuartigen Wirkprinzips aber auch mit mehr Nebenwirkungen und Risiken behaftet. „Da muss man aufpassen, dass man es nicht übertreibt und eventuell zu viele T-Zellen aktiviert“, so Jung. Um das zu klären, müssen die Wissenschaftler noch einige Vorarbeiten leisten, bevor an den Einsatz im Patienten zu denken ist. „Wir hoffen aber, dass wir für hierfür anstatt der bisher üblichen sieben bis zehn Jahre jetzt nur noch drei Jahre benötigen“, so der Wissenschaftler.
Doch Jung ahnt auch, dass mit einer Antikörpertherapie alleine die komplette Heilung von Krebserkrankungen nicht gelingen wird. „Die Forschung muss deshalb auch andere innovative Ansätze wie zum Beispiel die Vakzinierung mit tumorassoziierten Peptiden dringend weiterverfolgen“, so der Wissenschaftler, „denn erst die Kombination mehrerer verschiedener Immuntherapien wird uns zum entscheidenden Durchbruch verhelfen.“ Damit dieser in absehbarer Zukunft gelingt, hat Jung gemeinsam mit Professor Dr. Hans-Georg Rammensee in Tübingen inzwischen das Zentrum für Translationale Immunologie (TransLimm) gegründet. In diesem Netzwerk arbeiten Grundlagenforscher, Ärzte des Universitätsklinikums Tübingen und regional ansässige Biotech-Unternehmen eng zusammen. „Von dem unmittelbaren Informationsaustausch erhoffen wir uns neue Denkanstöße, die uns zu vollkommen neuen Therapieprinzipien führen“, so Jung. Denn aus seiner Zeit als Klinikarzt weiß Jung noch sehr genau, dass die kreativsten Ideen für die Grundlagenforschung oft aus den am Krankenbett gemachten Beobachtungen heraus entstehen.