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HEIDELTEC: Gummibärchen statt Spritze

Arzneimittel auf Peptid- und Proteinbasis, wie sie etwa bei Erkrankungen wie Diabetes, Krebs oder Autoimmunkrankheiten zum Einsatz kommen, können nicht oral eingenommen werden. Denn die Biomoleküle werden bereits im Magen-Darm-Trakt abgebaut und können somit ihren Wirkungsort überhaupt nicht erreichen. Deshalb werden sie gespritzt – eine vergleichsweise komplizierte und schmerzhafte Anwendung. Nun hat die Start-up-Firma Heidelberg Delivery Technologies GmbH eine neuartige Technologie entwickelt, mit deren Hilfe solche Medikamente ganz einfach ähnlich einem Gummibärchen verabreicht werden können.

Die Medikamente ähneln Gummibärchen und können von den Patienten auch genauso einfach eingenommen werden. © HEIDELTEC

Viele Arzneimittel für innovative Therapien sind heutzutage Proteine und Peptide. Zu diesen Biopharmazeutika gehören beispielsweise zahlreiche Hormone wie Insulin, Wachstumsfaktoren, therapeutische Enzyme oder monoklonale Antikörper. Sie haben gegenüber synthetischen Arzneistoffen den Vorteil, dass sie Zielstrukturen im Körper mit hoher Spezifität erreichen, die für die klassischen niedermolekularen Medikamente unzugänglich sind. Der Nachteil dieser Biomoleküle ist allerdings ihre besondere Empfindlichkeit. Beispielsweise müssen sie in der Regel gekühlt gelagert und vorsichtig gehandhabt werden, denn Fehler bei Transport, Lagerung oder auch der Anwendung können sie ganz oder teilweise unwirksam machen.

Der wohl größte Nachteil ist es jedoch, dass sie nicht oral eingenommen werden können, sondern gespritzt werden müssen, weil sie im Magen schnell abgebaut bzw. im Darm nicht aufgenommen werden. Diese vergleichsweise schwierige Verabreichungsform hat deshalb häufig eine falsche Anwendung oder gar den Therapieabbruch zur Folge – mit fatalen Folgen für Patienten und Verlusten für die Hersteller in Milliardenhöhe und für das Gesundheitssystem aufgrund von Folgeerkrankungen.

Liposomen als Transportsystem für Proteinarzneimittel

Zur Herstellung der Medikamente wird der Wirkstoff zunächst in Liposomen eingeschlossen und dieser Komplex dann mithilfe eines Gelbildners in eine feste Arzneiform gebracht. © HEIDELTEC

Am Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie der Universität Heidelberg hat man deshalb schon vor rund zehn Jahren begonnen, an Alternativen zur Verabreichung von Protein- und Peptidarzneimitteln zu forschen. Mit Erfolg: In zwei Promotionsarbeiten wurde in den letzten Jahren die Basistechnologie für eine Drug-Delivery-Plattform entwickelt, die eine orale Einnahme solcher Biomoleküle ermöglicht. Kürzlich haben die beteiligten Wissenschaftler ein Unternehmen gegründet, die Heidelberg Delivery Technologies GmbH, HEIDELTEC. „Das Unternehmen wird zunächst über den EXIST-Forschungstransfer als Ausgründung aus der Universität über zwei Jahre bis September 2018 finanziert“, berichtet Moritz Stadler, Betriebswirt und Geschäftsführer der Start-up-Firma. „Danach ist noch alles offen. Deshalb sind wir momentan neben der experimentellen Arbeit im Labor sehr stark damit beschäftigt, Investoren zu finden, die die Arbeiten dann weiter finanzieren.“

Bei der von den HEIDELTEC-Wissenschaftlern entwickelten Technologie werden Liposomen als Transportsystem für die therapeutischen Proteine und Peptide eingesetzt. In diese wird der Wirkstoff eingeschlossen und der Komplex dann seinerseits in einen Gelbildner eingebettet und damit in eine feste Arzneiform gebracht, die vom Patienten einfach eingenommen werden kann. „Das Medikament sieht dann in etwa so aus wie ein Gummibärchen“, erklärt Stadler. „In dieser Verpackung können die Biomoleküle über den Darm in den Körper aufgenommen werden, ohne dass ihre Wirksamkeit beeinträchtigt wird.“ Die Liposomen für die Proteinarzneimittel werden mit einer neuen innovativen Methode produziert, die eine schnelle und effiziente Herstellung mit hohen Wirkstoffeinschlüssen gewährleistet. „Diese Methode ist auch gut skalierbar, sodass wir die Arzneimittel dann auch einmal problemlos in einem größeren Maßstab herstellen können“, berichtet Stadler.

Drug-Delivery-Plattform für viele Wirkstoffe

Apotheker Dr. Robin Tremmel (hinten) und Chemiker Dr. Frieder Helm (vorne) gehören zum aktiven Team der HEIDELTEC und sind an der Entwicklung der neuartigen Arzneiform beteiligt. © HEIDELTEC

Zurzeit arbeiten die Forscher an der Arzneiform für zwei bereits therapeutisch genutzte Wirkstoffkandidaten. Hiervon wird ein Peptid unter anderem zur Therapie von einer seltenen Erkrankung, bei der die betroffenen Kinder über Jahre dreimal täglich das Arzneimittel injiziert bekommen müssen. Ebenso kommt der Peptidwirkstoff auch in der Onkologie als Wachstumshemmer zum Einsatz. Das zweite größere Peptid, wird für die Diabetestherapie verwendet. „Wir haben diese beiden Wirkstoffe auch wegen der unterschiedlichen Größe ausgesucht“, berichtet Stadler. „Und wir konnten bereits zeigen, dass die Technologie für Wirkstoffe unterschiedlicher Größe zugänglich ist. Diese ist ja bewusst als Plattform konstruiert, das heißt, sie soll dann später auch noch auf weitere Wirkstoffe ausgeweitet werden. Dabei gilt, je größer ein Molekül ist, desto größer ist auch die Herausforderung eine ausreichende Bioverfügbarkeit zu erreichen. Aber mit diesen als auch anderen Wirkstoffen konnte man schon sehen, dass die Technologie gut funktioniert und die Arzneimittel oral verfügbar sind.“

Und einen weiteren Vorteil hat die in Heidelberg entwickelte Drug-Delivery-Technologie auch noch: Die Medikamente können nicht nur oral eingenommen werden, sondern haben auch noch eine gute Lagerstabilität. Das heißt, sie müssen je nach Peptid weder besonders vorsichtig gehandhabt noch gekühlt werden. “In den meisten Fällen sollte die Kühlkette also kein Problem sein. Gängige Blisterverpackungen helfen dabei, die Arzneiform und den Wirkstoff zu schützen.“

Forschung und Suche nach Industriepartnern

Zum aktiven Team der HEIDELTEC gehören derzeit außer Stadler noch die beiden Pharmazeuten Dr. Silvia Pantze und Dr. Robin Tremmel sowie der Chemiker Dr. Frieder Helm. Hinzu kommen Prof. Dr. Gert Fricker, Direktor des Instituts für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie und Pionier auf dem Gebiet der Liposomenforschung, sowie Dr. Johannes Parmentier, Mitentwickler der Technologie, als Berater und Mentoren. Momentan ist der Firmensitz noch an der Universität, wo die Wissenschaftler die für sie nötigen Infrastrukturen nützen dürfen. Interesse an der Technologie gibt es vonseiten der Industrie auch bereits: „Professor Fricker pflegt als Institutsleiter schon seit vielen Jahren Kontakte zu den großen Pharmaherstellern“, so Stadler. „Und da wurde definitiv Interesse bekundet.“ Konkurrenzprodukte gibt es zwar. Deren Systeme basieren aber auf anderen Technologien und haben Nebenwirkungen, die die HEIDELTEC-Arzneiform durch ihre Matrixformulierung umgeht. Die von HEIDELTEC entwickelte PEPTORAL®-Technologie wirkt spezifischer, sodass nicht noch ungewollt Nebenprodukte durch den Darm in den Körper gelangen.

Momentan sind die Wissenschaftler des jungen Unternehmens damit beschäftigt, die Formulierung der „Gummibärchen“ zu optimieren: „Das Grundrezept steht. Jetzt arbeiten wir mit verschiedenen Zusammensetzungen der Matrixliposomen, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen“, sagt der Geschäftsführer. „Am Ende der Förderung nächstes Jahr wird die Entwicklung des Produkts zwar noch lange nicht abgeschlossen sein, aber unser Ziel ist, ein Langzeit- und Toxizitätsprofil bis zu diesem Zeitpunkt zu starten und mit Industriepartnern in Kooperationen die Technologie wirkstoffabhängig weiterzuentwickeln.“

Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustrie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/heideltec-gummibaerchen-statt-spritze