Hemmung der Bromodomäne für Stammzell-Differenzierung
DNA-Methylierung und Histonmodifikation sind epigenetische Mechanismen, die das Ablesen von Genen regulieren. Darüber hinaus verändern Proteinkomplexe die Struktur des Chromatins und beeinflussen die Genexpression. Dr. Thomas Günther untersucht mit seinem Team an der Zentralen Klinischen Forschung der Universitätsklinik Freiburg den Einfluss des Hemmstoffs PFI-3 auf den BAF-Komplex. Dieser Proteinkomplex, der die Architektur des Chromatins verändert, kontrolliert sowohl die Erhaltung als auch die Differenzierung von Stammzellen. Dies könnte für die Regenerative Medizin interessant sein.
Am Tag vier der Mausentwicklung ist der Embryo noch eine mehrschichtige Hohlkugel mit inneren und äußeren Zellen (Blastozyste). Die innere Zellmasse wird durch embryonale Stammzellen (ESZ) gebildet, aus denen später die komplette Maus hervorgeht. Aus den äußeren Trophoblaststammzellen (TSZ) entsteht der embryonale Anteil der Plazenta. Beide Stammzellarten unterscheiden sich in der Expression ihrer Gene, die sich auch im Zeitverlauf ändert. Stammzellen können sich asymmetrisch in zwei nicht identische Tochterzellen teilen, von der eine wieder eine Stammzelle wird und die andere differenziert. Charakteristika von Stammzellen sind einerseits, sich selbst aufrechtzuerhalten, und andererseits auch in andere Zellen zu differenzieren. „Diese Stammzelldefinition ist zwar gut handhabbar, aber viel zu oberflächlich, um sie in der Medizin einzusetzen“, meint Dr. Thomas Günther von der Zentralen Klinischen Forschung der Universitätsklinik Freiburg.
Bromodomäne als Schlüsselfaktor
Was führt dazu, dass Stammzellen differenzieren? Diese Frage möchte Dr. Thomas Günther mithilfe des BAF-Komplexes beantworten.
© Dr. Thomas Günther, Uniklinik Freiburg
Das Schaf Dolly, das aus adulten somatischen Zellen generiert wurde, ist vermutlich schnell gealtert, weil die Genetik zwar schon, die Epigenetik aber nicht gestimmt hat. Welche epigenetischen Faktoren sind es, mit denen man Stammzellen induzieren kann, um sie dann wieder gezielt in bestimmte Zellen differenzieren zu lassen? Bei der Entwicklung von Stammzellen agiert eine enzymatische Maschinerie auf epigenetischer Ebene, indem sie die Verpackung der DNA umbaut. Diese Maschinerie nennt sich BAF-Komplex (BAF: Brahma-associated factors) und ist in der Lage, die Histon-Position entlang der DNA zu lösen und zu verschieben. So öffnet sie Transkriptionsbindedomänen im Chromatingeflecht, sodass Transkriptionsfaktoren an die DNA binden können. Dies führt zu erhöhter Genexpression. BAF gehört zur Familie der Chromatin-Remodeling-Komplexe, die zelltypspezifisch und kontextabhängig unterschiedliche Funktionen ausführen. Günthers Forschung konzentriert sich auf die Untereinheit BRG1 (Brahma related gene 1), ein Protein in diesem Komplex, das ATP umsetzt und damit den Motor für die Chromatinveränderung darstellt. „Entfernt man BRG1, dann sterben diese Embryonen ganz früh“, sagt Günther. BRG1 enthält die Bromodomäne, die acetylierte Lysine im Histon selektiv erkennt und daran bindet. Sie stellt ein Schlüsselelement im Leseprozess posttranslationaler Modifikationen dar und bewirkt dadurch, dass nur bestimmte Gene abgeschrieben werden.
BAF bewahrt Stammzelleigenschaften
Während der Stammzellentwicklung und -differenzierung ist BAF mit Regulatoren verknüpft, die etwa Transkriptionsprogramme zur verstärkten Zellproliferation aktivieren. „Man weiß, dass der Komplex wichtig für die Aufrechterhaltung von Stammzellen ist“, erklärt Günther, „wenn man ihn inaktiviert, beginnen die Zellen automatisch zu differenzieren.“ Verantwortlich für den Erhalt embryonaler Stammzellen ist die Expression der vier „Yamanaka-Faktoren“ Oct4, c-Myc, Sox2 und Klf4, deren Expression der BAF-Komplex mitreguliert. Bindet der Komplex nicht mehr an diese Faktoren, wird die Expression der Gene runterreguliert und der Stammzellcharakter geht verloren. Um die Funktionalität von BAF zu verstehen, fragte sich Günther: „Welche Inhibitoren verhindern gezielt die Bindung der Bromodomäne von BRG1 an das acetylierte Lysin?“ Kollegen in Oxford fanden mit einem Derivat der Acetylsalicylsäure so eine Substanz, die in die Bromodomäne von BRG1 passt und tatsächlich in vitro bindet. Das Derivat ist ein Abkömmling des Aspirin-Wirkstoffs und wird von den Forschern PFI-3 genannt. „Was macht das PFI-3, wenn es bindet“, fragt Günther weiter, „hat es einen biologischen Effekt?“ Hier konnte das Team um Günther zeigen, dass die Bromodomäne entscheidend für die Funktion von embryonalen und Trophoblaststammzellen ist. Denn die Gentranskription, die die Zelldifferenzierung reguliert, war bei langzeitiger PFI-3-Exposition verändert. Die Substanz imitiert den Effekt einer BRG1-Deletion nur durch Blockieren einer Bindestelle. Die Schicksale der ESZ und TSZ wurden anhand von molekularen Markern untersucht, die charakteristisch für Stammzellen sind.
Stammzelldifferenzierung mit PFI-3
„Wenn die Wirkung des Inhibitors die Deletion der BAF-Untereinheit widerspiegelt, erwarten wir, dass die Expression der Stammzellmarker reduziert wird“, resümiert Günther. „Wir haben dann gesehen, dass der Charakter der embryonalen Stammzellen verloren geht.“ Dies sieht man auch äußerlich. Die Mauszellen bilden als Stammzellen im Zellkultursystem kleine Inseln, und wenn sie unter dem Einfluss von PFI-3 ihre Eigenschaften verlieren, bekommen sie ein anderes Aussehen, treten aus den Inseln heraus und vereinzeln mehr. Um herauszufinden was sie genau sind, müssen weitere Differenzierungsmarker analysiert werden. „Man testet dann verschiedene Marker, die die verschiedenen Zellschicksale widerspiegeln“, erklärt Günther, „zum Beispiel Nestin für neuronale Vorläuferzellen oder Brachyury für ein mesodermales Schicksal.“ Der Inhibitor hat somit einen Einfluss, dass die Zellen differenzieren und in welche Richtung sie differenzieren. In Anwesenheit von PFI-3 wurden mehr neuronale Vorläufer und weniger mesodermale Zellen gebildet als sonst. Das liegt daran, dass der BAF-Komplex nicht nur die Expression der Stammzellmarker, sondern auch der Differenzierungsmarker reguliert, je nachdem, in welchem Kontext er sich befindet. Auch auf die TSZ hat PFI-3 einen Effekt, wenn auch nicht alleine. „Solange ich den TSZ den Faktor FGF4 gebe, bleiben sie Stammzellen, auch in Anwesenheit von PFI-3“, sagt Günther, „lasse ich FGF4 weg, fangen sie an zu differenzieren und tun dies viel schneller und stärker, wenn der Inhibitor anwesend ist.“ Stärke und Geschwindigkeit der TSZ-Differenzierung ist also beeinflusst, nicht aber die Aufrechterhaltung des Stammzellcharakters. Dieser Effekt war bisher nicht bekannt.
Epigenetisches Arzneistofftarget?
Modulationen epigenetischer Zielproteine sind bisher nur durch wenige Pharmaka möglich. Prinzipiell ist die Epigenetik jedoch ein lohnendes Angriffsziel für Wirkstoffe, da lediglich Proteine oder Enzyme beeinflusst werden und nicht genetisches Material. Humane embryonale Stammzellen dürfen aus ethischen Gründen in Deutschland nicht neu isoliert, generiert und gehalten werden. Da aus Stammzellen jede andere Zelle des Körpers gebildet werden kann, ist dies ein interessantes Feld für die Regenerative Medizin. Die Kenntnis, wie sich aus differenzierten wieder Stammzellen erzeugen und adäquat aufrechterhalten sowie wieder gezielt gewünschte Zellen differenzieren lassen, könnte zukünftig bedeutsam sein für den Einsatz in Patienten, deren Gewebe ersetzt werden muss. Die Zellen könnten im Zellkultursystem mit gewünschten Eigenschaften für bestimmte Organe wachsen und den Patienten mit Traumata, Knochenbrüchen oder Erbdefekten verabreicht werden, um die Regeneration zu beschleunigen.